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Wahl des FIFA-Präsidenten
"Es darf kein neuer Blatter sein"

Aussichtsreichste Kandidaten für die Blatter-Nachfolge bei der FIFA sind Gianni Infantino und Scheich Salman bin Ibrahim Al Khalifa. "Ein Austausch von Figuren ist nicht das Problem der FIFA", sagte Fußballexperte Marcel Reif im Deutschlandfunk. Viel wichtiger sei, dass sich die FIFA von Grund auf neu strukturiere und ändere.

Marcel Reif im Gespräch mit Dirk Müller | 26.02.2016
    Der Sportkommentator Marcel Reif.
    Der Sportkommentator Marcel Reif. (imago/sportfoto/Defodi)
    Dirk Müller: Es soll der große Neuanfang sein, eine neue Glaubwürdigkeit, neues Vertrauen, auch neue Kompetenz, ein redlicher Förderer eines sauberen Fußballs oder einer sauberen Funktionärsriege an der Spitze der FIFA. In wenigen Stunden ist es dann soweit. Die Welt wird dann wissen, wer neuer Chef des größten Sportverbandes ist, wer Nachfolger von Sepp Blatter ist. Zwei Kandidaten sind die Favoriten auf den hoch begehrten Posten. Da ist einmal der Schweizer Gianni Infantino, derzeit UEFA-Generalsekretär, und Scheich Salman al-Khalifa. Er ist derzeit Scheich und Mitglied des Königshauses. Beide Kandidaten sind wie auch immer äußerst umstritten.
    Die FIFA-Reformen - wir haben das gerade gehört - sind sanktioniert. Das heißt, sie sind verabschiedet. Sie stehen jetzt zumindest mal schwarz auf weiß auf dem Papier. Wir wollen jetzt unter anderem aber reden vor allem über die Kandidaten, über den möglichen FIFA-Präsidenten und was dann auf diesen zukommt. Wir sind verabredet jetzt hier am Telefon mit Marcel Reif, Fußballkenner und Chefkommentator bei Sky. Guten Tag!
    Marcel Reif: Ich grüße Sie. Hallo.
    Müller: Herr Reif, halten Schweizer zu Schweizern?
    Reif: Halten tue ich zum Fußball. Ich bin zwar in der Schweiz und bin Schweizer, aber nein, nein. Gianni Infantino hat seine Meriten. Er ist allerdings auch lange Jahre gesegelt mit Michel Platini. So viel Blauäugigkeit kriege ich nicht gebacken, dass ich sagen könnte, der hat von allem nichts gewusst, weshalb Platini jetzt gesperrt ist für sechs Jahre. Und umgekehrt Herr Blatter: Sie haben vorhin in Ihrer ersten Einlassung gesagt, die FIFA sucht einen neuen Sepp Blatter. Wenn es das wäre, dann sollten wir jetzt uns verabschieden. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag und Sie mir. Denn das genau darf es nicht sein, ein neuer Sepp Blatter nicht, sondern es geht um Strukturreformen. Die an der Figur nur festzumachen, das wird nicht reichen, auch nachher, wer da Präsident wird. Das allein macht den Bock nicht fett, sondern diese FIFA muss von Grund auf in ihren Strukturen, in ihrer Herangehensweise an Probleme, in ihrer Art, Dinge zu wählen, das muss sich von Grund auf ändern. Und das geschieht nicht nur mit der Wahl heute Nachmittag, das wird noch brauchen.
    Reform: "Ich glaube das erst, wenn alles umgesetzt ist"
    Müller: Aber sind Sie sicher, dass das nicht so kommen könnte, dass es wieder ein Sepp Blatter II wird?
