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Umweltrat
Gutachter fordern mehr Markt für die Erneuerbaren

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen möchte, dass im Jahr 2050 Deutschland nur noch Strom aus erneuerbaren Energien nutzt. Das könne durch "behutsame Reformen" gelingen. Eine Verlangsamung der Energiewende rät der Rat kategorisch ab.

Von Daniela Siebert | 28.11.2013
    "Den Strommarkt der Zukunft gestalten" will der Sachverständigenrat für Umweltfragen mit seinem jüngsten Sondergutachten. Dazu gehöre "mehr Markt" für die erneuerbaren Energien. Der Schutzraum aus festgelegten Einspeisevergütungen soll ersetzt werden. Professor Martin Faulstich, der Vorsitzende des Sachverständigenrates:
    "Das bisherige Bezahlsystem war ja so, dass eine erneuerbare Anlage eine Festvergütung bekommen hat, die über 20 Jahre garantiert wurde. Das hat natürlich dazu geführt, dass die Kosten auch aus dem Ruder gelaufen sind. Und zukünftig möchten wir, dass alle Anlagen in die Direktvermarktung gehen, das heißt, dass sie nicht mehr eine Festvergütung bekommen."
    Die wichtigste grundlegende Weichenstellung für die Reform des Strommarktes: Das System müsse sich den fluktuierenden erneuerbaren Energien – vor allem Sonne und Wind – anpassen, nicht umgekehrt. Das bedeutet Flexibilisierung sowohl für die Stromerzeuger als auch die Stromverbraucher. Dabei könnte die Industrie ihren Verbrauch viel effektiver nach dem verfügbaren Stromangebot ausrichten, als die Privathaushalte, so Ratsmitglied und Technikexperte Professor Harald Bradke:
    "Zementmühlen zum Beispiel, dass ich einen Zement eben mahle und dann liegen lasse im Speicher, nicht dann mahle, wenn gerade der Bedarf da ist, sondern dann, wenn Energie gerade preiswert ist."
    In Privathaushalten nachts Wäsche waschen sei also kein Thema. Aber wer eine Solaranlage auf dem Dach habe, könne zur antizyklischen Stromerzeugung beitragen, wofür Bradke auch die Haushalte entlohnen möchte:
    "Die meisten sind nach Süden ausgerichtet, weil das jetzige Anreizsystem darum geht, möglichst viel Menge zu produzieren und unser Vorschlag ist, sie zum Beispiel nach Osten oder Westen auszurichten, damit Strom zu den Zeiten produziert wird, wenn er noch nicht in solchen Mengen produziert wird, wie alle anderen Anlagen auch bringen."
    Also nicht in der Mittagszeit, wenn eher zu viel Solarstrom im Angebot ist als zu wenig.
    Braunkohle- und Steinkohlekraftwerke möchte der Sachverständigenrat lieber vom Netz nehmen: zum einen, weil sie zu viel CO2 ausstoßen. Zum anderen, weil sie nicht flexibel zu- und abschaltbar sind, um die Schwankungen bei den Erneuerbaren auszugleichen. Deshalb müsse die Preisschraube für CO2-Emissionen dringend wieder nach oben gedreht werden, um Kohlekraftwerke unrentabel zu machen zugunsten von klimafreundlicheren Gaskraftwerken. Jedenfalls so lange, wie die erneuerbaren Energien den Bedarf nicht komplett decken. Alternativ hält der Sachverständigenrat auch eine nationale CO2-Mindestbesteuerung für möglich, wie Großbritannien sie bereits eingeführt hat.
    Überhaupt – so der Sachverständigenrat - sollten die politischen Strukturen die Energiewende mehr fördern. Durch mehr Bürgerbeteiligung, durch eine zentrale Koordinierungsstelle in Form eines Staatsministers im Bundeskanzleramt und durch ein konkretes Gesetz. Martin Faulstich:
    "Wir haben jetzt ganz konkret ein Klimaschutzgesetz vorgeschlagen, das es derzeit ja nicht gibt, sodass man wirklich für den Umstieg auf eine klimaneutrale Industriegesellschaft in sagen wir Fünf-Jahres-Schritten konkrete Ziele vorgibt, die dann auch überprüft werden und die eingehalten werden müssen. Man könnte zum Beispiel auch CO2-Grenzwerte für Kohlekraftwerke einführen. Die gibt es derzeit auch noch nicht. Dass man zumindest die alten Kraftwerke abschalten müsste."
    Der neue Koalitionsvertrag, den die anstehende Große Koalition soeben präsentiert hat, ist von solchen Zielen weit entfernt. Der Ausbau der erneuerbaren Energien soll gebremst und für 2025 eine Versorgungsquote von gerade mal 45 Prozent angepeilt werden.
    "Wir sind natürlich für ambitionierte, erneuerbare Ausbauziele. Also die Energiewende zu verlangsamen, da sind wir natürlich kategorisch gegen, auch, weil wir glauben, dass eine zügige Energiewende letztendlich auch kostengünstiger ist, als wenn man das auf die lange Bank schiebt."
    Doch manches freut den Sachverständigenrat auch bei der Vertragslektüre, etwa, dass die Koalition nun auch eine verpflichtende Direktvermarktung erneuerbarer Energie einführen will - für Neuanlagen ab fünf Megawatt.