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Vereinte Nationen
Der "Kämpfer" Jean Ziegler

"Der schmale Grat der Hoffnung" heißt das neue Buch des Schweizer Soziologen und Publizisten Jean Ziegler. Der 83-Jährige resümiert darin die Kämpfe seines Lebens, auch als Mitarbeiter der Vereinten Nationen. Um ihre Schlagkraft zu stärken, sieht er dringenden Reformbedarf.

Von Eva Pfister |
    Jean Ziegler bei der lit.Cologne 2017.
    Im neuen Buch resümiert der 83-jährige Jean Ziegler die Kämpfe seines Lebens, auch innerhalb der Vereinten Nationen. (imago - APress)
    Seit dem Jahr 2000 ist Jean Ziegler für die Vereinten Nationen tätig, derzeit im Beratenden Ausschuss des UN-Menschenrechtsrats. Seine Erfahrungen sind ernüchternd, - und doch besticht auch sein neues Buch durch unbeirrbaren Optimismus. Das verrät schon der Untertitel: "Meine gewonnenen und verlorenen Kämpfe und die, die wir gemeinsam gewinnen werden".
    Zunächst aber berichtet Ziegler in "Der schmale Grat der Hoffnung" von den vielen verlorenen Kämpfen der UNO und ihrer Vorgängerorganisation, dem Völkerbund. Eine aktuelle und besonders schmerzhafte Erfahrung ist für ihn das fortwährende Scheitern der Friedensbemühungen im Syrienkrieg. Schuld daran sei oft ein Veto im UN-Sicherheitsrat.
    "Für die UNO ist das Vetorecht heute eine Geisel. Es ist schuld an der Ohnmacht der Vereinten Nationen. Genauer: an ihrer Unfähigkeit, ihre wichtigste Funktion wahrzunehmen, das heißt, für die kollektive Sicherheit auf unserem Planeten zu sorgen."
    Pläne zur Reform der Uno
    Das Vetorecht der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats - also USA, Russland, Frankreich, England und China - wird heute von vielen als das größte Hindernis für eine effektive Arbeit der UNO eingeschätzt. Ziegler befürwortet Reformpläne, die vorsehen, das Vetorecht bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit außer Kraft zu setzen und die ständigen Sitze im Sicherheitsrat einem Rotationsprinzip zu unterwerfen. Außerdem ist er der Meinung, dass der UNO das Recht eingeräumt werden soll, ihre "Schutzverantwortung" auch durch militärische Aktionen wahrzunehmen.
    "Wenn diese Intervention entschlossen und systematisch praktiziert würde, könnten jedes Jahr Zehntausende von Menschenleben gerettet werden. Auch hierbei wird die Rolle der internationalen Zivilgesellschaft von entscheidender Bedeutung sein."
    Zivilgesellschaft nennt Jean Ziegler die globale Bewegung engagierter Menschen, wie er sie im vergangenen August am Weltsozialforum in Montreal erlebt hat. In sie setzt er große Hoffnung:
    "Gewiss, sie ist nicht ohne innere Widersprüche, und es ist ungewiss, wie die zahlreichen Kämpfe, die sie führt, ausgehen werden. Aber diese planetarische Zivilgesellschaft, diese rätselhafte Bruderschaft der Nacht, gerüstet mit den Waffen einer wiederauferstandenen UNO, bildet den sichtbaren Horizont einer Welt, die endlich menschlich wird."
    Verlorener Kampf gegen "Geierfonds"
    Jean Ziegler ist also seinem "Optimismus des Willens", wie er das nach einem Wort Antonio Gramscis nennt, treu geblieben. Die Empörung über eine Weltwirtschaft, die so oft zu Hungerkatastrophen in der Dritten Welt führt, treibt ihn an, seit er als junger Mann zum ersten Mal in Afrika weilte. Im neuen Buch resümiert der 83-Jährige die Kämpfe seines Lebens, auch innerhalb der Vereinten Nationen.
