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Vor 40 Jahren
Als der Düsseldorfer Majdanek-Prozess endete

Mit der Urteilsverkündung endete am 30. Juni 1981 der Düsseldorfer Prozess um den 250.000-fachen Mord im deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek. Medial zuvor kaum beachtet, war das Entsetzen über die milden Urteile groß.

Von Bernd Ulrich | 30.06.2021
    Demonstration vor der Urteilsverkündung im Majdanek-Prozess: Menschen mit einem Banner: "Der Majdanek-Prozess - Jammerbild der Justizpraxis"
    Demonstration in der Düsseldorfer Innenstadt vor der Urteilsverkündung im Majdanek-Prozess: (dpa / Hartmut Reeh)
    "Im Düsseldorfer Prozess um die Ermordung von mindestens 250.000 Häftlingen im ehemaligen Konzentrationslager Majdanek wurden heute die Urteile gesprochen. Die Urteile lagen deutlich unter den Strafanträgen der Staatsanwaltschaft, deshalb gab es im Publikum lautstarke Proteste."
    So die erste Meldung in der "Tagesschau" am 30. Juni 1981. Eines der längsten Verfahren wegen deutscher Gewaltverbrechen hatte sein Ende gefunden. Die Urteile gegen die neun Angeklagten lauteten: ein Freispruch, sieben Haftstrafen zwischen drei und zwölf Jahren wegen gemeinschaftlicher Beihilfe zum Mord und einmal lebenslänglich.

    820.000 Paar Schuhe

    Einer Angeklagten, als brutale, vor allem auch gegenüber Kindern grausame Aufseherin berüchtigt, konnten zwei Morde konkret nachgewiesen werden. Zwei Morde von mindestens einer Viertelmillion im deutschen Konzentrationslager Majdanek nahe Lublin, begangen vom SS-Lagerpersonal. Wahrscheinlich gab es noch mehr Opfer. Die Rote Armee, die Majdanek am 22. Juli 1944 als erstes deutsches Vernichtungslager befreite, konnte 820.000 Paar Schuhe, Lieferlisten über 730 Kilo Menschenhaar und Pässe aus 26 Staaten sicherstellen. Der den Prozess begleitende Journalist Heiner Lichtenstein hat beschrieben, was es hieß, in Majdanek ermordet zu werden:
    "In Majdanek wurden am 3. November 1943, an einem einzigen Tag also, 17.000 Menschen erschossen, weil sie Juden waren. In Majdanek mussten jüdische Kinder in einer Sonderbaracke warten, bis die Gaskammern frei waren. In Majdanek wurden Menschen am Galgen erdrosselt, weil sie bei der Arbeit vor Erschöpfung eingeschlafen waren."
    Befreiung des KZ Majdanek bei Lublin in Polen, durch Einheiten der 1. Weißrussischen Front, am 24. Juli 1944.
    Befreiung des KZ Majdanek bei Lublin durch die Rote Armee am 24. Juli 1944 (picture alliance akg-images)
    Verständlicherweise fiel es den Überlebenden schwer, nach so vielen Jahren einzelne Täterinnen und Täter zu identifizieren. Die penetrante Befragung der Opfer tat ein Übriges. Eine Zeugin:
    "Es ist sehr schwer, nach so viel Jahren alle die Mörder anzuschauen und auch solche Fragen zu beantworten, ob ich bin zur Arbeit rechts oder links rausgegangen oder hier ist so gestanden und das ist so gestanden, weil im Laufe von so viel Jahren kann jeder vergessen, man vergisst das."
    Trotz der schwierigen Beweislage schien es notwendig – nach den damals noch geltenden Regeln des deutschen Strafgesetzbuches – jedem Angeklagten einen konkreten Tatbeitrag und persönliche Schuld nachzuweisen.
    Menschen und Ereignisse 1979. Das Foto zeigt: Internationale Proteste anlaesslich der Verjaehrung von Naziverbrechen.
    1969 - Als die Verjährung für Völkermord aufgehoben wurde
    Nach deutschem Recht verjähren Straftaten wie Mord und Völkermord nach ursprünglich 20 Jahre. Damit wären spätestens 1965 alle bis dahin noch nicht verurteilten NS-Verbrecher straffrei davongekommen. Dank der Aufhebung der Verjährung können sie bis heute belangt werden.
    Ganz so, als wären die teils tausendfachen Mordtaten in den Lagern so zu behandeln wie ein Einzelmord. Dabei belegten die RAF-Prozesse jener Jahre, dass die Justiz durchaus in der Lage war, die bloße Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation für eine Verurteilung heranzuziehen. Der Einzeltatnachweis führte jedenfalls zu einer recht diffusen Lage, die namentlich die rechtsradikal gesinnten Verteidiger zu nutzen wussten. Einen der schlimmsten unter diesen Juristen, den Mannheimer Anwalt Ludwig Bock – er sollte später wegen "Volksverhetzung" rechtskräftig verurteilt werden – hat Heiner Lichtenstein so charakterisiert:
    "Für Ludwig Bock kann ein Historiker dann nicht zum Sachverständigen vor Gericht geladen werden, wenn dieser bei einem jüdischen Wissenschaftler promoviert hat, und die Verbrechen der Nazis Mord nennt. Andererseits besteht für Bock der Verdacht der Mordbeihilfe, wenn ein wehrloser Häftling im Lager in höchster Gewissensnot das todbringende Zyklon-B vom Magazin zur Gaskammer gebracht hat. Eine polnische Zeugin, die das in Majdanek tun musste, wollte er in Düsseldorf festnehmen lassen."

    Die Staatsanwaltschaft hatte weit höhere Strafen gefordert

    Von solchen und weiteren skandalösen Vorgängen erfuhr die westdeutsche Öffentlichkeit so gut wie nichts. Das mediale Interesse blieb bis auf den Beginn und das Ende des Prozesses eher gering. Dann aber war das Entsetzen über die milden Urteile groß. Staatsanwalt Dieter Ambach hatte als einer der Anklagevertreter viel höhere Strafen gefordert. Kurz nach der Urteilsverkündung gab er zu Protokoll:
    "Ich hatte stellenweise nach alledem, was wir gehört hatten über diese Taten und über diese Täter kein Verständnis dafür, bei diesen Personen nur eine Beihilfe anzunehmen und zu einer zeitigen Freiheitsstrafe zu kommen. So erging es auch einem Großteil der Zuhörer. Ich hatte Verständnis für diese Empörung."
    29.11.2018, Baden-Württemberg, Ludwigsburg: Jens Rommel, Behördenleiter der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen, steht im Archiv der Zentralen Stelle an einer Schublade mit Karteikarten.
    Jurist Jens Rommel - "Das deutsche Strafrecht war für Massenverbrechen nicht geeignet"
    Nach Ansicht von Jens Rommel, Leiter der Zentralstelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen, hat es in der deutschen Justiz lange große Zurückhaltung gegeben, alle NS-Verbrecher angemessen zu verurteilen.
    Im historischen Urteil gegen John Demjanjuk von 2011, zwangsverpflichtet als Wachmann im Vernichtungslager Sobibor, wurde erstmals ein Täter ohne konkreten Tatnachweis verurteilt. Das Gericht ging davon aus, dass jeder im Lager Beschäftigte ein Mordhelfer war. So weit war die bundesdeutsche Rechtsprechung im Jahr 1981 noch nicht.