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Viel Pietät, wenig Konkurrenz

Vor 30 Jahren war die Welt der Bestatter noch in Ordnung: Wer starb, wurde von seinen Angehörigen würdevoll beigesetzt. Heute haben sich die Bestattungsformen gewandelt: Von schlicht bis bunt, heute ist möglich, wovon Hinterbliebene früher nur träumen konnten.

Von Mirko Smiljanic | 07.04.2011
    München, 7. Februar 2011. Zwei Wochen nach dem Tod von Bernd Eichinger nehmen Freunde und Kollegen in der St.-Michael-Kirche Abschied vom größten deutschen Filmproduzenten. Unter den Klängen des Beatles-Songs "Let it be" tragen Angehörige die Urne des Verstorbenen aus der Kirche.

    "Was bei Eichinger mir aufgefallen ist - und was sich auch in die Breite durchgesetzt hat - am Sarg und an der Urne steht während der Trauerfeier ein großes Bild des Verstorbenen","

    sagt Hermann Weber, Vorsitzender von Aeternitas e.V., Königswinter, einer Verbraucherinitiative für Bestattungskultur.

    ""Das war ein Bilderstreit in den 70er-Jahren, es durften keine Bilder des Verstorbenen gezeigt werden, weil man nicht wollte, dass er wieder anwesend ist. Heute ist es völlig anders, heute will man den Verstorbenen gewissermaßen präsent haben. Da greifen wir alte Bilder auf, diesen Transitus, das Wissen, dass der Verstorbene noch anwesend ist. Daran glauben ja viele, sonst würden wir mit ihm ja nicht feiern."

    850.000 Menschen sterben jedes Jahr in Deutschland - Tendenz steigend. 850.000 Leichen, um die sich, pietätvoll natürlich, 6.000 Bestattungsunternehmen rangeln. 2006 erzielten sie einen Umsatz von etwa zwei Milliarden. Euro - Tendenz sinkend.

    "Das nächste, was kommt, sind Lieder und Musik. In den 70er und 80er Jahren waren das alles Kirchenlieder, heute sind die Hits ganz anders gelegt, heute ist es durchaus der Lieblingssong des Verstorbenen oder ein Song der Familie."

    Beatles-Songs in der Kirche, Bilder des Verstorbenen am Sarg - was heute alltäglich ist, war noch vor wenigen Jahren undenkbar. Aber was genau ist in den letzten drei Jahrzehnten geschehen? Ein Rückblick.

    "Früher gab es ganz klare Verhältnisse! Es war klar, wenn Mutter oder Vater oder Oma starb, welcher Bestatter genommen wird, welcher Friedhof genommen wird, denn der war auch rechtlich zugewiesen, da gab es keine Wahl, es gab eigentlich kurz gesagt nur die Frage: Wird es eine einfache, eine normale oder eine ganz auffällige, repräsentative Beerdigung? Insgesamt war in der Zeit so 70er-, 80er-Jahre ausgerichtet auf die soziale Repräsentation. Also, wer dann starb, sich es erlauben konnte, das musste auch sichtbar sein auf dem Friedhof mit einer großen Feier, mit einem großen Grab und mit einem großen Grabzeichen."

    Das Grab als Prestigeobjekt: Wer Familienangehörige unter die Erde brachte, ließ sich nicht lumpen. Es war die Zeit der todsicheren Geschäfte deutscher Bestattungsunternehmer. Anfang der 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts setzte jeder Betrieb knapp 400.000 Euro um - und das in einem Markt mit besonderen Regeln.

    "Der Bestattungsmarkt ist dadurch charakterisiert, dass Unternehmer den Bedarf nicht künstlich wecken können oder steigern können","

    sagt Dominic Akyel, Soziologe am Max Planck Institut für Gesellschaftsforschung Köln.

    ""Das heißt, es ist vorgegeben, wie viele Leute sterben, und man kann nur den Kuchen neu aufteilen, man kann also nicht den Kuchen größer machen."

