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Vogel: Konflikt würde unserem Gemeinwesen schaden

Der ehemalige SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel warnt vor einer "harten Konfliktsituation" in den kommenden Wochen, wenn es um die Nachfolge von Bundespräsident Horst Köhler geht. Es sei wichtig, einen Kandidaten mit einer breiten Zustimmung zu finden.

Hans-Jochen Vogel im Gespräch mit Stefan Heinlein | 01.06.2010
    Stefan Heinlein: Vor wenigen Minuten im Reichstag. Diesmal ging der zweite Mann im Staat, Bundestagspräsident Norbert Lammert, vor die Presse und erklärte folgendes:

    O-Ton Norbert Lammert: Nach Rücksprache mit dem Präsidenten des Bundesrates und amtierenden Bundespräsidenten, mit der Bundeskanzlerin, mit allen Partei- und Fraktionsführungen der hier im Deutschen Bundestag vertretenen politischen Parteien habe ich die 14. Bundesversammlung heute für Mittwoch, den 30. Juni, einberufen.

    Heinlein: Wahl des Bundespräsidenten am 30. Juni, Knapp vier Wochen hat die Politik nun also Zeit, einen Nachfolger für Horst Köhler zu finden. Die Suche hat bereits begonnen. Zur Stunde beraten die Spitzen der Koalition.

    Auch wenn das Datum für die Wahl eines neuen Bundespräsidenten nun also feststeht, die Personalie wird die Politik noch eine ganze Weile beschäftigen. Nach der ersten Schockstarre hat die Suche nach einem Nachfolger begonnen. Viele Namen werden bereits genannt - Spekulationen, die allerdings bisher von keiner Seite offiziell bestätigt werden. Sicher ist inzwischen jedoch: Schwarz-Gelb hat eine eigene Mehrheit in der Bundesversammlung. Dennoch wird es Versuche geben, möglichst weite Teile der Opposition mit ins Boot zu nehmen. Am Vormittag Beratungen der Regierungsfraktionen.

    Am Telefon in München begrüße ich jetzt den ehemaligen SPD-Vorsitzenden Hans-Jochen Vogel. Guten Tag, Herr Vogel.

    Hans-Jochen Vogel:! Guten Tag, Herr Heinlein.

    Heinlein: Herr Vogel, wie haben Sie reagiert, als Sie gestern vom Rücktritt des Bundespräsidenten erfahren haben?

    Vogel: Ich war völlig verblüfft und hätte das auf Anhieb gar nicht für möglich gehalten. Aber dann muss ich zunächst sagen: Ein solcher Entscheid ist zu respektieren, das ist eine höchst persönliche Entscheidung, und es hat ihn auch geehrt, dass er zu Beginn seiner Erklärung eingeräumt hat, dass diese Äußerungen, die jetzt eine Rolle spielen, missverständlich gewesen sind.

    Also zunächst die Bekundung des Respekts, auch für seine Leistungen, aber dann doch die Frage, ob diese Abwägung der Gründe für und der Gründe gegen einen Rücktritt zu einem richtigen Ergebnis geführt hat, denn er hat diese Entscheidung in einem Zeitpunkt getroffen, in dem sich unser Gemeinwesen ganz großen Herausforderungen gegenüber sieht. Deswegen, Herr Heinlein, schließe ich nicht aus, dass eben das, was er nun als Grund nannte, eigentlich nur der Anlass war und dass es für ihn eben doch noch tiefere Umstände gegeben hat, die ihn zu diesem ganz ungewöhnlichen Entschluss gebracht haben.

    Heinlein: Welche tieferen Gründe vermuten Sie denn? Fehlte es vielleicht an Rückhalt, gerade von Seiten der Kanzlerin, nicht nur in der aktuellen Debatte um seine Afghanistan-Äußerungen?

    Vogel: Sehen Sie, ich bin weit von der aktiven Politik entfernt und möchte mich da nicht in Spekulationen ergehen. Aber ich habe ihn ja auch ein bisschen gekannt und hatte schon manchmal den Eindruck, dass er verletzlicher ist, als das nach außen zum Ausdruck kam, und da muss es Dinge gegeben haben, vielleicht auch in seinem Amt – darüber wurde ja gelegentlich berichtet -, aber vielleicht auch in der Richtung, wie Sie es andeuten, denn ich meine, dass dies eine ungewöhnliche Entscheidung ist, das war ihm ja völlig bewusst.

