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Vor der Berlin-Wahl
Das große Zittern vor der AfD

Berlin, Spätsommer 2016. Die jüngsten Erfolge der AfD bringen die Bundesparteien ins Schwitzen. Was tun? Die Union ist zerstritten, aber die Kanzlerin gibt sich unbeirrt. Der SPD-Chef provoziert und polarisiert. Frank Capellan aus unserem Hauptstadtstudio hat alles mitgeschnitten.

Von Frank Capellan | 16.09.2016
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) im Bundestag.
    Was tun gegen eine AfD im Aufwind? Das fragen sich nicht nur Sigmar Gabriel und Angela Merkel. (dpa-Bildfunk / Michael Kappeler)
    Es ist irgendwie, als ob der Sommer nie zu Ende geht. 30 Grad im September, und jetzt noch ein heißer Herbst? Politisch ist dieser Sommer eher zum Frösteln, beherrscht vom großen Zittern vor der AfD:
    "Arroganz der Macht. Die Kartellparteien wackeln immer mehr, man kann nicht übersehen, dass wir dieses Land als Alternative für Deutschland umkrempeln!"
    Die Kanzlerin gilt nicht mehr als alternativlos
    Dass sich deren Chefs Jörg Meuthen und Frauke Petry in Alt-Parteien Manier bekriegen bis zum Geht-Nicht-Mehr, sei's drum. "Merkel muss weg!" schallt es der CDU-Chefin in der Republik entgegen, erstmals gilt die Kanzlerin vielen Deutschen nicht mehr als alternativlos. Ihre Flüchtlingspolitik spaltet das Land, wird da wirklich was von Grund auf umgekrempelt?
    Und Zeit für Sommerreisen. Irgendwie sitzen die Sozialdemokraten ständig auf gepackten Koffern. Miese Umfragen, die AfD im Nacken. Erst Schwerin, Sonntag Berlin. Bundespolitiker werden gebraucht in Stadt und Land.
    "Hallöchen, Damit Sie Sonntag zur Wahl gehen, dafür gibt es eine rote Rose als nette Erinnerung!"
    Manuela Schwesig, Thomas Oppermann, Sigmar Gabriel. Spitzen-Sozis auf Werbetour. Ein Jahr vor der Bundestagswahl. Zu ewiger Treue zur Union schienen sie verdammt, aber vielleicht geht ja 2017 doch noch was? Rot-rot-grün in der Hauptstadt könnte ja den Weg weisen.
    "Fakt ist, dass Angela Merkel nicht mehr diese unangreifbare Position hat, die sie hatte!"
    Das erste Mal im Leben jedenfalls ist Katharina Barley als Generalsekretärin der SPD auf Sommertour. Erstmals kämpft sie für Sigmar Gabriel, den Kanzlerkandidaten in spe, den Vizekanzler, der sich gerade freischwimmt von seiner Kanzlerin
    "Ich kommt total gut klar mit Sigmar Gabriel. Wir haben einen sehr ähnlichen Humor. Ich mag Leute, die Kanten haben."
    Sigmar Gabriel provoziert und polarisiert
    Kanten hat er. Gabriel provoziert und polarisiert. Gleich nach der Berlin-Wahl muss er am Montag einen kleinen Parteitag überstehen, seine SPD will ihm nicht folgen beim Ja zu CETA, dem Freihandelsabkommen mit Kanada.
    Auch Thomas Oppermann kämpft in diesem Sommer für die SPD und den Vorsitzenden. Zu ungewohnter Stunde an ungewohntem Ort. Morgens um neun wird ihm ein Gläschen Whisky gereicht, der Fraktionschef ist zu Gast in einer Destillerie im Harz. Hier lässt sich was lernen.
    "Ich wünsche mir die SPD hochprozentig. Ich habe mir natürlich angesehen, wie man zu hören Prozenten kommt. Also man muss gucken, dass man Wasser und Alkohol trennt und ordentlich destilliert. Wenn man es hinterher gut verschneidet, dann kann ein gutes Produkt dabei rauskommen!"
