Archiv


"Vor den Ohren der gesamten Weltöffentlichkeit "

Auch wenn man große Entscheidungen und Durchbrüche bei der UNO-Generalversammlung nicht erwarten könne, betont der ehemalige Spitzendiplomat Jürgen Chrobog die Bedeutung des Großereignisses. Ein Hauptwert seien die vielen bi- und multilateralen Gespräche am Rande.

Fragen von Bettina Klein an Jürgen Chrobog |
    Bettina Klein: Es ist der Nahostkonflikt, der heute die UNO-Vollversammlung prägt. Am dritten Tag der Generaldebatte sollen sowohl Israels Regierungschef Netanjahu als auch Palästinenserpräsident Abbas am UNO-Sitz in New York das Wort ergreifen. Am Rande der Vollversammlung findet dann auch noch ein Treffen der fünf Vetomächte sowie Deutschlands zum iranischen Atomprogramm statt.
    Diese Woche soll Brücken bauen, so haben wir Außenminister Guido Westerwelle gerade im Bericht gehört. Und am Telefon begrüße ich einen ehemaligen Spitzendiplomaten, Jürgen Chrobog. Er war Staatssekretär im Auswärtigen Amt und Botschafter Deutschlands in den USA. Guten Morgen, Herr Chrobog.

    Jürgen Chrobog: Guten Morgen, Frau Klein.

    Klein: Die gleichen Riten, die gleichen Mythen seit Jahrzehnten bei der UNO, oder läuft in diesem Jahr doch irgendetwas anders?

    Chrobog: Grundsätzlich ist es natürlich immer vergleichbar mit den Jahren zuvor. Es sind auch nicht große Entscheidungen zu erwarten in diesem Jahr. Alles steht im Zeichen des Wahlkampfes in den Vereinigten Staaten, man versucht, sich jetzt über diese Wahlen hinwegzuretten, vor allem die Amerikaner. Aber die UNO bleibt natürlich ein ganz großes, bedeutendes Forum, wo man sich trifft, und viele bilaterale, auch multilaterale Gespräche finden statt am Rande dieses Großeignisses. Man kommt zusammen, das ist auch billiger und effizienter, als große Staatsbesuche zu machen. Ich glaube, hier liegt der Hauptwert der Veranstaltung.

    Klein: Man trifft sich und man redet miteinander, aber Handlungen sollten wir nicht erwarten?

    Chrobog: Nein, Handlungen von der Generalversammlung sowieso nicht. Handlungen werden bestenfalls beschlossen im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, der auch tagt. Aber wir kennen ja die Probleme um Syrien, Bewegung wird es dort nicht geben.

    Klein: Sie haben auf die Vereinigten Staaten von Amerika und den Wahlkampf dort hingewiesen. Deutschland leitet ja im Augenblick den Weltsicherheitsrat. Spielt es also gar keine Rolle, ob wir irgendetwas anders machen?

    Chrobog: Nein, natürlich spielt das eine Rolle. Wir müssen immer wieder drängen auf eine Lösung. Wir müssen mehr tun und auch jetzt die Aufwertung der Arabischen Liga halte ich für außerordentlich wichtig, denn wir brauchen die regionalen Mitspieler, um sich an den Konflikten zu beteiligen. Dafür ist die Liga sehr, sehr wichtig und ich finde es eine gute Idee Deutschlands, auch das zu betreiben.

    Klein: Darüber hinaus: Welche anderen Akzente sehen Sie im Augenblick, die Deutschland bei der UNO setzt?

    Chrobog: Wir müssen die Themen wieder auf den Vordergrund stellen, die wichtig sind. Sie haben den Nahostkonflikt angesprochen, das halte ich für außerordentlich wichtig, das ist ja der Kernkonflikt und der ist ja völlig in den Hintergrund getreten im Hinblick auf den Konflikt um das Atomprogramm im Iran, und Israel spielt natürlich im Irankonflikt sehr stark in den Vordergrund und damit bleibt im Grunde auch das berechtigte Anliegen der Palästinenser, dass ihr Konflikt endlich mal auf die Tagesordnung kommt, doch sehr im Schatten.

    Klein: Heute wird der Konflikt auf die Tagesordnung rücken mit den Ansprachen von Netanjahu und Abbas. Was erwarten Sie sich diesbezüglich?

    Chrobog: Das wurde eben schon im Bericht deutlich gemacht. Netanjahu wird sich natürlich voll auf Israel konzentrieren und den eigentlichen Konflikt eigentlich nicht ansprechen, während Abbas natürlich ums Überleben kämpft, vor allen Dingen was die staatliche Anerkennung und die Aufwertung Palästinas angeht. Hier liegen zwei Welten dazwischen und ich fürchte, dass die Palästinenser sehr stark Opfer dieses Konfliktes zwischen Israel und dem Iran geworden sind und auch weiter sein werden.

    Klein: Das heißt, man kann auch nach dem heutigen Tage davon ausgehen, dass im Grunde genommen wir keinen neuen Erkenntnisgewinn haben und sich eigentlich auch weiterhin nichts geändert hat?

    Chrobog: Nein, es wird sich nichts ändern. Aber trotzdem ist wichtig, dass darüber gesprochen wird. Es ist wichtig, dass sich die Staaten mit dieser Angelegenheit befassen. Aber ich sehe eigentlich auch vor den amerikanischen Wahlen wenig Fortschritte. Man kann auch nur hoffen, dass es keinen Krieg mit dem Iran mehr gibt vor den amerikanischen Wahlen, auch danach nicht natürlich, und darüber müssen wir jetzt hinwegkommen. Leider hat Obama es ja versäumt – und aus verständlichen Gründen -, bilaterale Gespräche zu führen, er hat auch den neuen ägyptischen Präsidenten dort nicht getroffen, was alles wichtig gewesen wäre, auch um die Stimmung etwas zu verbessern in der Region. Aber dazu ist es schon nicht mehr gekommen, und die Gründe sind offensichtlich.

