Montag, 29. April 2024

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Ukraine
"Wir brauchen jetzt kühle Köpfe und keine kalten Krieger"

Gestern hatte Russlands Präsident Wladimir Putin die separatistischen Kräfte in der Ostukraine aufgefordert, ihr für Sonntag geplantes Unabhängigkeitsreferendum zu verschieben. Putins Aufruf könnte eine Wende bedeuten und müsse als gutes Zeichen sowohl von der Ukraine als auch von Europa zur Kenntnis genommen werden, sagte Franz Thönnes (SPD), stellvertretender Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, im DLF.

Franz Thönnes im Gespräch mit Bettina Klein | 08.05.2014
    Der SPD-Außenpolitiker Franz Thönnes (Archivfoto vom 29.08.2011)
    Der SPD-Außenpolitiker Franz Thönnes (Archivfoto vom 29.08.2011) (dpa / picture-alliance / Markku Ojala)
    Auch wenn die Situation insgesamt schwierig sei, gebe es durchaus hoffnungsvolle Zeichen, die zeigten, dass die Diplomatie Einfluss habe. Alle Beteiligten seien des Krieges müde, betonte Thönnes. Deshalb setze er auf Gespräche an einem Runden Tisch.
    Mit Blick auf den Einfluss Russlands im Ukraine-Konflikt sagte Thönnes: "Es gibt nicht unbedingt den Schalter, den man ein- und ausschaltet in Moskau, sondern die Bewegung auch im Osten der Ukraine ist sehr bunt." Die Separatistenbewegung in Teilen der Ukraine habe eine starke Eigendynamik. Entscheidend sei jetzt, wie die prorussischen Kräfte auf den Appell Moskaus reagierten.
    Thönnes betonte darüber hinaus, die ukrainische Regierung müsse an der Präsidentschaftswahl am 25. Mai festhalten. Die Abstimmung sei ganz wichtig, um das Land wieder zu stabilisieren. Deswegen sollte auch Moskau ein Interesse daran haben, dass die Wahl stattfinde.
    Franz Thönnes, am 16. September 1954 in Essen geboren, gehört dem Deutschen Bundestag seit 1994 an. Der SPD-Politiker war von 2002 bis 2005 Parlamentarischer Staatssekretär im Gesundheitsministerium und von 2005 bis 2009 im Arbeitsministerium. In der aktuellen Legislaturperiode ist Thönnes ordentliches Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Wir schauen in den kommenden Minuten auf den Konflikt in der Ukraine. Die jüngsten Zeichen deuten auf eine mögliche Entspannung. Der Aufruf Putins an die Separatisten, das geplante Referendum zu verschieben, könnte eine Wende andeuten. Aber sicher ist das natürlich keinesfalls. Erst gestern wurden Überlegungen der NATO laut, ihre Truppenpräsenz in Osteuropa angesichts des Konflikts zu verstärken. Über die aktuellen Entwicklungen kann ich jetzt sprechen mit Franz Thönnes, SPD-Politiker im Deutschen Bundestag, stellvertretender Vorsitzender vom Auswärtigen Ausschuss. Guten Morgen!
    Franz Thönnes: Schönen guten Morgen, Frau Klein.
    Klein: Die Einschätzung Ihrerseits, wie werten Sie die Worte von Wladimir Putin: als ein erstes Einlenken?
    Thönnes: Das ist ein gutes Zeichen, das auch zur Kenntnis genommen werden sollte von der ukrainischen Regierung, aber auch hier aus Europa. Es ist ein weiteres Zeichen, dass Russland durchaus Einfluss hat und versucht, Einfluss zu nehmen, und ich darf daran erinnern, dass ja bereits die Teilnahme von Herrn Lukin an den Verhandlungen am 17. Februar und auch jetzt bei der Freilassung der OSZE-Militärbeobachter sowie auch die Genfer Runde unter Beteiligung Russlands Ausdrücke waren, dass es durchaus Ansätze gibt, die uns hoffnungsvoll stimmen sollten.
    Klein: Ansätze, die uns hoffnungsvoll ja auch damals gestimmt haben, aber die im Ergebnis zu nichts geführt haben.
    Thönnes: Also am 17. 2. Ist durch den Einsatz von Frank-Walter Steinmeier und den Außenministern aus Frankreich und Polen zumindest das Blutvergießen beendet worden. Durch die Genfer Gespräche sind Vereinbarungen getroffen worden, bei denen es in der Tat an verbindlichen Umsetzungsschritten mangelt, und durch die Einsätze am vergangenen Wochenende sind zumindest die Militärbeobachter unversehrt wieder frei gekommen. Ich denke, dass das durchaus angesichts der extrem schwierigen Situation kleine Erfolge sind, die auch zeigen, dass auf diplomatischem Gebiet durchaus einige Fortschritte erreicht werden konnten.
    Wahlzettel für das anstehende Referendum in Donetsk.
