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Umwelt
Das Knistern der Gletscher

Klimaforscher stellen sich schon länger die Frage, wie schnell die Gletscher schmelzen. Schützenhilfe bekommen sie jetzt von unerwarteter Seite – von Akustikern, die der Gletscherschmelze mit Schallsignalen auf die Spur kommen wollen.

Von Frank Grotelüschen | 03.12.2013
    Wasser überträgt Schall bekanntlich besser als Luft. Wale können dadurch über enorme Strecken kommunizieren. Und Seefahrer nutzen die Wasser-Akustik, um per Sonargerät die Meerestiefe auszuloten.
    In der Nähe eines Gletschers aber, sagt der Ingenieur Kevin Lee von der Universität Texas, kann die Geräuschkulisse unter Wasser ziemlich speziell sein.
    "Da gibt da etwas, das auffällt – ein kontinuierliches Geräusch mit Frequenzen zwischen ein bis drei Kilohertz, also genau in unserem Hörbereich. Es ist ein kontinuierliches Knistern und Brutzeln."
    Doch wo kommt das frostige Britzeln her? Eine Frage, die sich auch Erin Pettit stellte, Glaziologin an der Universität Alaska. Vielleicht, so dachte sie, hat das was mit den Luftbläschen zu tun, die für gewöhnlich im Eis eingeschlossen sind, und die frei werden, wenn der Gletscher schmilzt. Um der Sache auf den Grund zu gehen, schickte sie eine Ladung Gletschereis nach Texas, zum Team um Kevin Lee. Denn dort ...
    "Eines unserer wichtigsten Forschungsobjekte ist die Akustik von Bläschen.”
    ... kennt man sich bestens aus mit der Akustik des Luftbläschens – und besitzt zudem noch den passenden Versuchsaufbau.
    "Wir haben einen Labortank, in dem wir Eis gezielt schmelzen lassen können. Das beobachten wir mit einer Kamera. Und gleichzeitig nehmen wir die Geräusche auf, die im Tank zu hören sind."
    Lee und seine Leute starteten das Experiment, ließen in ihrem Tank kleine Würfel aus Alaska-Gletschereis schmelzen und schauten und hörten ganz genau hin, was unter der Wasseroberfläche passierte. Das Ergebnis:
    "Wir konnten erstmals nachweisen, dass dieses knisternde Geräusch tatsächlich etwas mit dem Ausstoßen der Bläschen zu tun hat."
    Auf dem Video ist es klar und deutlich zu sehen: Immer, wenn der schmelzende Eiswürfel ein paar Blasen freigibt, ist ein dezentes Knattern zu hören – ein Sound, der zu einem lauten Brutzeln anschwillt, wenn ein Gletscher Abertausende von Bläschen gleichzeitig entlässt. Das Geräusch wird übrigens nicht beim Platzen der Bläschen erzeugt. Es entsteht, wenn sie im Wasser aufsteigen.
    "Wenn die Bläschen freigesetzt werden, schwingen sie mit einer bestimmten Frequenz. Dabei wirkt die Wand des Bläschens wie ein kleiner Lautsprecher.
    Man sollte nicht denken, dass winzige Luftbläschen einen solchen Lärm machen können. Aber sie sind deutlich lauter als die anderen Geräusche unter Wasser – lauter etwa, als der Lärm, den Wellen oder Schiffe erzeugen."
    Und vielleicht, so spekulieren die Forscher, sind ihre Erkenntnisse sogar zu etwas gut – und zwar als neue Sensormethode für die Klimaforschung.
    "Wir wollen sehen, ob sich damit die Gletscherschmelze überwachen lässt. Die Idee ist, Unterwasser-Mikrofone in der Nähe von Gletschern zu installieren, die das Britzeln der Bläschen kontinuierlich aufnehmen. Und je schneller das Eis schmilzt, umso lauter ist der Krach."
    Und damit könnte sich eine wichtige Frage vielleicht genauer beantworten lassen als bislang: Wie stark beschleunigt sich die Gletscherschmelze, wenn die globale Temperatur immer weiter steigt?