    Klein: Und daran wurde auch Kritik geübt. Auf der anderen Seite hat Obama ja durchaus deutliche Worte gefunden Richtung Syrien. Wir haben heute Morgen auch den einen oder anderen Originalton mal gespielt. Aber das hatte nichts zu bedeuten Ihrer Meinung nach?

    Chrobog: Es hat schon was zu bedeuten: Es festigt die amerikanische Haltung. Aber es wird ja im Konflikt selbst natürlich wenig Einfluss haben, der Krieg geht weiter. Es ist auch sehr, sehr schwer, auf wessen Seite man sich dort stellen soll, denn auch die Opposition ist ja nicht so die humanitäre Organisation, die wir uns wünschen würden. Auch die verfolgt ihre eigenen Interessen. Es ist ein wirklich schwieriges Unterfangen und wenn der Generalsekretär sagt, es ist eine fast unmögliche Situation für den neuen Beauftragten für Syrien, dann hat er nur Recht.

    Klein: Der Weltsicherheitsrat bleibt in puncto Syrien zum Beispiel handlungsunfähig wie eh und je, dank China und Russland?

    Chrobog: Solange Russland und China nicht mitspielen, solange sie ihr Veto aufrecht erhalten, ja.

    Klein: Gibt es denn grundsätzlich etwas aus Ihrer Meinung an der Institution zu ändern, wenn wir uns die Handlungsunfähigkeit und die begrenzten Handlungsmöglichkeiten in Konfliktfällen wie Syrien immer wieder vor Augen führen?

    Chrobog: Das sind die alten Forderungen, natürlich das Vetorecht aufzuheben, aber das wird nicht passieren. Die Vetomächte bleiben natürlich fest davon überzeugt, dass das genau das Richtige ist. Aber man muss eben auch Länder wie China und Russland davon überzeugen, dass das, was sie tun, auch letzten Endes nicht langfristig in ihrem Interesse sein kann, denn auch die Stellung Russlands und das Ansehen Russlands in der Region wird natürlich sehr stark beschädigt werden und kurzfristige sicherheitspolitische, auch wirtschaftliche Gründe in den Vordergrund zu stellen, ist einfach schädlich.

    Klein: Und die UNO ist dafür immer noch das einzige und auch nach wie vor unverzichtbare Gremium?

    Chrobog: Ich halte die UNO für völlig unverzichtbar. Wir brauchen dieses Weltforum, wo alle zusammenkommen, sich austauschen können, auch Luft ablassen können und Dampf ablassen können. Es ist außerordentlich wichtig und hier kommen Themen zur Sprache vor den Ohren der gesamten Weltöffentlichkeit, und das halte ich für gar nicht zu überschätzen.

    Klein: Vielleicht noch mal abschließend ein Blick auf gestern. Sie haben den Iran genannt, wir haben den Auftritt von Ahmadinedschad gestern sehen können. Vergleichsweise gemäßigt, hieß es ja von Beobachtern. Hat sich das Thema Ahmadinedschad insofern vielleicht auch erledigt, weil es sein letzter Auftritt war, weil er im nächsten Jahr nicht mehr kandidieren wird, und steigen damit auch die Möglichkeiten, den Atomkonflikt mit dem Iran friedlich beizulegen?

    Chrobog: Nun, er hat ja seine Haltung nicht verändert, die Haltung gegenüber Israel nicht und die Haltung im Atomstreit ebenfalls nicht, und alles das, was zu sagen war, hat er ja in den letzten Wochen auch schon abgelassen. Er hat sich jetzt etwas mehr präsentiert als großer Staatsmann dort, aber an der Lage hat sich nichts verändert. Man kann nur hoffen, dass der Wechsel nachher in der Präsidentschaft im Iran irgendwann auch Konsequenzen hat für eine stärkere Verhandlungs- und Kompromissbereitschaft dieses Landes.

    Klein: Er wirft ja Israel Angriffspläne vor. Hat er damit im Prinzip auch noch mal Öl ins Feuer gegossen, oder war das eher Rhetorik?

    Chrobog: Na ja, das ist Rhetorik. Das ist die alte Behauptung, die er immer aufstellt. Dass Israel Angriffspläne hat, ist ja von uns nicht zu sehen. Aber das ist natürlich eine Retourkutsche im Hinblick auf sein eigenes Atomprogramm.

    Klein: Abschließend, Herr Chrobog: Nachdem die Rolle Deutschlands auf der Weltbühne ja im Zusammenhang mit Libyen nicht unumstritten war, betreibt Guido Westerwelle im Augenblick eine makellose deutsche Außenpolitik?

    Chrobog: Also ich finde, dass er im Augenblick eine gute Außenpolitik betreibt. Ja, Libyen war ein Fauxpas, der uns noch lange nachhängen wird oder anhängen wird, aber ich glaube, seine Initiativen und sein Auftritt im Sicherheitsrat war durchaus überzeugend, und ich glaube und hoffe, dass Deutschland in Zukunft eine größere Rolle in den Vereinten Nationen spielen wird.

    Klein: Ein zweiter Genscher?

    Chrobog: Na ja, also wollen wir mal abwarten. Genscher war sehr viel länger da, ich habe sehr viele Jahre für Genscher gearbeitet auch. Dazu braucht man viele Jahre, um eine derartige Stellung zu erreichen.

    Klein: Der ehemalige Spitzendiplomat Jürgen Chrobog bei uns heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Chrobog.

    Chrobog: Sehr gerne – guten Morgen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.