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"Ungewöhnlich, wie deutlich man sich in die italienische Innenpolitik einmischt"

Italien steht vor der Wahl - und der Rest Europas blickt mit Sorge auf das Land. Der Italienexperte Alexander Grasse kritisiert die Appelle europäischer Spitzenpolitiker an die Italiener, nicht Berlusconi zu wählen. Außerhalb von Wahlen hätte man sich nur wenig für die Folgen der Sparpolitik in Italien interessiert, die eben auch auf Geheiß der EU praktiziert worden sei.

Alexander Grasse im Gespräch mit Doris Simon | 21.02.2013
    Doris Simon: Ausgang offen - vor den Wahlen in Italien am Sonntag lässt sich zwar mutmaßen, dass die Vereinigte Linke die meisten Stimmen bekommen wird. Wer aber am Ende mit wem die Regierung in Italien stellt, das ist nicht vorhersehbar. Da gibt es die "Fünf Sterne", die populistische europafeindliche Protestbewegung des Komikers Beppe Grillo, da tritt der bisherige Ministerpräsident Monti an und Silvio Berlusconi ist wieder da. Der Mann wurde immer wieder totgesagt, tatsächlich aber ist ihm politisch offenbar ein deutlich längeres Leben beschieden, als manche erhoffen. - Alexander Grasse ist Politikwissenschaftler an der Universität Gießen, Spezialist für Italien. Ihn habe ich gefragt: Berlusconi ante portas? Sind es die Einschnitte und die Arbeitslosigkeit, die Berlusconi die Wähler zutreiben, oder glaubt jemand Berlusconi noch seine halbseidenen Versprechungen wie die zuletzt von der Immobiliensteuer des letzten Jahres, die er bar zurückerstatten wolle?

    Alexander Grasse: Es mag einen Teil der Italienerinnen und Italiener geben, die an diese Versprechungen glauben, aber die Frage ist eher die, was sind die Alternativen, und die sind alle eher so gelagert, dass sie mehr oder weniger die unter der Regierung Monti praktizierte Politik fortführen, wobei die Linksdemokraten sicherlich andere Akzente setzen würden und werden. Das ist auch richtig so, da wurden die Wachstumsinitiativen stark vernachlässigt, Konjunkturprogramme, auch in der Steuerpolitik ist vieles schief gelaufen. Aber das erklärt natürlich schon die Situation, wie wir sie jetzt haben. Die war schmerzhaft, diese Politik der Regierung Monti, und viele Teile in Italien, in der italienischen Bevölkerung haben das auch als Diktat vonseiten Deutschlands erlebt, als Diktat der EZB, der EU als solcher und des IWF. Insofern hat man natürlich eine gewisse Hoffnung, dass sich da was ändern würde. Allerdings kommt man um Notwendigkeiten nicht herum. Das sind, glaube ich, schon auch Illusionen, die man sich da macht.

    Simon: Sie sprachen gerade von einem Diktat, das viele Italiener empfunden haben, durch Deutschland, durch die EU, die EZB. Nun haben sich ja in den letzten Tagen Bundesaußenminister Westerwelle und EU-Parlamentspräsident Schulz mit direkten Empfehlungen in den italienischen Wahlkampf eingeschaltet, bloß nicht für Berlusconi zu stimmen. In manchen Ländern nehmen das die Bürger ja sozusagen als eine Aufforderung, genau das dann zu tun. Wie ist das in Italien?

    Grasse: Das lässt sich im Moment schwer einschätzen. Aber in jedem Falle ist es auffällig und ungewöhnlich, wie deutlich man sich in die italienische Innenpolitik einmischt. Man kann sagen, natürlich hängt vieles vom Ausgang dieser Wahlen ab. Insofern gibt es, wenn man die Eurorettung betrachtet, durchaus ein legitimes Interesse der anderen Mitgliedsstaaten in der EU, sich hier entsprechend zu äußern. Andererseits - und hier würde ich jetzt den sich ebenfalls kritisch geäußert habenden europäischen Parlamentspräsidenten Schulz ausnehmen wollen, der sich dafür auch außerhalb von Wahlen interessiert, wie es in diesen Ländern aussieht -, aber andere Politiker haben sich doch relativ wenig interessiert für die Folgen der doch sehr starken Austeritätspolitik, die praktiziert wurde, eben auf Geheiß der Europäischen Union und anderer. Insofern würde man sich da etwas mehr Aufrichtigkeit wünschen, selbst wenn man einräumen muss, dass natürlich die Warnungen legitim sind, inhaltlich, denn Berlusconi - das haben die vergangenen Regierungszeiten gezeigt - war wenig dienlich für das soziale und ökonomische Fortkommen Italiens.