    Das geplante Referendum soll verschoben werden, fordert Putin. (dpa / Natalia Seliverstova)
    "Alle sind des Krieges müde"
    Klein: Wir wollten uns ja konzentrieren zunächst noch mal auf die Worte von Wladimir Putin gestern, denn in der Ukraine ist man sehr zurückhaltend und zeigt sich wenig euphorisch, und zwar sowohl auf Seiten der Kiewer Regierung als auch auf Seiten der Separatisten.
    Thönnes: Frau Klein, die Situationen sind dort sehr verhärtet, was auch erklärlich ist. Da wo ein Waffengang gemacht worden ist, ist es immer wieder schwierig zusammenzukommen. Gleichwohl, wenn es ernst gemeint ist, dass man eine friedliche Lösung suchen will, dann kann das nur heißen, dass man an Runden Tischen zusammenkommen muss, dass diejenigen, die vielleicht gestern gar nicht miteinander reden wollten, morgen miteinander reden müssen, denn das Blutvergießen muss beendet werden und die letzten Nachrichten von der stellvertretenden Sekretärin des Rates für nationale Sicherheit und Verteidigung in Kiew zeigen ja auch, dass es vielleicht durchaus eine Bewegung gibt, indem gesagt wird, alle sind des Krieges müde und wir sind bereit, mit denjenigen den Dialog zu suchen, die auch dazu bereit sind.
    Klein: Und Sie, Herr Thönnes, gehen davon aus, dass die Separatisten sich an diesen Aufruf von Wladimir Putin halten werden?
    Thönnes: Ich hoffe das, wenn die Vernunft obsiegt. Wir brauchen jetzt kühle Köpfe und keine kalten Krieger. Alle Konflikte, die auf der Welt stattgefunden haben mit Gewalt, wenn sie beendet worden sind, haben am Ende den Weg über den Dialog gefunden, und ich hoffe, dass hier auch die Vernunft am Ende siegt, und darauf haben jetzt alle ein Stück weit auch Einfluss auszuüben.
    "Ostukraine ist anders als die Krim"
    Klein: Genauso wird, was wir von gestern gehört haben, aus Moskau auch interpretiert: Als ein mögliches Spielen auf Zeit der russischen Führung, und zwar vielleicht auch in der Hoffnung, dass auch die Präsidentschaftswahlen am 25. Mai in der Ukraine ebenfalls hinausgeschoben werden. Halten Sie diese Motivation auch für möglich, was vermutet wird?
    Thönnes: Wenn Moskau immer wieder die Legitimität der Regierung in Kiew in frage stellt, dann sollte man die Chance, einen legitimierten Präsidenten zu bekommen, nutzen. Deswegen brauchen wir gute Rahmenbedingungen für freie und faire Wahlen. Ich glaube, die Entscheidungen am 25. Mai sind ganz, ganz wichtig, um ein neues Stabilitätszeichen in Kiew zu setzen, und deswegen sollte Russland auch ein Interesse daran haben, dass die Präsidentschaftswahlen stattfinden.
    Klein: Ist das jetzt auch eine Nagelprobe, nicht nur wie viel Einfluss Moskau in der Tat hat bei diesem Konflikt, sondern auch, inwiefern gesteuert die Separatisten-Bewegung im Osten der Ukraine eigentlich ist, wenn es Wladimir Putin möglich ist, da so beeinflussend einzugreifen?
    Thönnes: Ich glaube nicht, dass es unbedingt den Schalter gibt, den man ein- und ausschaltet in Moskau, sondern dass die Bewegung auch im Osten der Ukraine sehr bunt ist. Das ist anders, glaube ich, als auf der Krim. Gerade deswegen sind aber auch Zeichen zu setzen, auch seitens der ukrainischen Regierung, die ja mit dafür sorgen muss, dass Wahlen nicht unter Rahmenbedingungen von militärischen Attacken stattfinden. Deswegen muss man sagen, haltet ein, hört jetzt auf mit den Schießereien für beide Seiten, beendet das Blutvergießen.
    Klein: Noch kurz, Herr Thönnes. Was, wenn nicht? NATO-Truppenverstärkung in Osteuropa eine gute Idee aus Ihrer Sicht?
    Thönnes: Wenn ich so für Deeskalation werbe, dann gilt das auch für die eigenen Seiten. Wir brauchen Zeichen, die deutlich machen, dass wir Richtung diplomatischem Dialog uns bewegen, und da sind sowohl im verbalen Bereich als auch im militärischen Bereich eher Zeichen angebracht, die auf Deeskalation hinweisen. Ich glaube, wir sollten mehr Kraft auf den Dialog und Runde Tische legen, als jetzt militärische Muskelspiele zu machen.
    Klein: Die Einschätzung des SPD-Außenpolitikers Franz Thönnes heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch, Herr Thönnes.
    Thönnes: Bitte schön! Schönen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.