    Reif: Da bin ich eben nicht sicher. Der Bahraini, der Scheich ist, soviel ich weiß, seit vielen Jahren vernetzt in dieser FIFA, und deswegen bin ich da - ich weigere mich, nur auf die Figur zu gucken. Jeder Mensch hat ja die Chance, sich zu ändern. Ich habe kein Problem damit. Wenn das plötzlich andere Menschen werden und was lernen aus der Geschichte, das ist ja gut. Aber ein Austausch von Figuren ist nicht das Problem der FIFA. Das Problem der FIFA ist, dass sie von Grund auf Strukturen hat, die diese ganze Korruption über Jahrzehnte zum System erhoben hat. Und deshalb: Das lässt sich nicht mit einem Federstrich ändern. Auch heute die Abstimmung ist großartig, aber ich glaube das erst, wenn alles umgesetzt ist. Und um die Wahrheit zu sagen: In vielem müssen sich da Menschen eigentlich abschaffen oder ihre Bedeutung abschaffen, in der sie bisher sehr gut gelebt haben, um es vorsichtig auszudrücken, also Hände aufgehalten haben. Die müssen jetzt sagen, nein, jetzt können wir nicht mehr in Hinterzimmern und nicht mehr an Strippen ziehen und in Hinterzimmern Dinge kungeln, sondern jetzt soll das alles transparent und öffentlich sein. Das bedeutet aber, da kann niemand so leicht die Hand aufhalten, und das glaube ich erst, wenn ich es sehe.
    Müller: Das hört sich ja so an, dass wir einen von Amnesty International brauchen.
    Reif: Ach wissen Sie, die amerikanischen Behörden - und die gelten ja als begeisterte Humorlose -, die haben da irgendwann mal zugebissen, und die Schweizer Behörden, das sind die trägen, dazu werden die von den Amerikanern noch ein bisschen gezwungen, zu ihrem Glück. Das heißt, die gucken sich das genau an und die haben einige Dinge vorliegen. Und da ist die Frage, wie die damit dann umgehen werden. Glauben die, dass das jetzt gut wird und dass es richtig aufgegleist ist, oder sagen die, nein, das reicht uns noch nicht, dann müssen wir noch mal ein bisschen an der Stelle bohren und an der Stelle bohren. Das ist nicht Amnesty International, aber es sind Dinge gelaufen auf einer Art, wie man das heute nicht mehr machen kann. Ich sage Ihnen noch was. Ich lebe ja in Zürich. Diese FIFA, das ist ja Realsatire. Dieses Gebäude, das neue, ist ein Fünftel über der Erde und die anderen vier Fünftel unter der Erde.
    Vorwürfe um die WM 2006: "Das war das System"
    Müller: Das ist ja bescheiden.
    Reif: Sehr bescheiden, aber unter der Erde wie gesagt. Da wird viel unterirdisch gemacht. Auf der anderen Seite, da sind Hunderte von Mitarbeitern, die einen tollen Job machen. Die Korruption ist ja nicht nur Blatter gewesen, sondern die Turniere ausrichten, die wirklich auch Gelder in Ecken der Welt bringen, damit der Fußball da prosperieren kann oder neue Strukturen aufgebaut werden. Da ist sehr viel Gutes getan worden und richtig gemacht worden.
    Müller: Das war ja auch Blatter! Das war ja auch Sepp Blatter.
    Reif: Das war auch Blatter. Deswegen nur zu sagen, Blatter ist die Inkarnation des Bösen und sonst nichts, alles zu kurz gesprungen. Blatter hat nur an der Spitze eines Systems irgendwann mal offenbar die Realitäten aus den Augen verloren und was richtig ist und was nicht. Die Koordinatensysteme sind völlig außer Kontrolle geraten. Es war völlig normal, wenn Du eine WM haben willst - nehmen Sie doch die deutsche Bewerbung, dieses angeblich gekaufte deutsche Sommermärchen -, Du kannst nur die reine Lehre haben zu sagen, konntest Du bisher, nein, dann können wir uns halt nicht bewerben, weil wenn wir uns bewerben, müssen wir natürlich nach der Musik tanzen, die da gespielt wird. Und das hieß, dann musst Du da ein bisschen nachhelfen, da ein bisschen nachhelfen. Und da blauäugig zu sagen, nur wir, weil wir so tolle Deutsche waren zu der Zeit, kriegen wir die WM, das ist lächerlich. Deswegen war so ein bisschen die Stunde der Heuchler gekommen. Das war das System.
