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US-Vorwahlen
"Auch Clinton spaltet das Land"

Friedrich Merz sieht Hillary Clinton nach dem "Super Tuesday" im Rennen um die US-Präsidentschaft klar favorisiert. Die Kandidatin der Demokraten habe bei den Wählern einen großen Vorsprung, sagte der Vorsitzende des Vereins "Atlantik-Brücke" im DLF. Dass der Republikaner Donald Trump Präsident werden könne, glaubt Merz nicht. Allerdings würden es für die USA auch bei einem Sieg Clintons schwere Jahre.

Friedrich Merz im Gespräch mit Dirk Müller | 02.03.2016
    Friedrich Merz, Vorstandsvorsitzender der Atlantik-Brücke
    Friedrich Merz, Vorstandsvorsitzender der Atlantik-Brücke (picture alliance/dpa/Bernd Von Jutrczenka)
    Denn nicht nur Trump - auch die frühere Außenministerin spalte das Land. Zudem werde auch sie es mit einem republikanisch dominierten Senat zu tun haben.
    Merz gab allerdings zu bedenken, dass weder Trump noch Clinton ihre Nominierungen sicher hätten. Schließlich gebe es noch Vorwahlen in 35 weiteren Staaten, darunter wichtige wie Kalifornien, Florida und New York.
    "Alle Kandidaten haben ihre Vor- und Nachteile"
    Auf die Frage, wen er wählen würde, wäre er Amerikaner, sagte Merz: "Ich wüsste das nicht." Alle Kandidaten hätten ihre Vor- und Nachteile. Die Frage sei, wer das Land wieder einen könne und eine gemeinsame Zukunft mit Europa suche. Merz fügte hinzu, er sei als Vorsitzender der "Atlantik-Brücke" aber ohnehin zu Neutralität verpflichtet.
    Merz betonte, Europa brauche die USA, diese brauchten aber auch Europa. In dieser Beziehung sehe er bei Trump ein großes Fragezeichen. Er gehe aber davon aus, dass Trump als Präsident zur politischen Vernunft käme.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Nennen wir noch einmal die Bundesstaaten, um die es uns jetzt geht: Alabama, Alaska, Arkansas, Colorado, Georgia, Massachusetts, Minnesota, Oklahoma, Tennessee, Texas, Vermont und Virginia und auch auf Samoa wurde gewählt. Das gehört zum amerikanischen Außengebiet. Donald Trump und Hillary Clinton liegen ganz klar vorne, aber sie haben längst nicht alles gewonnen.
    Am Telefon ist jetzt der CDU-Politiker Friedrich Merz, Vorsitzender der Atlantik-Brücke, die sich um die Pflege der deutsch-amerikanischen Beziehungen bemüht. Guten Morgen.
    Friedrich Merz: Guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Herr Merz, lohnt sich so langsam eine Audienz bei Donald Trump?
    Merz: Das ist jedenfalls langsam im Bereich des Möglichen. Wir müssen uns wohl mit dem Gedanken langsam beschäftigen, dass Donald Trump der Kandidat der Republikaner werden könnte. Ich sage das unter allen Vorbehalten. Wir können gleich vielleicht auch mal noch über die Zahlen ein bisschen sprechen. Aber ich sehe unverändert nicht, dass er Präsident in Amerika wird. Da hat Hillary Clinton sicherlich einen großen Vorsprung.
    Müller: Aber in der Vergangenheit haben die Atlantiker, die deutschen Atlantiker - dazu gehören Sie ja führend - immer wieder auch Kontakt zu allen Potentaten gesucht in den Vereinigten Staaten.
    "Es gab immer wieder eine gewisse Radikalisierung in den Wahlkämpfen"
    Merz: Wir suchen keinen Kontakt zu Potentaten, sondern wir suchen Kontakt und haben gute Kontakte zu führenden Politikern der Vereinigten Staaten von Amerika. Trump gehört übrigens bisher nicht dazu. Er war ja auch bisher nicht in der Politik. Aber noch einmal: Die Vorwahlen sind wichtig, aber sie finden jetzt noch in weiteren 35 Staaten statt. Darunter sind sehr große Staaten mit sehr vielen Delegierten, etwa Florida, Kalifornien, auch New York. Und wenn Sie einmal genau auf die Zahlen sehen: Trump braucht gut 1.200 Delegierte als Nominierung. Er hat jetzt knapp 300. Er hat noch nicht einmal ein Viertel der Delegierten, die er für eine Nominierung auf dem Parteitag der Republikaner braucht. Für Befürchtungen oder gar Panik, dieser Mann könnte Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika werden, ist es zu früh.