    Heinlein: Darf ein Politiker, darf ein Bundespräsident zumal verletzlich sein, oder muss er souverän über den Dingen stehen?

    Vogel: Ich wünsche mir, dass er durchaus innerlich sensibel bleibt und nicht zu einer Repräsentationsmaschine wird. Das wünsche ich mir durchaus. Aber er muss natürlich dies auch unter Kontrolle halten und nach außen eine gewisse Festigkeit und Beharrlichkeit verkörpern. Das ist ja auch die Aufgabe seines Amtes.

    Im Übrigen, wenn ich das hier einwerfen darf: Jemand, der ohne zwingenden Grund zurücktritt, ist mir immer noch deutlich sympathischer als einer, der trotz zwingender Rücktrittsgründe sich immer noch an seinem Amt festklammert, damit man vielleicht diesen Aspekt auch sieht.

    Heinlein: Wie wird Horst Köhler im Gedächtnis der Deutschen bleiben? Was sind seine Spuren, die er hinterlässt?

    Vogel: Ich glaube, im Gedächtnis wird in erster Linie sein Rücktritt bleiben, weil das ein völlig ungewöhnliches Ereignis war. Im Übrigen wird es positive Elemente geben in diesem Rückblick, etwa die Unbefangenheit, mit der er seinerseits auch zur aktuellen politischen Situation Stellung genommen hat. Ich werde mir merken das Wort, dass es gelte, das Monster – und damit meinte er den Finanzkapitalismus – zu zähmen, und hohen Respekt auch vor seinem Engagement für Afrika, für die Besuche dort und seine immer erneuten Hinweise darauf, dass es diese Kluft zwischen arm und reich nicht nur im eigenen Land, sondern noch stärker im Verhältnis zu anderen Völkern und das gerade in Afrika gibt.

    Heinlein: Herr Vogel, auch wenn seit dem Rücktritt noch keine 24 Stunden vergangen sind, hat die Nachfolgediskussion ja bereits begonnen. Muss es jetzt aus Ihrer Sicht einen Kandidaten geben, der von möglichst vielen Parteien unterstützt wird? Ihr Nach-Nachfolger Sigmar Gabriel wünscht sich ja jetzt einen Präsidenten aller Deutschen.

    Vogel: Jetzt haben Sie das Wort "Nach" nicht genügend wiederholt, aber das ist nur eine Fußnote.

    Heinlein: Stimmt.

    Vogel: Herr Heinlein, ich spreche mich ganz entschieden dafür aus, dass ein Kandidat gesucht und gefunden wird, der eine ganz breite Zustimmung bekommt. Das ist in der Lage, in der wir uns befinden – und vor lauter Ereignissen wie dem Europa-Contest, Rücktritt und so weiter verschwinden diese Dinge momentan wieder aus dem Gedächtnis -, notwendig, dass wir uns möglichst breit verständigen. Ich darf daran erinnern, dass es bei der ersten Amtsperiode von Richard von Weizsäcker schon eine ganz breite Mehrheit gab und seit der zweiten Amtsperiode eine noch stärkere Mehrheit. Also alle sind dazu aufgerufen und Gabriel hat Recht, wenn er sich im gleichen Sinne äußert. Eine harte Konfliktsituation in den nächsten Tagen und Wochen bis zum 30. Juni, das würde unserem Gemeinwesen und unserem Gemeinwohl nicht dienen.

    Heinlein: Wer wäre ein solcher Konsenskandidat, Herr Vogel, möglicherweise Norbert Lammert? Sein Name wird sehr häufig genannt in diesen Tagen.

    Vogel: Ich bitte Sie um Nachsicht. Ich möchte von mir aus jetzt keinen Namen nennen. Ich möchte erst sehen, wer von den maßgebenden Kräften ins Auge gefasst wird, dann will ich mich gerne äußern. Aber jetzt wäre das für einen alten Pensionisten ein bisschen zu früh. Man sollte sich ein bisschen auch an den großen und erfolgreichen Bundespräsidenten unserer Geschichte orientieren. Da könnte man ein bisschen Kriterien ablesen, nicht.

    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Mittag der ehemalige SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel. Herr Vogel, ich danke ganz herzlich für das Gespräch und ich wünsche Ihnen einen schönen Tag und gute Gesundheit.

    Vogel: Danke! Ja, kann ich brauchen. Wiederschauen, Herr Heinlein.

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