    Simon: Mario Monti, den ja viele europäische Regierungen gern weiter im Amt sähen, der hat ja nach Jahren, in denen Berlusconi keines der drängenden Probleme angepackt hat, zumindest einige Reformen auf den Weg gebracht. Er hat gespart, das alles - Sie sprachen es an - führte zu harten Auswirkungen, die treffen viele Italiener. Wird er am Sonntag die Quittung dafür bekommen, oder gibt es auch in Teilen der italienischen Bevölkerung so ein Gefühl, es ist schwer, aber wir müssen so weitermachen?

    Grasse: Das ist durchaus vorhanden, dieses Gefühl, wobei man sich in der Tat eine etwas ausbalanciertere Politik wünscht, also dass eben auch mehr für das Wachstum getan wird, mehr gegen die Jugendarbeitslosigkeit, die ja in manchen Regionen des Südens über 50 Prozent beträgt, also nahezu griechische Zustände. Da wünscht man sich schon eine Schwerpunktverlagerung in der Politik. Aber bei vielen ist doch die Einsicht vorhanden, das zeigen die Umfragen, dass konsolidiert werden muss, dass es hier doch harter Reformen bedarf, aber eben nicht zulasten nur der entsprechend ärmeren und mittleren Einkommensschichten, sondern eben auch zulasten der höheren Einkommensbezieher. Also man ist sich der Reformnotwendigkeit bewusst, aber diejenigen, die das schultern müssen, die sind eigentlich noch nicht so richtig getroffen davon - Stichwort Notwendigkeit einer Vermögenssteuer zum Beispiel, die in Italien durchaus gegeben ist, denn Italien verfügt, gemessen am verfügbaren Einkommen und auch an der Wirtschaftsleistung, über die höchsten Vermögensbestände in den privaten Haushalten.

    Simon: In den Umfragen steht ja die Vereinigte Linke mit Pier Luigi Bersani ganz gut da. Aber mit wem könnte sie realistisch eine Koalition eingehen? Da gibt es Berlusconi, da gibt es die populistische "Fünf Sterne"-Bewegung, da gibt es Monti. Wer ist da ein Kandidat?

    Grasse: Das ist im Grunde eigentlich nur Monti. Man könnte noch die entsprechende Gruppe um Antonio Ingroia, der Rivoluzione Civile, hinzuziehen, aber das scheint mir im Moment noch fern zu sein. Wenn, dann geht es nur um eine Koalition, die daraus resultiert, dass man im Senat, der zweiten Kammer, nicht die notwendige Mehrheit bekommt - aufgrund dessen, dass eben gemäß dem Wahlrecht dort dieser Stimmenbonus, den es gibt, regional verteilt wird. Das heißt, dort ist es eigentlich unsicher, ob Mitte-Links eine Mehrheit bekommt, und dann kommt im Senat aufgrund der jetzigen Wahlumfragen im Grunde nur aufgrund der Acht-Prozent-Hürde, die es dort gibt, Monti infrage.

    Eine große Koalition - das konnte man jetzt auch wieder verschiedentlich in den Medien lesen - zwischen Berlusconi und Bersani, das ist die Quadratur des Kreises. Das schließt sich eigentlich aus, das ist unrealistisch. Dann haben wir es wohl in absehbarer Zeit mit Neuwahlen zu tun.

    Simon: Die Einschätzung von Professor Alexander Grasse von der Uni Gießen vor den Wahlen in Italien am Sonntag.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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