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Wahlergebnis im Saarland
"Viele Medien sind auf die letzten Umfragen gar nicht eingegangen"

Für den Parteien- und Wahlforscher Oskar Niedermayer war das CDU-Wahlergebnis bei der Landtagswahl in Saarland keine Überraschung. Viele Medien seien auf die positiven Wahltrends für die CDU gar nicht eingegangen. Das habe auch die SPD nicht wahrhaben wollen und weiter von einem Kopf-an-Kopf-Rennen gesprochen, "was überhaupt nicht stimmte".

Oskar Niedermayer im Gespräch mit Mario Dobovisek | 27.03.2017
    Porträtaufnahme von Oskar Niedermayer im November 2015
    Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer: "Die Wähler haben das Recht darauf, alle notwendigen Informationen, die sie zu ihrer Wahlentscheidung nutzen wollen, auch tatsächlich zu bekommen." (dpa / Julian Stratenschulte)
    Mario Dobovisek: Das Saarland: CDU 40,7 Prozent, SPD 29,6 Prozent, drittstärkste Kraft ist Die Linke mit 12,9 Prozent, es folgt die AfD mit 6,2, und das war’s dann auch schon. Nur vier Parteien werden im saarländischen Landtag vertreten sein. Die Grünen und die Piraten fliegen raus und die FDP schafft es wieder nicht rein. Vier Parteien und im Grunde nur eine Koalitionsmöglichkeit: Ein Großkoalitionäres "weiter so", für das Annegret Kramp-Karrenbauer geworben und schließlich auch gewonnen hat.
    Am Telefon begrüße ich den Parteien- und Wahlforscher Oskar Niedermayer, Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin. Guten Tag, Herr Niedermayer.
    Oskar Niedermayer: Guten Tag!
    Dobovisek: Hören wir noch einmal gemeinsam rein in das, was gestern Abend da um 18 Uhr über die deutschen Fernsehschirme flimmerte, in diesem Fall im ZDF.
    O-Ton ZDF: "Reicht es rechnerisch für Rot-Rot, oder Rot-Rot-Grün? Hier die Prognose: die CDU mit 40 Prozent, deutliche Gewinne. SPD 30, ähnlich wie vor fünf Jahren…"
    Dobovisek: Herr Niedermayer, die CDU zehn Prozentpunkte vor der SPD. Für viele gestern eine große Überraschung. Für Sie auch?
    Niedermayer: Vielleicht in der Höhe ein bisschen. Aber dass die CDU deutlich vor der SPD liegen würde, war mir klar.
    Dobovisek: Warum?
    Niedermayer: Weil die letzten Umfragen, die halbwegs in der Nähe des Wahlsonntags waren, gerade die Forschungsgruppe Wahlen zum Beispiel, schon sehr, sehr nahe am Ergebnis waren. Wenn man die Fehlertoleranz abzieht, haben sie fast alle richtig geschätzt. Es war nur so, dass viele Medien darauf gar nicht eingegangen sind und natürlich die SPD das auch nicht wahrhaben wollte und immer noch davon geredet haben, dass es ein Kopf-an-Kopf-Rennen ist, was überhaupt nicht stimmte.
    "Endphase des Wahlkampfes wird immer wichtiger"
    Dobovisek: Genau darüber haben ja auch die Konkurrenten gesprochen, die anderen Wahlforscher, zum Beispiel von Infratest Dimap oder auch von Forsa, die beide tatsächlich gleich auf sahen bei 35 zu 34 Prozent oder bei 34 zu 33 Prozent. Wie kommt diese Diskrepanz zustande?
    Niedermayer: Infratest Dimap hat die letzte Umfrage veröffentlicht knapp zwei Wochen vor der Wahl, und da sah es in der politischen Stimmung zu dieser Zeit noch anders aus. Und wenn man eine Umfrage macht zwei Wochen vor der Wahl, dann kann man die nicht benutzen, um das Wahlergebnis zu prognostizieren, weil es eine Momentaufnahme ist der jeweiligen Stimmung zu dem Zeitraum, wo die Umfrage gemacht wird. Das war wie gesagt knapp zwei Wochen vorher und was passiert ist, ist, dass in der Endphase des Wahlkampfes, die ja immer wichtiger wird, weil sich immer mehr Leute ganz kurz vor der Wahl oder sogar am Wahlsonntag erst entscheiden, ob sie hingehen und was sie wählen wollen, dass in dieser Endphase viele Dinge passiert sind. Und das hat dazu geführt, dass sich die Zahlen noch verändert haben.
    Dobovisek: Umfragen sind immer Momentaufnahmen. Haben da viele Meinungsforschungsinstitute einfach den falschen Moment gewählt?
    Niedermayer: Nein, sie haben nicht den falschen Moment gewählt. Denn es werden ja in bestimmten Abständen immer wieder Umfragen gemacht. Dann kann man Trends erkennen, man kann sehen, wie sich die Stimmung verändert, je nachdem ob bestimmte Ereignisse stattgefunden haben und so weiter. Das war ja zum Beispiel auch nach der Schulz-Nominierung, der Schulz-Effekt, wo die SPD hochgegangen ist in den Umfragen. Nur wenn man dann die letzte Umfrage veröffentlichen darf, die knapp zwei Wochen vor der Wahl ist, und Infratest macht natürlich dann in der Woche vor der Wahl auch noch eine Umfrage macht – das ist die sogenannte Vorwahlbefragung. Nur die durfte sie von der ARD aus nicht mehr veröffentlichen.