    "Ich glaube daran, dass Menschen eine zweite Chance verdienen"
    Müller: Die 6,7 Millionen sind jetzt für Sie nachvollziehbare Realpolitik?
    Reif: Leider ja, und das ist ja das Problem. Das war ja nicht etwa, dass da einer mal schiefgelaufen ist und andere ein bisschen mitgelaufen sind, sondern Teil eines institutionalisierten, ineinandergreifenden Systems. Schrecklich, schrecklich, aber real!
    Müller: Jetzt haben wir Ihnen, Herr Reif, ja aufmerksam und genau zugehört. Ich komme jetzt noch einmal auf die Köpfe zurück, über die wir ja reden, Gianni Infantino, UEFA-Generalsekretär. Da haben Sie schon gesagt: Alleine durch die Funktion auch über Jahre belastet, vorbelastet, die enge Zusammenarbeit mit Michel Platini. Und dann Scheich al-Khalifa. Kann das dann überhaupt gelingen, dass der Fisch künftig nicht vom Kopf schon wieder von Beginn an stinkt?
    Reif: Zumindest ist der Kopf noch da. Noch mal: Ich glaube daran, dass Menschen eine zweite Chance verdienen und dass Menschen sich ändern können.
    Müller: Also Saulus zum Paulus?
    Reif: Da wollen Sie den ganz großen Sprung haben. Mir reicht schon Sauluschen bis zum Pauluschen. Das würde mir schon für den Anfang reichen. Wenn Strukturen so geschaffen werden, dass der Spielraum für Korruption eingeengt wird, und wenn dann diese Männer sagen, wir haben das erlebt, wir kennen uns aus, wir wissen, wie das war, das wollen wir nicht mehr und wir tun jetzt alles, damit das aufhört und ein Neuanfang gemacht wird, würde ich ein ganzes Stück mitziehen. Bei dem Bahraini kommen ja noch ein paar Dinge dazu. Auf jedem Trikot steht ja "Respekt", "Fair Play" und was weiß ich. Da sind Menschenrechte massiv, und zwar vor aller Weltöffentlichkeit, in Bahrain vor zwei Jahren, glaube ich, buchstäblich mit Füßen und mit Gewehrkolben getreten worden, und dieser Herr, dieser Scheich war da als Sportfunktionär mitten drin. Es gab kürzlich eine Dokumentation in der ARD, wo betroffene Sportler erzählt haben, wie sie allein gelassen wurden, als sie von Machthabern gewaltig malträtiert wurden. Und da war der mit drin! Sehen Sie, da wird es mir dann irgendwann ein bisschen sehr viel, nicht nur, dass der ein Strippenzieher war, und zwar einer über viele Jahre, Jahrzehnte fast in der FIFA und wirklich die Dinge von A bis Z mitgespielt hat, und B, dass der auch noch in Bezug auf Menschenrechte und wie man mit Demokratie umgeht vorbelastet ist. Das ist mir für meinen Geschmack ein bisschen viel! Aber noch mal: Auch der dürfte, wenn er vom Saulus zum Paulus wird, bitte.
    "In Afrika werden Geschäfte anders gemacht werden"
    Müller: Herr Reif, wenn wir noch einmal die Perspektive vielleicht wechseln. Wir reden in Deutschland darüber, in der Schweiz, in Österreich, also im deutschsprachigen Raum. In Europa wird diskutiert, in England auch, in Großbritannien ist heftig diskutiert worden über die FIFA, natürlich auch in den Vereinigten Staaten. Es waren die amerikanischen Staatsanwälte, die amerikanische Justiz, die dann irgendwann einmal "zugeschlagen" hat, konkret FIFA-Funktionäre dann auch festgenommen hat mit entsprechenden Vorwürfen in der Hinterhand. Aber reden wir über die anderen Kontinente, die heute Nachmittag mit großer Wahrscheinlichkeit den Ausschlag geben werden: Afrika, Asien, Südamerika. Ist das eine Diskussion, die dort als völlig überflüssig, lächerlich abgetan wird, was wir hier gerade besprechen?
