Montag, 29. April 2024

Archiv

Uraufführung von "Salomé" 1896
Oscar Wilde nimmt menschliche Abgründe unter die Lupe

Liebe und Tod, Lust und Entsagung, Zorn und Rache. Eine Frau, die den Geliebten ermorden lässt, weil der sie zurückweist, ein Mann, der nur Hass predigt, aus kompromisslosem religiösem Eifer. Oscars Wildes Drama "Salomé" war harte Kost für das Publikum bei seiner Premiere.

Von Almut Finck | 11.02.2021
    Strauss und Salome - Karikatur von W. Bithorn, 1911 Der Komponist Richard Strauss (1864 1949) dirigiert sein Werk vor einem umfallenden Notenständer, während Salome ihm das abgeschlagene Haupt des Jochanaan heranträgt
    Die Oper Salomé war bei der Uraufführung 1905 starker Tobak für das Publikum, in Wien konnte das Werk wegen „die Sittlichkeit beleidigender“ Handlung nicht gezeigt werden (imago images/KHARBINE TAPABOR )
    "Die Prinzessin Salomé. Wie schön sie ist. Heute Abend."
    "Ihr schaut sie immer an. Ihr schaut sie zu viel an."
    "Sie gleicht einer Taube, die sich verflog. Sie gleicht einer Lilie, die im Winde zittert."
    "Was macht euch das aus? Warum schaut ihr sie an? Man soll sie nicht anschauen. Es könnte ein Unglück geschehen."
    Es wird ein Unglück geschehen. Blutgetränkt, so der Literaturwissenschaftler Rainer Kohlmayer, sei Oscar Wildes Bühnenstück Salome: "Und der Tod liegt von Anfang an in der Luft."
    Ein fremder Prophet, Jochanaan, alias Johannes der Täufer, der im Kerker sitzt und herausruft: "Freue dich nicht, Land Palästina. Denn aus dem Geschlecht der Schlange wird kommen ein Basilisk, und aus diesem, was verschlingen wird die Vögel."

    Radikales Begehren trifft auf radikale Askese

    Eine blühende Jungfrau, die Prinzessin Salomé, deren erotisches Verlangen durch die Stimme des Propheten geweckt wird.
    "Ich werde deinen Mund küssen, Jochanaan. Er ist wie ein Granatapfel, zerschnitten mit einem Messer aus Elfenbein. Lass mich deinen Mund küssen!"
    "Nie, Tochter Babylons!"
    Titelblatt von Oscar Wildes "Salomé", illustriert von Aubrey Beardsley
    Titelblatt von Oscar Wildes "Salomé", illustriert von Aubrey Beardsley (imago / Migny/ Kharbine-Tapabor)
    Radikales Begehren trifft auf radikale Askese. Jochanaan widersteht. Aus Rache erbittet die Prinzessin am Ende vom König Herodes Antipas den abgeschlagenen Kopf des Jochanaan. Der geifernde Alte ist berauscht von Salomés laszivem Tanz der Sieben Schleier und erfüllt der Stieftochter ihren blutrünstigen Wunsch.
    "Nun ja, Jochanaan. Ich, ich lebe noch, aber du, du bist tot. Und dein Kopf ist mein. Ich kann ihn den Hunden auf die Erde werfen und den Vögeln in die Luft. Aaahhh, warum hast du mich nicht angeschaut, Jochanaan."

    Uraufführung in Paris und auf Französisch

    Was für ein Stoff - überliefert beim Evangelisten Markus im Neuen Testament – und was für Motive! Salomé, das Haupt des Täufers auf einer silbernen Schale in ihrem Schoß, Salomé, wie sie tanzt. Unzählige Künstler hat diese so verstörende wie elektrisierende Frauengestalt fasziniert. Tizian hat sie gemalt, Carravagio, Gustave Moreau, Lovis Corinth, Kokoschka. Man hat sie besungen und bedichtet, Flaubert, der Erzähler, Laforgue und Mallarme, die großen Symbolisten, und Oscar Wilde, der irische Schriftsteller.
    Sein Drama Salomé wurde am 11. Februar 1896 uraufgeführt, nicht in Wildes Heimatstadt Dublin, nicht in London, wo der prüde viktorianische Zensor eine Aufführung des Stückes verbot, sondern in Paris – und auf Französisch, der Sprache, in der Oscar Wilde das Stück auch geschrieben hatte.
    Kohlmayer: "In Salomé spielt er auf diesem, wie er sagte, Instrument der französischen Sprache: L‘amour, la mort. Diese Verbindung von Liebe, l'amour, und Tod, la mort, die geht eben in keiner anderen Sprache so suggestiv musikalisch."

    Erst durch Strauss wurde Salomé berühmt

    Paris war, neben Wien, die Kulturhauptstadt des fin de siècle, der Jahrhundertwende, wo Aufbruch an Angst gekoppelt war, Moderne an Melancholie und die Liebe an den Tod. Sigmund Freud wird Eros und Thanatos, den Lebens- und den Todestrieb, 1920 als die zwei Grundkräfte menschlichen Seins beschreiben. Wilde tat das schon früher, auf dem Theater.
    Kohlmayer: "Wilde treibt diese Tragik auf die absolute Spitze. Denn dieser Kuss, den Salomé auf die Lippen des abgeschlagenen Kopfes drückt, ist sicher das katastrophalste, das, konzentrierteste und schockierendste Bild für diese Verbindung von Tod und Liebe."
    "Aaaaah, ich habe Deinen Mund geküsst, Jochanaan. Deine Lippen schmeckten bitter. War es der Geschmack des Blutes? Vielleicht ist es auch der Geschmack der Liebe."
    Oscar Wildes Salomé – hier eine Hörspielfassung mit der jungen Katharina Thalbach in der Titelrolle – war als Theaterstück wenig erfolgreich. Dass die Tragödie dennoch berühmt wurde, liegt an dem Komponisten Richard Strauss. Strauss ließ sich von Oscar Wildes fiebrig verknappter Sprache und seinen suggestiven Bildern zu einer grandiosen Oper inspirieren. Diese Salomé wird bis heute weltweit gespielt.