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Zweiter Weltkrieg
Vor 80 Jahren begannen die Briten mit dem Flächenbombardement deutscher Städte

Am 14. Februar 1942 entschied die britische Militärführung, "ohne Einschränkung" Bomben über dicht besiedelten deutschen Städten abzuwerfen. Vorbild für die Flächenbombardierungen waren verheerende deutsche Luftangriffe auf Städte wie London und Coventry oder Warschau.

Von Otto Langels | 14.02.2022
Bremen 1944 nach den Bombardierungen durch die Royal Air Force
Bremen 1944 nach den Bombardierungen durch die britische Royal Air Force (picture alliance / Heritage Images)
"Die deutsche Luftwaffe eröffnet den Entscheidungskampf gegen England. Pausenlos brausen die deutschen Geschwader nach England. Tag und Nacht belegen sie London mit Millionen Kilo von Bomben", berichtete die deutsche Wochenschau über die „Luftschlacht um England“ während des Zweiten Weltkriegs. Nach dem Sieg über Frankreich flogen deutsche Bomber seit dem Sommer 1940 massive Luftangriffe gegen militärische und zivile Einrichtungen auf der britischen Insel. Als Ziele wurden bewusst Städte wie London und Coventry ausgewählt, über 40.000 Zivilisten kamen bei den Angriffen ums Leben.

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"Die Moral der feindlichen Zivilbevölkerung" zum Ziel

Währenddessen stellte die Royal Air Force fest, dass den eigenen Bombern die nötige Präzision fehlte, um strategische Ziele wie deutsche Flugplätze oder Waffenfabriken zu zerstören. Nur etwa jeder fünfte Angriff war erfolgreich - Grund genug für das Londoner Luftfahrtministerium, die Taktik zu ändern. Am 14. Februar 1942 erging die "Area Bombing Directive Nr. 5", die Anweisung zum Flächenbombardement:
„Sie werden ermächtigt, ihre Streitkräfte ohne Einschränkung einzusetzen. Der Beschluss lautet, den Schwerpunkt der Operationen auf die Moral der feindlichen Zivilbevölkerung zu konzentrieren, insbesondere der Industriearbeiter.“
Einen Tag später präzisierte Charles Portal, Stabschef der britischen Luftwaffe, die Anweisung: "Es sollte klar sein, dass die Ziele bebaute Gebiete sind und nicht um Beispiel Werften oder Flugzeugwerke. Das muss ganz deutlich gemacht werden, falls es so noch nicht verstanden wurde.“

"Bomber Harris": "Die Deutschen säten Wind, jetzt werden sie Sturm ernten"

Mit der Ausführung wurde Arthur Harris betraut, der Oberkommandierende der britischen Bomberflotte. Den ersten Angriffen auf Essen Anfang März folgten weitere auf andere Städte des Ruhrgebiets sowie auf Köln, Düsseldorf und Hamburg:
"Die Nazis begannen den Krieg mit der kindischen Vorstellung, sie könnten jeden bombardieren, aber niemand würde sie bombardieren", erklärte Arthur Harris, genannt „Bomber-Harris“. Er rechtfertigte die Flächenbombardements mit den vorangegangenen deutschen Luftangriffen auf Rotterdam, London und Warschau: "Die Deutschen säten Wind, und jetzt werden sie Sturm ernten. Köln, Lübeck, Rostock sind erst der Anfang."
Der als "Bomber Harris" bekannt gewordene britische Luftwaffenoffizier Arthur Harris (links) in einer Besprechung (undatierte Aufnahme)
Der als "Bomber Harris" bekannt gewordene britische Luftwaffenoffizier Arthur Harris (links) in einer Besprechung (undatierte Aufnahme). Harris ließ während des Zweiten Weltkriegs deutsche Städte mit dem Ziel der "Zermürbung der Moral des deutschen Volkes" flächendeckend bombardieren. (picture alliance/ dpa)

Thomas Manns Lübeck schwer zerstört

Eine der von Harris erwähnten Städte war Lübeck, die Heimatstadt des Literatur-Nobelpreisträgers Thomas Mann. Am 29. März warfen 200 britische Flieger rund 400 Tonnen Bomben ab, zwei Drittel davon Brandbomben. Sie richteten einen verheerenden Schaden an, über 300 Menschen kamen ums Leben, die Altstadt war weitgehend zerstört. Mann wandte sich kurz darauf aus dem Exil an die deutschen Hörer:
„Hat Deutschland geglaubt, es werde für die Untaten, die sein Vorsprung in der Barbarei ihm gestattete, niemals zu zahlen haben? Beim jüngsten britischen Raid über Hitler-Land hat das alte Lübeck zu leiden gehabt. Es ist meine Vaterstadt, und lieb ist es mir nicht. Aber ich denke an Coventry und habe nichts einzuwenden gegen die Lehre, dass alles bezahlt werden muss."

"Um Euch die Fortführung des Krieges unmöglich machen"

Dem Luftangriff auf Lübeck folgten zahllose weitere, um den Durchhaltewillen der Bevölkerung zu brechen. Ein massenhaft über dem Deutschen Reich abgeworfenes Flugblatt begründete das Vorgehen:
„Warum wir das tun? Nicht aus Rachsucht, obwohl wir Warschau, Rotterdam, Coventry nicht vergessen. Wir bombardieren Deutschland, um Euch die Fortführung des Krieges unmöglich zu machen. Was ihr erlebt habt, wird nicht zu vergleichen sein mit dem, was kommt.

Waren die Flächenbombardements legitim?

Was kam, waren Angriffe der Alliierten auf rund 150 Städte mit mehr als einer halben Million Toten. Doch die erhoffte Wirkung des sogenannten Moral Bombing blieb aus. Massive Schläge gegen dicht besiedelte Innenstädte mochten die heimische Bevölkerung zermürben und die Weltöffentlichkeit beeindrucken, die Deutschen erhoben sich aber nicht gegen das NS-Regime, sondern setzten den Krieg bis zum bitteren Ende fort. Zudem erlitt die britische Luftwaffe erhebliche Verluste, nahezu die Hälfte der Flieger kehrte nicht zurück. Der militärische Nutzen sowie die moralische und völkerrechtliche Bewertung des Flächenbombardements sind daher bis heute umstritten.