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Vor 50 Jahren
Als in China die Mango-Manie begann

Am 4. August 1968 erhielt Mao Zedong eine Kiste Mangos vom pakistanischen Außenminister als Gastgeschenk. Als er sie kurz darauf ans Volk verschenkte, ergriff China eine gigantische Mango-Hysterie. Es entwickelte sich eine ganze Industrie rund um Mangos.

Von Ruth Kirchner | 04.08.2018
    kastrup/Copenhagen /Denmark - 02 June 2017. Mango fruit impirted from Peru in fakta food market . (Photo.Francis Joseph Dean/Deanpictures) PUBLICATIONxNOTxINxDEN Kastrup Copenhagen Denmark 02 June 2017 Mango Fruit from Peru in Fakta Food Market Photo Francis Joseph Dean Deanpictures PUBLICATIONxNOTxINxDEN
    Eine Kiste mit Mangos löste den Kult in China aus (imago stock&people / Francis Joseph Dean )
    Im August 1968 herrschte in Peking erdrückende Hitze. Wang Xiaoping arbeitete in der Allgemeinen Werkzeugmaschinenfabrik Nummer 1. Es war das zweite Jahr von Maos Großer Proletarischer Kulturrevolution, politische Kampagnen und Treueschwüre auf den Diktator prägten den Arbeitsalltag. An ihrer Drehmaschine in der stickigen Werkshalle hörte Wang Xiaoping aber auch zum ersten Mal von einer seltsamen Frucht, die sich Mango nannte. Über 40 Jahre später schreibt sie in ihren Erinnerungen: Zitat "Was war das überhaupt - eine Mango?
    Keiner hatte bisher davon gehört, geschweige denn, dass irgendjemand schon mal eine gesehen hätte. Ein paar, die offenbar besonders gut informiert waren, meinten, dass es eine äußerst seltene und kostbare Frucht sei, so wie der Pilz der Unsterblichkeit, und sie würde bestimmt hervorragend schmecken." Die bis dahin in China unbekannte Frucht wurde innerhalb weniger Wochen plötzlich zu einem allgegenwärtigen Kult-Objekt - und zu einem politischen Symbol.
    Hintergrund des plötzlichen Mango-Fiebers war eine politische Krise. Zwei Jahre zuvor, zu Beginn der Kulturrevolution, hatte Mao Zedong Schüler und Studenten aufgefordert, das Alte zu zerschlagen und eine neue Gesellschaft aufzubauen.
    "Ein öffentliches Signal an die Gesellschaft"
    Die Roten Garden stürzten das Land ins Chaos und lieferten sich blutige Machtkämpfe, die Mao nur mühsam durch den Einsatz der Armee beenden konnte. Doch ausgerechnet mitten in Peking, an der Tsinghua-Universität, eskalierte die Lage weiter. Ein paar hundert Rotgardisten führten Krieg auf dem Campus. Ende Juli 1968 entsandte Mao daher dreißigtausend unbewaffnete Arbeiter an die Hochschule - sie sollten die Studenten zur Raison bringen. Mit Erfolg. Und zum Dank gab es Mangos. Mao hatte am 4. August 1968 eine Kiste dieser Früchte vom pakistanischen Außenminister als Gastgeschenk erhalten und ließ sie nun unter den Arbeitern verteilen. Die Botschaft war klar, sagt der Freiburger Sinologe Daniel Leese:
    "Im Wesentlichen ist es ein öffentliches Signal an die Gesellschaft und vor allem an die Arbeiter, um zu zeigen, ihr habt meine Unterstützung und die Phase des Chaos ist jetzt beendet."
    Die Frucht wurde so über Nacht zum "wertvollen Geschenk" von Mao. Und weil es natürlich nicht genügend Früchte für alle gab, wurden Mango-Attrappen aus Wachs hergestellt und verteilt. Auch an Wang Xiaoping.
    "(Die Mango) lag in einem rechteckigen Glaskasten, hatte die Gestalt einer Niere und glänzte gelb leuchtend vor sich hin. Jedermann hielt den Glaskasten feierlich vor seiner Brust und sah sich die geheimnisvolle Frucht voller Ehrfurcht von allen Seiten an. Jemand, der den Kasten etwas nachlässig hielt, wurde von einem alten Arbeiter gleich zurechtgewiesen. 'Wie kannst du dem großen Führer bloß so wenig Respekt erweisen!'"
    Überall waren Mangos abgebildet
    Nur zu gerne hätte Wang damals gewusst, wie Mangos schmecken. Aber die echten Früchte zu essen, wagte niemand. Gleichzeitig entwickelte sich eine ganze Industrie rund um Mangos: Es gab Ansteckplaketten mit Maos Konterfei von Mangos umrahmt. Waschschüsseln und Deckeltassen mit Mango-Motiven. Bettbezüge mit Mango-Druck. Sonderzüge brachten Mango-Attrappen in entfernte Provinzen, wo sie von tausenden Menschen frenetisch gefeiert wurden.
    Aber es wäre zu einfach, all das einfach als Massenhysterie abzutun, sagt Historiker Leese. Denn die Mango-Verehrung fiel zusammen mit dem Höhepunkt des Kults um Mao selbst. Politische Inhalte waren zweitrangig geworden.
    "Das Ganze ist nicht einfach nur ein Ausbund an Wahnsinn, kollektivem Wahnsinn, sondern kann nur verstanden werden vor dem Hintergrund einer Gesellschaft, die keine normativen Regeln mehr kennt, in der alles auf persönlichen Beziehungen, auf Netzwerken beruht und alles auf die Spitze, auf den Führer hin ausgerichtet ist."
    Das Mango-Fieber in China hielt ein gutes Jahr an, dann verschwand es wieder. Heute kann man die tropischen Früchte überall in Peking kaufen - und natürlich essen! Wang Xiaoping, mag vor allem ihre Süße und Frische. Als sie vor ein paar Jahren jungen Kolleginnen vom Mango-Kult ihrer Jugend erzählte, kamen die aus dem Staunen nicht heraus. "Das ist doch bloß eine Frucht", sagten sie ungläubig. Dass man im Sommer 1968 mit harten Strafen rechnen musste, wenn man Mangos aufgeschnitten oder