    Destilliert wird nächste Woche erst einmal beim Konvent in Wolfsburg. Aus TTIP mach CETA. Das Abkommen mit den Amerikanern ist tot, es lebe das mit den Kanadiern. Bringt er die SPD hinter sich, dürfte der Weg frei sein für Gabriels Kanzlerkandidatur. Merkel hat er längst ins Visier genommen. In der Flüchtlingspolitik geht er auf Distanz, dabei war er doch so lange eine feste Bank für die getriebene Kanzlerin
    Mit Merkels sozialdemokratischer Politik wird die SPD kleinregiert
    "Wir geben Frau Merkel, solange sie sozialdemokratische Politik macht, immer Asyl in unserer Partei, liebe Genossinnen und Genossen…(Applaus)"
    Genau das aber beschreibt das Problem. Mit Merkels sozialdemokratischer Politik wird die SPD kleinregiert. Bitter, wenn das schon Kindern beigebracht wird, muss sich Familienministerin Manuela Schwesig gedacht haben, als ihr der fünfjährige Romeo beim Kita-Besuch in Mecklenburg fachkundig erklärt, wer sie denn ist:
    "Wisst Ihr noch, wer unser Besuch ist? – Frau Schwesig! – Wer ist Frau Schwesig? – Die Helferin von Frau Merkel.
    Schwesig: "Das war aber nicht so abgesprochen."
    Nein die Helferin von Frau Merkel will die Ministerin nun wirklich nicht länger sein. Und Romeo bleibt sogar standhaft, als die stellvertretende SPD-Chefin versucht, die Situation zu retten:
    "Habt ihr eine Idee, was eine Kinderministerin macht, um wen sie sich kümmern muss? – Um Frau Merkel!"
    Sigmar Gabriel: "Obergrenze der Integrationsfähigkeit eines Landes"
    Nein, um Frau Merkel müssen sich viele kümmern, die SPD will es nicht länger tun. Unüberhörbar, wie der Parteichef sich distanziert. In der Flüchtlingspolitik geht er so weit, dass er das O-Wort in den Mund nimmt
    "Natürlich gibt es die Notwendigkeit, eine Obergrenze zu haben, und zwar liegt die bei der Integrationsfähigkeit eines Landes!"
    Seit er diesen Satz ausgesprochen hat, muss sich Gabriel vorhalten lassen, der AfD nun auch rhetorisch hinterher zu rennen. Das aber, sagen sie in der SPD, sollte doch lieber der CSU, den Scheuers und Söders überlassen werden
    "Wir fordern endlich Entscheidungen ein: Obergrenze! – Aus einem 'Wir schaffen das' sollte ein 'Wir haben verstanden'und ein 'Wir ändern das' werden!"
    Vom Zickenkrieg der Schwestern sprechen sie im Willy-Brandt-Haus, wenn Horst Seehofer Merkel in Bedrängnis bringt. Als die AfD in Mecklenburg vor der CDU landet, ist für den Bayern das Maß voll. Der CSU-Chef hat schon immer gewarnt: Die Rechtspopulisten bedrohen die Existenz der Union.
    Merkel gibt sich unbeirrt
    "Es ist ja eine tektonische Verschiebung der politischen Landschaft in Deutschland. Es geht schon um den Bestand der Union!"
    Und um die Zukunft der Kanzlerin. Doch Merkel gibt sich unbeirrt, ungeachtet aller Wahlkatastrophen
    "Ich wiederhole gerne noch einmal. Ich halte die grundlegenden Entscheidungen, so wie wir sie in den vergangenen Monaten getroffen haben, für richtig!"
    Sigmar Gabriel: "Wir machen das"
    Sigmar Gabriel will das nicht mehr stehen lassen. Wir sind die Partei des "Wir machen das!" In den Landtagswahlkämpfen ist das die Ansage des Chefs, denn:
    "Es reicht nicht, wenn Sie ständig sagen 'Wir schaffen das'!"
    "Ist Gabriel dafür oder schon wieder dagegen?"
    Treibende Kraft bei der Integration, die Union ist zerstritten und blockiert. Wird das die Wähler überzeugen? Kann das den Vormarsch der AfD noch stoppen? Die Antwort wird es wohl erst im nächsten Sommer geben. Gabriels Kritiker in der Partei dürfte es allerdings ins Grübeln bringen, dass der Vorsitzende mit den Kanten inzwischen selbst von den Satirikern der heute-show vorgeführt wird:
    "Chef: Gabriel gibt gerade ein Interview im Deutschlandfunk zum Thema Obergrenze. – Ach du Scheiße! Das hatten wir ihm doch verboten! – Ist er dafür oder schon wieder dagegen?!? – Sowohl als auch! – Verdammt!"