    Müller: Ist es zu früh, aber es wäre Panik?
    Merz: Nein, es wäre auch keine Panik. Wir haben in Amerika ja immer wieder solche Ausschläge auch erlebt, auch eine gewisse Radikalisierung in den Wahlkämpfen, denken Sie mal an Barry Goldwater zurück in den 60er- und 70er-Jahren, Joe McCarthy. Das waren auch Präsidentschaftskandidaten mit extremen politischen Programmen. Sie sind dann auch nie Präsident geworden. Ich sehe Hillary Clinton nach diesen Vorwahlen jetzt noch eindeutiger als Kandidatin und als potenzielle neue Präsidentin in den Vereinigten Staaten von Amerika. Aber noch einmal: Es ist zu früh. Es ist auch für Hillary Clinton zu früh. Auch sie hat bis jetzt nur rund ein Viertel der Delegierten, die sie braucht. Die Wahlen in den großen Staaten mit vielen Delegierten und vielen Wählerinnen und Wählern, die finden erst noch statt.
    Müller: Sie sind ja immer bekannt für offene Worte, Friedrich Merz, haben die Greencard nicht, sind kein Amerikaner. Wenn Sie mitwählen könnten, würden Sie ganz klar für die Demokratin Hillary Clinton stimmen?
    "An den Clintons spalten sich die Amerikaner"
    Merz: Ich würde mich in diesem Jahr so schwer tun wie in kaum einem anderen Wahljahr in den USA zuvor. Ganz ehrlich: Ich wüsste nicht und weiß bis heute nicht, wen ich wählen würde, wenn ich amerikanischer Staatsbürger wäre.
    Müller: Kein Plädoyer für Hillary Clinton gegen Donald Trump?
    Merz: Alle Kandidaten haben ihre Vor- und Nachteile. Und vielleicht darf ich auch das in diesem Zusammenhang sagen: Wir sind als Atlantik-Brücke natürlich auch hier zur parteipolitischen Neutralität verpflichtet. Genauso wie wir das in Deutschland tun, tun wir das auch in Amerika. Die Frage für uns ist ja, wer ist eigentlich in Amerika der Kandidat, der das Land wieder eint und der auch mit Europa eine gute politische gemeinsame Zukunft sucht. Da kann man auf den ersten Blick sagen, das ist Hillary Clinton. Man muss allerdings zweierlei Aspekte im Blick behalten. Erstens: Auch Hillary Clinton spaltet das Land. Es ist nicht so, dass sie die große Versöhnerin ist. An den Clintons spalten sich die Amerikaner. Zum zweiten: Wir haben es innerhalb der amerikanischen Politik auch ziemlich sicher nach dem 8. November mit einem republikanisch dominierten Senat zu tun. Wenn Hillary Clinton Präsidentin wird, würde sie innerhalb der Vereinigten Staaten von Amerika große Hürden vor sich sehen, das Land wieder zusammenzuführen und zu einen, allein weil die parteipolitische Konfrontation zwischen Weißem Haus und Senat aller Voraussicht nach fortgesetzt wird. Das werden schwierige Jahre.
    Müller: Das sind kritische Worte gegenüber Hillary Clinton, die ja auch in den Vereinigten Staaten sehr, sehr häufig ventiliert werden, und das natürlich schon seit Jahren. Warum ist das so? Sie kennen beide Länder ja sehr gut, Deutschland naturgemäß noch besser. Die Deutschen hätten ja vermutlich jetzt gefühlt 99,9 Prozent für Obama gestimmt und mit Clinton ist man nicht ganz so zufrieden, aber doch 80, 85 Prozent Zustimmung für Hillary Clinton. Warum ist das so, dass die Deutschen immer besser wissen als die Amerikaner, wen man wählen soll?
