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Unspezifische Effekte beim Impfen
Geschlechter reagieren unterschiedlich

In Westafrika fiel Forschern auf, dass eine Masernimpfung auch ein wenig vor Durchfällen und Atemwegserkrankungen schützt. Also vor Erregern, die im Impfstoff gar nicht vorhanden waren. Solche unspezifischen Effekte waren lange umstritten, aber inzwischen will sie selbst die Weltgesundheitsorganisation genauer untersuchen.

Von Volkart Wildermuth |
    In Westafrika fiel Forschern aber auf, dass eine Masernimpfung auch ein wenig vor Durchfällen und Atemwegserkrankungen schützt. Also vor Erregern, die im Impfstoff gar nicht vorhanden waren. Solche unspezifischen Effekte waren lange umstritten, aber inzwischen will sie selbst die Weltgesundheitsorganisation genauer untersuchen. Ein wichtiger Aspekt dieser Arbeiten ist, dass Mädchen und Jungen offenbar unterschiedliche unspezifische Effekte zeigen.
    "Alles was wir machen, machen wir für Kinder allgemein, nicht für Mädchen oder Jungen. Dabei sind sie genetisch und biologisch verschieden, haben unterschiedliche Immunsysteme."
    Sterblichkeit bei Mädchen doppelt so hoch
    Peter Aaby ist Anthropologe, aber seit über dreißig Jahren erforscht er im Rahmen des Bandim Health Project in Westafrika die Wirkungen von Impfungen. Er hat Anfang der Achtziger Jahre erlebt, wie sich die Sterberate der Kinder Dank der Masernimpfung mehr als halbierte. Anfang der Neunziger wurde dann ein neuer, besonders wirksamer Masernimpfstoff erprobt. Er schütze auch erfolgreich vor dem Masernvirus. Aber Peter Aaby stellte fest, dass er bei Mädchen die Gesundheit insgesamt zu beeinträchtigen schien.
    "Im Vergleich zum normalen Masernimpfstoff lag die Sterblichkeit der Mädchen doppelt so hoch. Bei den Jungs spielte die Wahl des Impfstoffs dagegen keine Rolle."
    Auf Vitamin A reagieren Geschlechter unterschiedlich
    Der Impfstoff wurde auch Dank der Arbeiten von Peter Aaby zurückgezogen. Nach dieser Erfahrung begann sich das Bandim Health Project systematisch mit den Geschlechtsunterschieden beim Impfen zu beschäftigen. Dabei zeigte sich ein komplexes Bild, wie die Immunologin Christine Benn erklärt, die für das dänische Statens Serum Institut am Bandim Health Projekt mitarbeitet. In Westafrika erhalten die Kinder häufig parallel zu Impfungen Vitamin A, als Schutz vor Erblindungen. Das funktioniert auch, doch das Vitamin verursacht noch weitere, unspezifische Effekte, beeinflusst das Immunsystem generell, und zwar unterschiedlich, je nach Geschlecht.
    "Es scheint schlecht zu sein, Mädchen Vitamin A zusammen mit der Diphterie Tetanus Keuchhusten Impfung zu geben. Zusammen mit der Masernimpfung ist es dagegen sehr gut. Diese Kombination schadet aber Jungs, vor allem wenn sich noch weiter Impfstoffe erhalten. Im Scherz sagen wir: Jungen könne nicht multitasken, zu viele Eindrücke auf einmal überfordern sie."
    Effekte der Impfungen bei Mädchen stärker
    In den letzten 20 Jahren haben viele Studien aus dem Bandim Health Porject und inzwischen auch aus anderen Ländern belegt:Mädchen und Jungen reagieren unterschiedlich, aber wie genau, ist schwer vorherzusagen und muss in jedem Einzelfall untersucht werden. Peter Aaby sieht nur ein Muster in den bisher vorliegenden Befunden:
    "Es sieht so aus, als ob die unspezifischen Effekte der Impfungen bei Mädchen stärker sind. Sie zeigen intensivere positive aber auch stärkere negative Effekte, vor allem bei Totimpfstoffen."
    Die genauen Ursachen hinter diesen Unterschieden sind noch unbekannt. Generell ist aber klar, dass sich das Immunsystem von Frauen von dem der Männer unterscheidet. Dafür gibt es einen wichtigen biologischen Grund: die Schwangerschaft. Das Immunsystem der werdenden Mutter darf das für sie fremde Gewebe des Fetus nicht abstoßen. Die weibliche Abwehr wird also anders reguliert, dass zeigt sich zum Beispiel auch darin, dass Frauen häufiger unter Autoimmunkrankheiten leiden, als Männer.
    "Die Systeme sind also unterschiedlich, aber man dachte, das beginnt erst in der Pubertät. Aber die Basis des Immunsystems wird nach der Geburt gelegt. Die Gene sind dann schon aktiv. Wohl deshalb finden wir viele Situationen in denen Jungen und Mädchen völlig anders reagieren."
    Verschiedene Genaktivität?
    Ob das mit Unterschieden in den Hormonen oder vielleicht in der Genaktivität zusammenhängt, ist noch nicht erforscht. Dass das Geschlecht schon vor der Pubertät einen wichtigen Einfluss ausübt, ist aber klar und im Grunde auch nichts neues, so das Christine Benn.
    "Alle Kinderärzte wissen: Jungen und Mädchen leiden unterschiedliche häufig an bestimmten Krankheiten. Das ist einfach ein weiterer Beleg dafür, dass Jungen und Mädchen nicht gleich sind.
    Die Effekte wurden bislang vor allen in Afrika und Asien beschrieben, ob sie in den Industrienationen, mit ihrer viel niedrigeren Kindersterblichkeit eine Rolle spielen, ist unbekannt. Aber wenn diese unspezifischen Effekte genauer beschrieben sind, könnte es zumindest in Afrika in Zukunft unterschiedliche Impfempfehlungen für Jungen und Mädchen geben.