    So hat er etwa, gemeinsam mit einem argentinischen Kollegen, im UN-Menschenrechtsrat für eine Resolution gegen die sogenannten "Geierfonds" gekämpft. Mit ihnen kaufen Spekulanten alte Staatsschulden auf, um von den verarmten Ländern dann die Rückzahlung einzutreiben. Die Resolution wurde abgelehnt. Es war einer der verlorenen Kämpfe, die Ziegler manchmal resignieren lassen:
    "Die UNO ist blass und kraftlos. Der Traum, den sie ursprünglich verkörperte - die Errichtung einer gerechten Weltordnung -, ist gescheitert. Vor der Allmacht der privaten Oligarchien erweisen sich ihre Interventionsmittel als weitgehend wirkungslos."
    Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung
    In anderen Kämpfen war Jean Ziegler erfolgreicher. Jahrzehntelang warf er den Schweizer Banken vor, dass sie Geld von Diktatoren waschen würden, aber andererseits den Erben von Holocaustopfern die Ersparnisse ihrer ermordeten Verwandten vorenthielten. Durch sein Buch "Die Schweiz, das Gold und die Toten" und durch seine Aussagen vor dem Bankenausschuss des US-Senats hat er dazu beigetragen, dass die Finanzinstitute zumindest eine pauschale Entschädigung bezahlen mussten. In der Schweiz wäre er deswegen beinahe wegen Hochverrats angeklagt worden. Dafür empfing ihn die Regierung in Israel wie ein Ehrengast, als er Jahre danach als UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung das Land bereiste. Aber dann erschien sein Bericht über die Lage in den besetzten Gebieten:
    "Der Sonderberichterstatter stellt die Sicherheitsbedürfnisse Israels nicht infrage und ist sich im Klaren über die tägliche Gefahr, der die israelischen Bürger ausgesetzt sind. Trotzdem ist er der Meinung, dass die praktizierten Sicherheitsmaßnahmen vollkommen unverhältnismäßig und kontraproduktiv sind, weil sie auf eine Kollektivbestrafung der palästinensischen Gesellschaft hinauslaufen und Hunger und Unterernährung unter der palästinensischen Zivilbevölkerung, vor allem bei Frauen und Kindern, verursachen. Das Völkerrecht verbietet die Bestrafung einer ganzen Bevölkerung für Handlungen, die einige ihrer Mitglieder begangen haben."
    Unbestechliches Gerechtigkeitsgefühl
    Kurz danach forderte der israelische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Jean Ziegler als Sonderberichterstatter abzurufen. Das gelang zwar nicht, aber der Kämpfer hatte sich wieder einmal neue Feinde geschaffen.
    "Seither habe ich etliche Gespräche mit Vertretern der Regierung Israels geführt. Dabei habe ich versucht, ihnen zu erklären, dass ich, als ich der Aufforderung des Jüdischen Weltkongresses nachkam, vor dem amerikanischen Senat auszusagen…, genau den gleichen Beweggrund hatte wie bei meinem Bericht über die Unterernährung in Palästina: das elementare Gerechtigkeitsgefühl."
    Ja, unbestechlich ist er, dieser Jean Ziegler! So verzeiht man ihm bei der Lektüre doch manche Eitelkeit und sozialromantische Revolutionsverklärung. Wobei das neue Buch auch ein Kapitel enthält, in dem er sich dafür rechtfertigt, ja beinahe entschuldigt, dass er alten Revolutionsführern wie Gaddafi und Saddam Hussein auch dann noch die Treue hielt, als sie sich schon zu Diktatoren ausgewachsen hatten.
    Jean Ziegler: "Der schmale Grat der Hoffnung. Meine gewonnenen und verlorenen Kämpfe und die, die wir gemeinsam gewinnen werden." Aus dem Französischen von Hainer Kober.
    C. Bertelsmann Verlag, 320 Seiten, 19,99 Euro