    Reif: Da überfordern Sie mich ein bisschen, weil ich da natürlich nicht jeden Tag in der Ecke stehe und mir anhöre, wie das da diskutiert wird. Allerdings schauen Sie: Dass in Afrika Geschäfte anders gemacht werden in vielen Ländern, als wir es hier für picobello sauber halten in Europa, ich denke, das ist keine so schrecklich originelle Sichtweise und das hat auch nichts mit Rassismus zu tun. Deswegen haben wir das nächste Problem, das haben wir noch gar nicht besprochen. One Man, one Vote. Jedes Land hat eine gleichberechtigte Stimme. Der größte Sportverband der Welt, der DFB, der Deutsche Fußballverband, hat genauso eine Stimme wie weiß ich nicht, irgendeine kleine Insel.
    Kritik am "One man, one Vote"-Prinzip
    Müller: Trinidad Tobago.
    Reif: Trinidad Tobago, Grenada, was Sie mögen. Das heißt natürlich, ich kann, wenn die Strukturen in so einem kleinen Land anders sind, als wir sie kennen, dort anders einwirken von außen. Ich rede ein bisschen um den Brei herum, weil ich ja nichts behaupten möchte, weil ich ja nicht dabei war, dass irgendwelche Gelder geflossen sind. Aber dieser Jack Warner da in der Karibik, was der Geld hinten herum zum Schmieren in die eigene Tasche benutzt hat, das wäre hier in Deutschland ein bisschen schwieriger oder bei anderen großen Verbänden. Insofern ja, dieses "One Man, one Vote" klingt super, weil das ist ja das Mandela-Prinzip aus Südafrika. Das klingt toll. Aber diese Art von Demokratie ist schiefgegangen in der FIFA. Ich denke, auch da wird es eine Gewichtung brauchen. Und wenn Länder eine Historie haben, oder Verbände eine Historie haben, wo Gelder verschwunden sind, wo Korruption eindeutig war, dann muss man die an die Kandare kriegen und dazu braucht es eine Führung. Das ist ja der Hauptvorwurf, mein Hauptvorwurf an Blatter, wissend, dass die Dinge so laufen, und er hatte die Macht, hat nicht durchregiert, sondern er hat gesagt, nun gut, das ist halt so, und hat da zum Teil, um seine Macht zu erhalten, diese Strukturen sogar für sich selber benutzt. Ich glaube nicht, dass wir einfach sagen können, nun ja, nur weil in afrikanischen Ländern oder auch in südamerikanischen Ländern die Dinge immer so waren, müssen wir jetzt kapitulieren, die sehen es halt nicht so rigoros wie wir. Dann können wir die ganze Übung knicken, denn dann wird die FIFA bleiben, was sie ist. Es wird weiter wunderbarer Fußball gespielt werden, nur wir brauchen dazu keine FIFA mehr. Das hätte ja auch irgendwas. Wenn das jetzt schiefgeht, dieses ganze Getöse um diesen Kongress jetzt, wenn das nicht zu einem vernünftigen Ende führt, dann habe ich nur noch die Hoffnung, dann macht sich die FIFA irgendwann mal überflüssig und dann werden die amerikanischen Justizbehörden nicht aufhören, da reinzuhauen. Und dann kriegen wir alle zwei Wochen wieder diese Superszenen an diesem Hinterausgang von diesem Züricher Hotel, wo da irgendwelche Funktionäre in irgendwelchen Autos verschwinden. Wenn es das ist, was diese FIFA will, dann ist es eine traurige Geschichte, aber dann wäre es auch konsequent zu Ende geführt.
    Müller: Klare Worte heute Mittag bei uns im Deutschlandfunk. Marcel Reif, Fußballexperte und Chefkommentator bei Sky. Danke für das Gespräch und die Zeit, die Sie sich genommen haben für uns.
    Reif: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.