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Umfrage
Immer mehr muslimischer Antisemitismus an Schulen

"Du Jude", "Du jüdisches Opfer" – Beschimpfungen wie diese sind auf Schulhöfen keine Seltenheit mehr. Nach einer Umfrage des American Jewish Committee gehört Antisemitismus von Muslimen an Berliner Schulen zum Alltag. Der Zentralrat der Juden warnt in einigen Fällen sogar davor, sich als jüdisch zu erkennen zu geben.

Von Manfred Götzke | 17.11.2017
    Ein Schüler der Talmud Tora Schule in Hamburg schreibt das Alphabet auf hebräisch an die Tafel. Unten steht das Wort "lernen".
    Ein Schüler der Talmud Tora Schule in Hamburg schreibt das Alphabet auf hebräisch an die Tafel. Unten steht das Wort "lernen". (picture alliance / dpa)
    Es ist wenig los auf dem Sportplatz in Köln Kalk, an diesem warmen Herbstnachmittag. Zwei junge Mütter beaufsichtigen ihre Kinder am Klettergerüst. Auf den Bänken vor dem Fußballfeld chillen Jugendliche. Sie kommen aus der Türkei, aus Marokko, aus Afghanistan, sind alle muslimischen Glaubens – und haben eine klare Meinung zu Juden. Keine gute.

    "Ich hasse die. Die sind einfach so schlimm. Die sind Bastarde einfach."
    Der 14-jährige Ahmed zuckt mit den Schultern. Warum er Juden für Bastarde hält? Kann oder will er nicht begründen. Er selbst kennt auch keine Juden. Das sei einfach so. Seine Kumpels grinsen, manche nicken.
    "Die sind scheiße einfach. Die sind Problem, die sind das Problem."
    "Ich mag Juden einfach nicht - so wie die meisten Deutschen keine Türken mögen"
    In dem ehemaligen Arbeiterviertel Köln Kalk leben heute viele Migranten, manche in dritter oder vierter Generation, aber auch viele Geflüchtete, die in den letzten Jahren nach Deutschland gekommen sind. Fast jeder muslimische Jugendliche, den ich hier anspreche, äußert sich antisemitisch, sofort und ganz offen. Auch der 21-jährige Berufsschüler Erkan sagt ohne Umschweife, was er von jüdischen Mitbürgern hält.
    "Bruder, ich hab was gegen Juden, ich mag Juden einfach nicht - so wie die meisten Deutschen keine Türken mögen."
    Aziz Fooladvand hört solche Sätze immer wieder. Auf dem Schulhof, manchmal sogar in seinem Unterricht. Fooladvand ist Lehrer für islamische Religion an eine Realschule im Bonner Norden. Eine Schule, an der 80 Prozent der Schüler Muslime sind.
    "Während des Unterrichts gibt es Äußerungen: Du Jude! Es gibt auch einen latenten Antisemitismus. Wenn ich das Thema Judentum als Thema habe, kommen Anmerkungen: Müssen wir das jetzt lernen? die Juden sind sowieso gegen uns. Warum sollen wir uns über Juden informieren?"
    681 antisemitische Straftaten wurden im ersten Halbjahr 2017 in Deutschland begangen. Vier Prozent mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Ob es sich dabei um Neonazis, Islamisten oder ganz andere Täter handelt, dazu gibt es keine aussagekräftigen Erkenntnisse.
    Quellen für diesen Antisemitismus, den Hass auf Andersgläubige generell, gebe es jedenfalls viele, sagt der Deutsch-Iraner Fooladvand. Das Elternhaus, Youtube, islamistische Imame. Vor allem aber gebe es unter den Mitschülern zu selten Widerspruch:
    "Der Antisemitismus resultiert aus Mangel an demokratischer Erziehung, Mangel an Toleranz. Andererseits ist das Nahost-Problem auch hier ein präsentes Thema. Da versuche ich dann zu differenzieren. Am Anfang sagen die Schüler immer: Die Juden bombardieren die Palästinenser. Jetzt sagen sie: Die israelische Armee bombardiert den Gazastreifen. Das ist gut, wir müssen zwischen Religion und Politik differenzieren."
    "Intoleranz basiert auf religiösem Analphabetismus"
    Fooladvand versucht, seine Schüler aufzuklären. Er spricht über die Gemeinsamkeiten der monotheistischen Religionen. Klärt sie darüber auf, dass der Islam, der Koran auf dem Alten Testament, der Thora aufbaut. Die meisten seiner Schüler lassen sich nach zwei, drei Unterrichtsstunden darauf ein.
    "Dieser Hass, diese Intoleranz basieren auf einem religiösen Analphabetismus. Sobald sie die Geschichte kennen, sobald sie die koranischen Grundsätze analysiert bekommen, erleben ich in meinem Unterricht eine Art Erleichterung - aber auch eine Offenheit."
    Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrats der Juden, teilt die Analyse des Islamwissenschaftlers. Der muslimische Antisemitismus habe in den letzten zwei, drei Jahren deutlich zugenommen, sagt Lehrer. Und er werde offener gezeigt:
    "Wir haben eine Million Flüchtlinge aus Ländern aufgenommen, die fast über die Muttermilch Informationen aufgenommen haben: 'Israel ist der Erzfeind, Juden soll man vernichten.' Das sind alles Dinge, die das Antisemitismus-Problem verschärfen und verstärken. Sie wissen, dass die jüdische Gemeinschaft die islamischen Verbände auffordert, sich deutlicher vom muslimischen Antisemitismus zu distanzieren. Und das fordern wir nach wie vor."
    In bestimmten Gegenden in Köln, Duisburg oder Bonn rät Lehrer mittlerweile jungen jüdischen Gemeindemitgliedern, ihr Jüdischsein besser nicht offen zu zeigen. Das sei zu gefährlich.
    "Wenn ihr irgendwo hingeht, wo es kritisch ist, dann verbergt die Kippa besser unter einer Schirmmütze oder einer anderen Kopfbedeckung. Natürlich gibt es Straßen, Karrees, wo man aufpassen sollte. Wo man besser mit der Kippa nicht hingehen würde."
    "Hätte man so eine Empfehlung vor zehn Jahren auch aussprechen müssen?"
    "Nein."