Archiv

Ukraine
Präsident will "De-Oligarchisierung" vorantreiben

Von Florian Kellermann |
    Die Bergleute sitzen vor dem ukrainischen Parlament und schlagen ihre Helme auf den Boden. Nur einige Dutzend sind gekommen. Aber wenn die Regierung sich nicht beuge, würden noch viel mehr von ihnen aus dem Osten anreisen, sagt Wladimir Kosarew, Gewerkschafts-Vorsitzender der Bergleute im westlichen Donezbecken.
    "Die Regierung kauft in Afrika Kohle für 110 US-Dollar pro Tonne, für unsere Kohle will sie viel weniger bezahlen. Sie kauft Kohle in Russland, obwohl Russland doch als Aggressor in der Ukraine gilt. Das ist Nonsens, das ist Verrat am ukrainischen Volk."
    Die protestierenden Bergleute kommen aus dem Teil des Donezbeckens, der nicht von pro-russischen Separatisten besetzt ist. Indem sie vor dem Parlament für ihre Arbeitsplätze kämpfen, kämpfen sie auch für den Eigentümer der meisten Bergwerke dort: für den Oligarchen Rinat Achmetow.
    Denn es gibt einen guten Grund, warum die ukrainische Regierung Kohle im Ausland kauft: Die ukrainischen Kohlekraftwerke verheizen das hochwertige Anthrazit, auch Glanzkohle genannt. Die meisten Bergwerke in der nicht besetzten Ukraine jedoch fördern minderwertigere Kohle. Die weit wertvolleren Vorkommen liegen im Separatistengebiet. Auf sie hat Achmetow derzeit keinen Zugriff, zumindest nicht offiziell.
    Die Regierung könnte die Kraftwerke umbauen lassen, so dass sie auch minderwertigere Kohle verfeuern. Aber daran hat sie gar kein Interesse. Präsident Petro Poroschenko macht keinen Hehl daraus, dass ihm Achmetows Schwierigkeiten gelegen kommen. Er will den Oligarchen dazu zwingen, einen großen Teil seines Kohle- und Stromimperiums zu verkaufen.
    Bei seiner jüngsten Rede an die Nation sagte Poroschenko:
    "Wir wollen die De-Oligarchisierung - und deshalb die Zerschlagung von Monopolen. 40 Prozent der Waren und Dienstleistungen entstehen derzeit auf monopolisierten Märkten. Das muss sich ändern. Ich werde ebenso entschlossen handeln wie vor 100 Jahren US-Präsident Theodore Roosevelt, der die Macht der Oligarchen gebrochen und die USA wieder konkurrenzfähig gemacht hat."
    Poroschenko geht nicht nur gegen das Imperium vor Rinat Achmetow vor. Er beschneidet auch die Macht von Ihor Kolomojskij aus Dnipropetrowsk. Kolomojskij kontrollierte bisher das Öl- und Benzingeschäft in der Ukraine. Seine Vertrauten saßen an Schlüsselpositionen in den wichtigsten Unternehmen, an denen eigentlich der Staat die Mehrheit hält. Poroschenko setzte durch, dass dort neue Manager das Ruder übernehmen.
    Der dritte Oligarch, mit dem es der Präsident aufgenommen hat, ist Dmytro Firtasch, ehemals führender Geschäftsmann im Gashandel. Ein Gericht beschlagnahmte Anfang vergangener Woche 500.000 Kubikmeter Gas, das in Firtaschs Besitz war. Die Behörden werfen ihm Manipulationen vor. Zudem wickelt die Nationalbank gerade die zahlungsunfähige Bank "Nadra" des Oligarchen ab - und verweigert ihm den Kauf einer anderen Bank. Das Imperium von Firtasch, der in Wien lebt, steht damit vor dem Kollaps. Schon im vergangenen Jahr hatte er seine Chemiewerke auf der Krim verloren, durch die russische Annexion der Halbinsel.
    Kohle, Strom, Öl und Gas: Poroschenko legt Hand an die wichtigsten Arterien der ukrainischen Wirtschaft. Seine Gegner werfen ihm vor, er wolle diese Branchen selbst kontrollieren - zum ukrainischen Super-Oligarchen aufsteigen.
    Der Politologe Taras Beresowez hält das für nicht ausgeschlossen.
    "Meine Theorie ist aber, dass Poroschenko wirklich gegen das oligarchische System kämpft. Er hat erkannt, dass er - wenn alles so bleibt - kaum regieren kann. In fast allen Parlamentsfraktionen gibt es Abgeordnete, die sich konkreten Oligarchen unterordnen. Wenn Poroschenko ein Gesetz durchbringen will, sagen ihm die Oligarchen: Gut, aber nur, wenn Du mir diesen oder jenen Teil des Staatshaushalts überlässt. Poroschenko hat davon einfach die Schnauze voll."
    Zweifel allerdings bleiben. Denn Poroschenko hat sein Geschäftsimperium bisher nicht verkauft, obwohl er das vor der Wahl versprochen hatte. Sogar in Russland besitzt er noch eine Schokoladenfabrik. Der Präsident begründete das mit der schlechten Konjunktur: Es sei derzeit unmöglich, Käufer zu finden. Vor wenigen Tagen kündigte Poroschenko nun an, seine Aktien einem Fonds zu übergeben.