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Verdis "Otello" am Theater Basel
Einsamkeit des Mächtigen

Von Frieder Reininghaus | 30.11.2014
    Der Regisseur Calixto Bieito hat sich im Musiktheaterbetrieb positioniert durch die von ihm im Kontext der historischen Handlungen gezeigte Gewaltförmigkeit. Verbunden damit erschien der exzessive Einsatz von menschlichen Körpersäften auf den Bühnen und den Körpern des singenden Personals. Bieito zeigt zu Opern, die in der Regel zumindest auch von Liebe handeln, in freier Nachfolge von Antonin Artauds 'Theater der Grausamkeit', exzessiv Gewalt und Sex sowie stets die kleinlichen, hässlichen und grässlichen Seiten der großen und schönen Gefühle. Auf wohlfeile Weise sind die Haupt- oder Randfiguren meist Opfer einer gnadenlosen und bevorzugt aktuell spätkapitalistischen Gesellschaft. Das protestantisch geprägte Publikum in Basel hatte also die berechtigte Erwartungshaltung, dass Bieito ihnen die Eifersuchtstragödie des altvenezianischen Shakespeare-Mohren Othello blutig brutal kathartisch vor Augen führen werde. Es ist – in voller Höhe – auf seine Kosten gekommen.
    Mit deutlichen Schürfgeräuschen hebt sich der Eiserne Vorhang im Theater Basel, um den Blick auf die finstere Bühne von Susanne Gschwender freizugeben. Eine dunkle Menschenmenge duckt sich unter einem schweren Kran. Die Leute, die den gegen eine islamische Flotte siegreichen Feldherrn bejubeln wollen, rücken aus der Tiefe einer Hafenanlage vor zur Stacheldraht-Absperrung. Die Choreografie der gefesselten Hände ergibt das starke Bild eines perspektive- und trostlosen Advents.
    Der stämmige Litauer Kristian Benedikt mit passenden leichten Aufrauhungen im durchschlagenden Tenor ist Otello, der Mann der Ausgesperrten: Einer, der wie sie von einer gegenüberliegenden Küste gekommen ist, es aber, anders als sie, im Zielland längst zu etwas gebracht hat (immerhin wurde er in der neuen Heimat Chef der Armee); aber er blieb emotional unsicher – geprägt von Minderwertigkeitsgefühlen und daher zur Despotie neigend. Als autoritärer Charakter passt er gut an die zweithöchste Stelle der sozialen Hierarchie und ist ein brauchbarer Populist. Bei der Siegesparty lassen sich die Zaungäste widerspruchslos vom heftig strömenden Champagner bespritzen.
    Rasch schälen sich die konträren Männer-Charaktere heraus. Dafür sorgt zuvorderst die zugleich ausladende und lakonische Musik Giuseppe Verdis. Gabriel Feltz und das Basler Sinfonieorchester entwickeln sie wirkungsvoll in den Passagen der knappen Härte wie bei Diskursen der Verstrickung in die Intrige, den Episoden der Erinnerung an die Momente der Verliebtheit oder in den langen Minuten der Gebete. Mit Simon Neal verfügt die Produktion über einen Jago der Extraklasse – zum vorzüglich geführten Bariton kommt eine Körpersprache der servilen Verbiegungen und der alerten Selbstüberschätzung. Beiläufige Gesten charakterisieren einen Menschen, der sich das eigentlich menschlich Unmögliche zumutet, um sein menschenverachtendes Ziel zu erreichen.
    Calixto Bieito, heuer Regisseur in Residence am Theater Basel, folgte einem Gedanken von Max Frisch: "Das allgemeinste Gefühl von Minderwert ist die Eifersucht. Der Eifersüchtige ist immer ein Mohr." Gestützt auf diesen Inszenierungsansatz musste der Heldentenor nicht mit schwarzer Schuhcreme aufbereitet werden. Ohnedies will die Produktion keinen historischen Realismus pflegen. Übrigens auch keinen zeitgenössischen. Die Anspielungen auf die angelandeten Boat People und das Mittelmeer als den monströsen Friedhof Europas sind und bleiben akzidentiell.
    Deshalb wirkt auch nur im ersten Moment irritierend, dass Otello mit der annektierten Braut aus dem Hafengelände nicht wenigstens in ein Hotelzimmer abgeht, sondern vorm Kran seine Beziehungskiste verhandelt (und auch getrennt von ihr abgeht). Das schwere Ladegerät erscheint übrigens schon vorsorglich gelb wie die Eifersucht. An seinem Haken wird kurzerhand einer gehenkt um klarzustellen, wie wenig ein Menschenleben in Otellos Machtbereich zählt. Wie locker ihm die Hand zum Schlag sitzt, stellt Kristian Benedikt sowohl gegenüber Untergebenen wie mit Desdemona unter Beweis. Die junge Lady aus der venezianischen Hocharistokratie kommt im locker sitzenden Pelzmantel und weiß eigentlich, was sich bei einem Helden schickt. Aber sie kann mit den Beteuerungen ihrer Treue das Unheil so wenig abwenden wie mit ihren Gebeten. Svetlana Ignatovitch betet so klangschön vom hohen Gestänge aus wie sie formvollendet über die Schienen torkelt und das erwürgte Leben endet.
    Otello schließlich – getäuscht und in eine Parallelwirklichkeit getrieben, degradiert und gesellschaftlich isoliert – flüchtet sich auf den Ausleger des Krans zum einzigen letzten Schritt, der ihm bleibt. Calixto Bieito hat, mit sehr viel genauerer Personenführung als bei vielen seiner früheren Produktionen, die Seelennöte und das Beziehungsdrama als etwas sehr Privates in einem schmerzhaft öffentlichen Raum preisgegeben.