    "Die Amerikaner sind kriegsmüde und gleichzeitig wollen sie führen"
    Merz: Sie meinen, es besser zu wissen. Sagen wir es so. Es gibt in Deutschland Stimmungen und Beobachtungen, die sehr aus europäischer und deutscher Sicht geprägt sind. Amerika ist anders, auch in Wahlkämpfen. Uns kommen diese amerikanischen Wahlkämpfe ja sehr fremd vor. Sie sind es aus unserer Sicht ja auch, alleine wenn man diese Unsummen der Wahlkampfgelder sieht, die dort gebraucht werden, um überhaupt in die Nähe des Weißen Hauses zu kommen. Die Amerikaner sind im Grunde seit den 70er-Jahren - man kann es sogar mit einem Datum verbinden: im Grunde seit der Watergate-Affäre von 1972 - mit sich selbst nicht mehr im Gleichgewicht, und dies hat Auswirkungen auf die politischen Parteien gehabt, das hat Auswirkungen auf das Regierungshandeln. Und wenn Sie dann noch sehen, was Amerika an internationalem Engagement gezeigt hat und wo es ja auch gescheitert ist - es würde wahrscheinlich in einer Umfrage in Deutschland auch über Obama mittlerweile viel größere Skepsis geben im Hinblick auf sein militärisches und außenpolitisches Engagement -, dann hat das Auswirkungen auf die Stimmung in Amerika. Die Amerikaner sind kriegsmüde und gleichzeitig wollen sie führen. Sie wollen Weltmacht sein und bleiben. Das sind Konflikte, die in diesem Land ausgetragen werden, die sehr tief reichen und die für unser Verständnis von Politik manchmal nicht so richtig erklärbar sind. Insofern werden das auch weitere spannende Monate werden bis zum 8. November.
    Müller: Ist das viel schwerer für Amerika, auch international eine Rolle, die man sich vornimmt, konsequent auszufüllen, als das, was wir so machen: so ein bisschen beobachten, mal ein bisschen Geld spenden und dann meistens kritisieren, wenn was nicht funktioniert hat?
    Merz: So funktionieren unsere Wahlkämpfe und unsere politischen Parteien. In Amerika spielen die Parteien eine viel geringere Rolle und spielen die Personen und ihr Potenzial, Geld einzusammeln, eine viel größere Rolle. Gleichzeitig müssen wir als Europäer ein hohes Interesse daran haben, dass es nach diesen Wahlen - und zwar ganz unabhängig davon, wer dann wirklich Präsident wird -, dass es nach diesen Wahlen sofort eine Gesprächsebene, eine Basis für gute politische Zusammenarbeit zwischen Europa und Amerika gibt. Denn die Herausforderungen auf dieser Welt werden nicht kleiner, sie werden größer, und das können Sie ja in jeden Nachrichten hören und sehen, die wir hier auch in Deutschland empfangen. Wir brauchen Amerika an unserer Seite, Amerika braucht aber auch Europa an seiner Seite, und da gibt es bei Trump sicherlich ganz große Fragezeichen, keine Frage.
    Müller: Herr Merz, ich muss das ausnutzen, dass Sie bei uns heute Morgen hier als Interviewpartner sind, den Amerikaner bei Ihnen noch mal ein bisschen locken. Kommen wir noch einmal auf Donald Trump zurück. Hillary Clinton haben Sie ja bereits analysiert. Ist Donald Trump nicht so schlimm, wie wir ihn machen?
    "Dieses Land ist in einer schwierigen Lage"
    Merz: Ich zögere etwas mit einem Urteil und einer persönlichen Bewertung dieses Mannes. Es ist ein Phänomen. Es ist zum Teil ein erschreckendes Phänomen. Er punktet vor allem bei den unzufriedenen weißen Männern und er artikuliert etwas, was in der amerikanischen Mittelschicht seit langer Zeit gärt, nämlich die nicht mehr vorhandene Möglichkeit, den Aufstieg von ganz unten nach ganz oben zu schaffen. Da hat sich in Amerika in den letzten Jahren und Jahrzehnten etwas verändert. Dieses Gefühl, dieses nicht mehr vorhandene positive amerikanische Lebensgefühl einer gewissen Schicht in Amerika, das wird von ihm artikuliert und natürlich auch rhetorisch bedient.
    Müller: Zurecht?