    Was so lange kein Problem war, wie Hinterbliebene im Trauerfall zu "ihrem" Bestatter gingen, der ihnen dann sagte, was zu tun sei. Es war, als übe der Bestatter hoheitliche Aufgaben aus, für die halt vergleichsweise hohe Gebühren anfallen. Der Vollständigkeit halber sei hinzugefügt, dass zu dieser Zeit die Krankenkassen noch ein vergleichsweise üppiges Sterbegeld auszahlten, was den Kostendruck entsprechend minderte. Anfang 2004 ist das Sterbegeld abgeschafft worden.

    "Der Bestattungsmarkt unterscheidet sich vor allem dadurch von anderen Wirtschaftsbereichen, dass bestimmte wirtschaftliche Handlungsmuster tabuisiert sind. Dazu gehören Preisvergleiche, Preisverhandlungen auf der Kundenseite, das heißt, Kunden haben normalerweise nicht nach Preisen gefragt, sie haben einfach das gekauft, was ihnen angeboten wurde. Auf der Seite der Anbieter ist es vor allem Werbung, es war über viele Jahrzehnte schwierig für Bestattungsunternehmer Werbung zu betreiben, vor allem Preiswerbung, das heißt, das Werben mit Preisen war im Bestattungsmarkt stigmatisiert."

    " Auf dem Bestattungsmarkt fand keinerlei Wettbewerb statt! Das hat sich beginnend in den 80er-Jahren geändert. Irgendwann fragten sich Hinterbliebene.""

    "Kriege ich das Gleiche nicht etwas billiger? Muss es denn so ein aufwendiger Sarg sein, um bei diesem Beispiel zu bleiben? Hier war dann auch die Keimzelle der Frage, muss dieses Ritual so eng sein, so beklemmend sein?"

    Zaghaft setzte eine Ökonomisierung des Bestattungsmarktes ein, wie sie bis dahin schon alle anderen Wirtschaftsbereiche erfasst hatte. Aldi verkaufte preiswerte Lebensmittel, Ikea günstige Möbel, die Stiftung Warentest verteilte Noten für alles und jeden. Nur die Bestatter bewegten sich noch in einem Raum mit viel Pietät und wenig Konkurrenz. Zumindest ohne sichtbare, unter der Oberfläche brodelte es seit den 80er-Jahren durchaus. Warum Oma in einem teuren Eichensarg bestatten, wenn es auch ein Billigsarg aus Kiefernholz tut? Parallel zur Ökonomisierung des Bestattungsmarktes beobachtet Dominic Akyel vom Kölner Max Planck Institut für Gesellschaftsforschung aber noch weitere Veränderungen: Die Gesellschaft individualisierte immer mehr, der Einzelne war wichtiger als das Kollektiv.

    "Die ersten Zeichen einer Individualisierung sind seit den 80er-Jahren zu beobachten, und da fing es vor allem durch die Aidsbewegung an, das eben individuellere Formen der Trauerfeier, der Trauergestaltung sich etabliert haben, und das wurde dann in den 90er-Jahren von anderen Leuten aufgegriffen."

    Womit eine Entwicklung ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte, die schon in den 60er Jahren begonnen hatte: Die christlichen Kirchen verloren immer mehr Mitglieder und damit immer mehr an Bedeutung. Viele Hinterbliebene fanden sich in den erstarrten kirchlichen Trauerritualen nicht mehr wieder.

    "Früher ist man in der Kirche aufgenommen worden mit der Taufe, hat die Hochfeste des Lebens begleitet von Kirche gelebt, und auch der Tod war Bestandteil, aus der Kirche heraus wurde ich beerdigt, das fällt alles weg, und nun steht der, der damit leben muss, eigentlich total im Wind","

    beklagt der Bergisch Gladbacher Bestatter Fritz Roth, bundesweit bekannt geworden durch sein Engagement für eine neue Trauerkultur. Der praktizierende Katholik würde gerne die Trauergemeinde zurück in die Kirchen lotsen, aber er weiß natürlich aus vielen Gesprächen, wie morsch das Gerüst kirchlicher Rituale mittlerweile ist. Was sich - sagt Hermann Weber von Aeternitas e.V. in Königswinter - auch in Zahlen belegen lässt.

