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Verkürzte Wahrheit, verfälschte Geschichte

In den russischen Medien, ob TV oder Print, schlägt die ZDF-Serie über den Zweiten Weltkrieg "Unsere Mütter, unsere Väter" hohe Wellen: Die Serie verharmlose den Holocaust, Nazi-Akteure hätten nur mit schlechtem Gewissen teilgenommen und vor allem: Die Helden der Roten Armee werden anders als in russischen Geschichtsbüchern dargestellt.

Von Thomas Franke |
    Alexej Puschkow in seiner wöchentlichen Sendung "Postskriptum": Das ZDF habe einen Film über den Zweiten Weltkrieg ausgestrahlt, "Unsere Mütter, Unsere Väter". Darin sei ein anderer Blick auf die Geschichte gezeigt, als der gewohnte – so Puschkow.

    "Es gibt noch folgenden Subtext: die deutschen Soldaten verteidigten Europa vor den sowjetischen Barbaren. In Deutschland wurde der Film denn auch sogleich als kulturelles Ereignis des Jahres gefeiert."

    Moderator Puschkow ist nicht irgendein Fernsehmoderator in irgendeinem Kanal. Puschkow sitzt im Parlament und ist dort Vorsitzender des Ausschusses für internationale Beziehungen. Außerdem ist er Direkter des Instituts aktueller internationaler Probleme an der diplomatischen Akademie des russischen Außenministeriums. Seine Sendung läuft am Samstagabend zur besten Sendezeit um 20 Uhr auf "TV-Zentr", einem landesweiten Kulturkanal. Er gehört zu mehr als 99 Prozent der Stadtregierung von Moskau.

    "Wenn man diesem deutschen Film glaubt, haben unsere Soldaten dort jeden erschossen und alle Frauen vergewaltigt. Die Untaten der Faschisten gegen Russland dagegen werden mit keinem Wort erwähnt. Was ist das, wenn nicht wieder einmal ein Versuch, die Geschichte umzuschreiben und den anderen einen neuen Blick auf den Krieg aufzuzwingen?"

    In dem Fernsehbeitrag, der dann folgt, sind Ausschnitte aus dem ZDF-Dreiteiler zu sehen. Der Reporter berichtet, "Unsere Mütter, unsere Väter" setze den Akzent darauf, dass sich die Mehrheit der Deutschen den Befehlen Hitlers widersetzt habe. Dazu ist jene Szene aus dem deutschen Film zu sehen, in denen die deutschen Soldaten Schokolade verschenken, menschlich sind. Der russische Reporter setzt Dokumentarbilder des Krieges dagegen: brennende Städte, Menschen am Galgen. Einer der Experten, die zu Wort kommen, ist der konservative Journalist Maxim Schewtschenko:

    "Dieser Film ist eine Schande. Dahinter steht der Wunsch, die Verbrechen der Wehrmacht zu verharmlosen, die in der Sowjetunion zum Tod von 27 Millionen Menschen geführt haben. Leider gibt es nicht einen deutschen Film, in dem die schreckliche Vernichtung der sowjetischen Bevölkerung durch deutsche Soldaten gezeigt wird."

    Maxim Schewtschenko ist bekannt für seine Provokationen. Auf die Frage, warum der Film eine Schande sei, rudert er ein wenig zurück. Schande sei zu hart. Doch dann hat er sich warmgeredet.

    "Es entsteht der Eindruck, dass tragische deutsche Jungs und Mädchen in ihrem Innersten den Nationalsozialismus verurteilt oder sogar Widerstand geleistet haben. Und dass auch ihr Kampf gegen den Bolschewismus gut und richtig war. Aber entschuldigen Sie, Deutschland hat die Sowjetunion überfallen. Das Ganze ist nur passiert, weil die Deutschen unsere Grenze überschritten haben und 27 Millionen Menschen umgebracht haben. Das ist der größte Genozid in der Geschichte der Menschheit: der Mord an den Sowjetbürgen. Aber alle reden nur über den Holocaust, niemand redet über diesen Massenmord."