    Merz: Ja, da hat er zum Teil sogar Recht. Im Übrigen sind das ja auch Themen, die Hillary Clinton thematisiert, Sanders zum Teil noch mehr. Die Frage ist nur und die spaltet das Land: Wie kommt Amerika aus dieser ja zum Teil richtig analysierten Lage wieder heraus und wie schaffen die Amerikaner es wieder, diesen Grundoptimismus so auch im Lande zu verankern, dass gerade die weiße Mittelschicht das Gefühl hat, wir können das wieder auch individuell mit unserer Familie, mit unseren Kindern, wir können das wieder schaffen. Da haben sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten Dinge in Amerika verändert, die uns auch in Europa schon beschäftigen müssen, denn dieses Land ist in einer schwierigen Lage, innenpolitisch, außenpolitisch, und da kann man nur hoffen, dass nach den Wahlen am 8. November, selbst wenn es dann einen Präsidenten Donald Trump gäbe, was ich immer noch nicht glaube - Sie hören meinen mehrfachen Konjunktiv -, dass dann auch ein Präsident Donald Trump zur Vernunft kommt, und zwar innenpolitisch wie außenpolitisch die Hand ausstreckt und dafür sorgt, dass es nicht ganz so extrem wird, wie es im Wahlkampf manchmal klingt.
    Müller: Das ist ein gutes Stichwort. Schauen wir vielleicht auch noch einmal auf unsere Perspektive. Wir wussten - ich sage jetzt mal wir im Kollektiv, stimmt natürlich nicht -, dass Silvio Berlusconi nicht gut ist für Italien. Wir wussten ja auch, dass Wolfgang Schüssel und Jörg Haider nicht gut sind für Österreich. Da hat es ja sogar auch dann massive Sanktionen innerhalb der Europäischen Union gegeben. Und jetzt wissen wir, dass Donald Trump nicht der Richtige ist, nicht der Richtige wäre. Können so viele Amerikaner, die ihn jetzt schon gewählt haben, total irren?
    "Eine Grundstimmung, die sich gegen unsere Form der Demokratie richtet"
    Merz: Herr Müller, da muss ich Ihnen zunächst an einer Stelle nachdrücklich widersprechen. Wolfgang Schüssel ist ein guter Bundeskanzler für Österreich gewesen und ihn in diese Reihe zu stellen, ist unfair und ist auch der Person Wolfgang Schüssel nicht angemessen.
    Müller: Hat die Bundesregierung aber gemacht damals. Das meinte ich damit.
    Merz: Das hat die Bundesregierung damals gemacht. Wenn die heutige Bundesregierung sich gegenüber Griechenland genauso verhalten würde, wie sie es gegenüber Österreich damals in einer Weise, die nicht akzeptabel war, gemacht hat, dann hätten wir mit Griechenland heute überhaupt keinen Dialog mehr. Da sitzen ganz andere Leute in der Regierung als damals in Österreich. Lassen wir das Thema jetzt mal auf der Seite. Dieser Vergleich, der ist unzulässig. Trotzdem ist richtig: Wir haben es mit einer politischen Radikalisierung zu tun, zum Teil ja auch in Europa. Sehen Sie sich die Wahlergebnisse in Frankreich an. Sehen Sie sich die Wahlergebnisse auch in Teilen Deutschlands an. Da ist eine Grundstimmung vorhanden, die sich gegen unsere Gesellschaftsform, unsere Form der Demokratie richtet, eine riesengroße Skepsis bei vielen Wählerinnen und Wählern auf beiden Seiten des Atlantiks, dass unsere politischen Systeme, dass unsere Demokratie noch funktioniert, und das muss ich Ihnen sagen, das macht mir wirklich große Sorgen. Das ist ein Thema, da müssen sich alle politischen Parteien drum kümmern und alle Kandidaten müssen dazu beitragen, dass dieses Gefühl nicht noch weiter verbreitet wird.
    Müller: Wir greifen das gerne wieder bei anderer Gelegenheit mit Ihnen auf. Wir sind jetzt kurz vor den Nachrichten hier im Deutschlandfunk. - Der CDU-Politiker Friedrich Merz bei uns im Interview, Vorsitzender der Atlantik-Brücke. Vielen Dank für das offene Gespräch, Ihnen alles Gute.
    Merz: Vielen Dank, Herr Müller! Ihnen auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.