    ""Etwa 40 Prozent aller Trauerfeiern werden heute nicht mehr von einem Priester begleitet, und da ändert sich auch der Ausdruck. Wobei das zwei verschiedene Liturgien sind, die muss man klar voneinander trennen. Im privaten Bereich mit auch privaten Trauerbegleitern, die dann diese Trauerfeier abhalten, wird der Werdegang, die Agenda, die Persönlichkeit des Verstorbenen sehr viel mehr hervorgehoben. da wird in einer anderen Weise gedankt, dass wir ihn hatten. Das wird natürlich von Seiten der Kirche oder der Traditionalisten ganz schwarz angemalt, ich finde aber, das entspricht unserer Entwicklung und auch unserem emotionalen Bedürfnis."

    Es ist schon ein Kulturkampf, der da weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit in Trauerhallen tobt. Vergleichsweise einfache Dinge rücken plötzlich ins Zentrum. Noch vor wenigen Jahren etwa wurden Beerdigungen so inszeniert, dass die Trauernden eine möglichst große Distanz zum Tod hatten.

    "Der Sarg musste vorne stehen, stark dekoriert, kaum sichtbar, der Tod wurde ein bisschen versteckt, er wurde auch aus der Hand gegeben. Und in der neuen Zeit wollen wir den Toten solange wie möglich in unseren Händen haben, deswegen auch dieses unmittelbare, persönliche Bedürfnis. Jeder Psychologe sagt uns, die Nähe nicht meiden, sondern die Nähe suchen, noch einmal Zärtlichkeiten austauschen, noch einmal streicheln, noch einmal daneben stehen, ihn auch noch mal ansprechen, als würde er leben."

    Diese Art der Trauer braucht allerdings neue Rituale, wobei die Palette der Ausdrucksformen unendlich breit ist: Angehörige verlesen letzte Briefe an den Verstorbenen, ein Beamer projiziert Bilder aus seinem Leben an die Wand, der Lieblingswein wird mit ins Grab gelegt.

    "Ein Trauerritual, das relativ jung ist, ist zum Beispiel das Luftballonritual. Dabei werden Luftballons im Moment der Beisetzung in den Himmel entlassen. Das kommt aus den USA, ist von der Aidsbewegung nach Deutschland gebracht worden und hat sich auch mittlerweile in anderen Bereichen etabliert."

    Vor allem in Großstädten hat sich die Art der Bestattung drastisch geändert. Repräsentative, große Grabmale rücken zunehmend in den Hintergrund, einfache und anonyme Bestattungsformen gewinnen dagegen an Bedeutung.

    "Ein Beispiel wären hier zum Beispiel die Waldfriedhöfe, da ersetzen Bäume die traditionellen Grabbauten als Stätten der Erinnerung."

    Diese Entwicklungen setzen zweierlei voraus: Eine politische Liberalisierung des Bestattungsmarktes und eine ökonomische Privatisierung. "Mittlerweile", sagt Dominic Akyel, "wird etwa ein Drittel aller Krematorien in Deutschland als privatwirtschaftliche Unternehmen geführt. Gleichzeitig etablierten sich neuartige Urnenbegräbnisstätten in privater Verwaltung." Außerdem wurden einige gesetzliche Regelungen gelockert, der Sargzwang etwa.

    "Der Sargzwang bezieht sich auf die Pflicht zur Beisetzung in einem Sarg, und die Lockerung des Sargzwangs, das heißt nicht, dass man den Sarg jetzt weglassen kann, aber man kann hier zum Beispiel den Deckel weglassen, und das ist vor allem deshalb wichtig, weil eigentlich Muslime nicht im Sarg bestattet werden wollen."

    Die Tendenz ist eindeutig: Weg von der staatlich reglementierten Bestattung, hin zur individuellen Trauer. Für Fritz Roth, dem Bergisch Gladbacher Bestatter, ist dies auch ein Rückgriff auf längst verschüttete Trauerformen.

    "Man hat so ganz einfache Dinge selber begriffen, sprich, ich habe meinen Großvater selber angezogen, ich habe ihn selber in den Sarg gelegt, ich habe mich noch mal der hingesetzt zuhause und habe noch mal was erzählt oder wenn ich nur gebetet habe der Gemeinschaft den Rosenkranz."

    Es ist eine Vision, die Fritz Roth hat, eine Vision, die viele Menschen schon deshalb nicht umsetzen können, weil sie in einer globalen und mobilen Welt leben. Das hat Auswirkungen auf mehrere Dinge. Die Urnenbestattung etwa gewann seit den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts immer mehr an Bedeutung.