    Russlands Helden haben Europa vom Faschismus befreit, das ist die offizielle russische Sicht. Wie die meisten Wortführer der konservativen Elite möchte auch Maxim Schewtschenko, dass dem entsprechend Anerkennung gezollt wird.

    Im dritten Teil von "Unsere Mütter, unsere Väter" dringen sowjetische Soldaten ein von der Wehrmacht geräumtes Lazarett ein und erschießen die zurückgelassenen Verwundeten. Dann beginnt einer der sowjetischen Soldaten, eine deutsche Krankenschwester zu vergewaltigen. In "Unsere Mütter, unsere Väter" stoppt eine sowjetische Offizierin die Vergewaltigung mit den Worten: "Wir sind sowjetische Soldaten! Befreier - nicht Vergewaltiger". Der russische Reporter lässt diese für das Bild der Sowjetarmee zentrale Szene einfach weg. Stattdessen wirft er den deutschen Filmemachern Weglassungen vor. Es werde nicht erwähnt, wie viele Frauen von deutschen Soldaten vergewaltigt wurden, bemängelt der Autor der Reportage.

    Auch Maxim Schewtschenko regt sich über diese Szene auf.

    "Erstens gab es keine weiblichen Offiziere in den Kampfeinheiten. Es erzürnt mich, dass diese Situation ausgedacht ist. Glauben Sie mir: In Wirklichkeit gab es noch viel härtere Szenen. Da gab es Massenvergewaltigungen dieser deutschen Krankenschwestern und Massenhaften Mord an solchen verwundeten. Und keine Offizierin hätte sie jemals gestoppt. Das Ausgedachte an dieser Szene ist, scheint mir schlimmer als Realismus. In diesem Film werden die Russen irgendwie wie Puppen gezeigt. Wir sind aber keine Puppen."

    Wie an jedem Tag des Sieges gibt es auch am nächsten Donnerstag eine pompöse Parade auf dem Roten Platz in Moskau. In der Provinz sind die Jubelfeiern kleiner. Das individuelle Leid hat in der Öffentlichkeit keinen Platz. Dadurch kann der jeweiligen Geschichtspropaganda kein individuelles Erleben entgegengesetzt werden. Die positive, ruhmreiche Vergangenheit bleibt unwidersprochen. Zwischentöne gibt es in Russland selten.

    Schewtschenko ist einer der Wortführer einer national-konservativen Elite. Die Sendung Postskriptum ist eines ihrer publizistischen Aushängeschilder. Das ZDF verharmlose den Holocaust, indem es suggeriere, dies sei eine Angelegenheit von SS und Polizei gewesen, an der die Wehrmachtssoldaten nur mit schlechtem Gewissen teilgenommen hätten.

    Die russische Führung arbeitet derzeit wieder stark daran, die Rolle Russlands bzw. der Sowjetunion in der Welt herauszustellen. In die Richtung geht auch der Kommentar eines weiteren Experten in dem russischen Fernsehbeitrag. Alexander Prochanow, Mitarbeiter einer kommunistischen Zeitung:

    "Wir werden nie der Auffassung zustimmen, dass die heilige, siegbringende aber auch blutige Rotbannerarmee nach Deutschland eingedrungen ist, um dort Böses zu vollbringen. Wir haben die Konzentrationslager befreit. Und wir haben die Welt vom Faschismus befreit. Nicht Montgomery, nicht Eisenhower, nicht Churchill, sondern die russische Armee hat die Welt vorm Faschismus bewahrt. "

    Institutschef, Politiker und Moderator Puschkow setzt zum Abschluss noch einen drauf:

    "Irgendwie ahne ich, dass es solche Versuche Deutschlands, die Geschichte umzuschreiben, auch künftig geben wird. Also: Fortsetzung folgt. "