    "Die Urne kann man mitnehmen, die ist mobil, so wie unsere Gesellschaft auch. Die Urne brauchte wenig Platz, und die Urne kann auch sehr vielfältig in die Abschiedsfeier eingebaut werden."

    Und wer es geschickt anstellt, kann sie sogar mit nach Hause nehmen. Das ist in Deutschland zwar nicht erlaubt, wird im Zuge des so genannten "Leichentourismus" aber immer häufiger praktiziert.

    "Wenn man also seine Urne mit nach Hause nehmen will, gibt es nur den Umweg über das Ausland. Das heißt, man muss den Verstorbenen im Ausland einäschern lassen und kann dann illegaler Weise muss man sagen die Asche mit nach Hause nehmen."

    Die Zahl der Urnenbestattungen hat aber noch aus einem anderen Grund zugenommen. Klassische Großfamilien, die auch noch an einem Ort, zumindest in einer Region leben, werden immer seltener.

    "Das heißt, was man beobachten kann, ist, dass Familien heutzutage immer öfter an verschiedenen Orten leben, und das ergibt natürlich Probleme für die Grabpflege und für die Repräsentation, das heißt, dort, wo Familien an unterschiedlichen Orten leben, ist zum Beispiel eine Familiengrabstätte nicht mehr sinnvoll, einfach deshalb, weil sich die Familienmitglieder an unterschiedlichen Orten befinden."

    Was übrigens nicht bedeutet, dass der Zusammenhalt und die Stabilität von Familien schwächer geworden ist - sie leben nur nicht mehr an einem Ort und brauchen deshalb freiere Ausdrucksformen bei Trauerfällen. Viele gesetzliche Regelungen sind zwar schon liberalisiert, für Fritz Roth reicht das aber nicht aus.

    "Also, ich bin für eine totale Abschaffung der Gesetze, noch nicht einmal Liberalisierung! Weshalb muss ich meinen Toten nach 36 Stunden aus dem Haus bringen? Weshalb muss sich auf einem Friedhof beerdigen? Weshalb muss ich für die Überführung einen Leichenwagen nehmen? Das sind alles Dinge, die wir meinen, in einer wohlstandsorientierten Gesellschaft zu unserer besonderen Aufgeklärtheit beizutragen, nein, sie haben uns ein Stück Menschenwürde, ein Stück Träumerei, ein Stück Fantasie genommen."
    Würden, wie Fritz Roth vorschlägt, alle gesetzlichen Regelungen abgeschafft, stünden die Bestatter vor weiteren dramatischen Veränderungen. Viele ihrer Aufgaben übernehmen dann die Trauernden selbst, was bliebe, wäre vor allem Service - ein Trend, den Dominic Akyel schon heute beobachtet.

    "Das liegt unter anderem darin, dass Bestattungsunternehmer ihren Preis nicht mehr über den Sarg abrechnen können. Früher war das so, dass alle Serviceleistungen auf den Sarg aufgeschlagen wurden, in den Sargpreis einflossen. Dadurch, dass jetzt billige Särge importiert werden, müssen die Bestattungsunternehmer jetzt über andere Dinge punkten, und da kommt dann Service ins Spiel, und da ist es tatsächlich so, dass die Nachsorge, die Trauerbegleitung wichtiger wird."

    Ob die Trauergemeinde von Bernd Eichinger in der Münchner St.-Michael-Kirche einen Trauerbegleiter hatte, ist nicht überliefert. Auf jeden Fall stand ein großes Bild des Filmproduzenten in der Kirche, und die Urne wurde unter den Klängen des Beatles-Songs "Let it be" auf den Friedhof getragen. Vor 20-Jahren wäre das undenkbar gewesen!

    "Der typische Bestatter von morgen wird der Trauerbegleiter sein, das wird so der Ersatz des Großvaters sein, ältere Menschen erinnern sich, dass in Familien immer einen gab, der das Sagen hatte, so eine Vertrauensperson, der aber den Lebenden sehr lange begleitet hat. Das wird die Aufgabe sein, mehr begleiten, als technische Bestattungshilfe leisten, das, was kommt, ist das Mitsein mit den Trauernden."