    Dobovisek: Warum darf das ZDF es dann?
    Niedermayer: Es gab früher mal eine Vereinbarung der beiden Fernsehanstalten, wo man sagte, wir veröffentlichen in der Woche vor der Wahl keine Umfragen mehr, um nicht uns dem Vorwurf auszusetzen, dass wir durch diese Umfrage die Leute beeinflussen.
    Dobovisek: Und das ZDF hält sich nicht mehr daran?
    Niedermayer: Dann hat das ZDF sich nicht mehr daran gehalten und die ARD hat aber gesagt, nein, wir halten uns weiter daran, sodass Infratest nicht ihre eigene letzte Umfrage veröffentlichen konnte. Und ich bin mir sicher, dass die Werte da anders aussehen. Es gibt natürlich für beide Dinge, Umfragen kurz vor der Wahl zu veröffentlichen oder auch nicht, Argumente. Die ARD sagt, wir wollen die Leute nicht beeinflussen. Das ZDF sagt, wir wollen das Informationsbedürfnis der Leute befriedigen, dass sie auch kurz vor der Wahl noch die notwendigen Informationen, die sie vielleicht brauchen für ihre Wahlentscheidung, auch bekommen. Beides ist begründbar. Das Schlechte ist jetzt nur, dass die eine Anstalt die eine Version verteidigt und die andere die andere Version.
    "Umfragen, die gemacht werden, dann auch zu veröffentlichen"
    Dobovisek: Jetzt sind Sie, der Politikwissenschaftler, genau zwischen den beiden Stühlen, können das neutral betrachten, sind ein Experte für Wahl- und Meinungsforschung. Welches Argument ist aus Ihrer Sicht schlüssiger?
    Niedermayer: Ich finde allein schon aus demokratietheoretischen Gründen, dass das Argument, die Umfragen, die gemacht werden, dann auch zu veröffentlichen, ein sinnvolles Argument ist. Denn die Wähler haben das Recht darauf, alle notwendigen Informationen, die sie zu ihrer Wahlentscheidung nutzen wollen, ja nicht müssen, aber können, dann auch tatsächlich zu bekommen. Gerade zum Beispiel für strategisch denkende Wähler, die sich überlegen, kommt eine bestimmte Partei, die ich vielleicht präferiere, rein, kommt sie nicht rein, ist meine Stimme dann verloren, gebe ich die Stimme dann lieber doch einer anderen Partei, oder wie jetzt im Saarland wird immer deutlicher kurz vor der Wahl, dass die eine Partei die Regierung ablösen will, aber mit einer Koalition, die ich nicht haben will, sodass ich dann darauf auch reagieren kann. Deswegen finde ich dieses Argument das sinnvolle und natürlich beeinflussen Umfragen die Wahlergebnisse in einer gewissen Weise. Nur das Problem ist: Sie beeinflussen sie für verschiedene Gruppen der Wähler in sehr unterschiedlicher Weise. Und den Netto-Effekt dann herauszurechnen, was das fürs Wahlergebnis bedeutet, ist extrem schwierig.
    Dobovisek: Aber wir können generell festhalten: Umfrageergebnisse, die kurz vor der Wahl noch veröffentlicht werden, haben einen Einfluss auf die Wahl?
    Niedermayer: Sie haben einen Einfluss, aber sie haben für verschiedene Gruppen der Bürgerinnen und Bürger unterschiedlichen Einfluss, sodass man nicht sagen kann, sie haben einen ganz bestimmten Einfluss, der eine Partei auf jeden Fall benachteiligt oder die andere befürwortet, sondern es kommt darauf an, ist man ein strategischer Wähler, welcher Partei hängt man an und so weiter und so fort.
    Dobovisek: Strategische Wähler, sagen Sie, kurz entschlossene Wähler, das ist kein neues Phänomen, aber es wird stärker, es wird messbar stärker.
    Niedermayer: Richtig.
    Dobovisek: Wie stark ist das heute?
    Niedermayer: Wir haben heutzutage die Situation, dass die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler entweder gar keine längerfristige Bindung an eine der Parteien hat, oder eine relativ schwache Bindung. Das heißt, dass Kurzfrist-Faktoren, die Inhalte, die im Wahlkampf eine Rolle spielen, die Sachthemen, und die Personen, die präsentiert werden, einen größeren Effekt haben auf die Leute. Gerade jetzt in der letzten Landtagswahl haben wir einige Beispiele, dass diese Personeneffekte sehr stark sind. Die müssen nicht immer stark sein, aber bei Kretschmann, jetzt bei Kramp-Karrenbauer und bei zwei, drei anderen waren sie sehr stark.
    "Die Emotionalisierung im Wahlkampf ein etwas weniger prognostizierbarer Teil"
    Dobovisek: Viele unter uns Journalisten, aber auch unter Politikern haben vor der Wahl vom Schulz-Effekt gesprochen. Stattdessen hat es den AKK-Effekt gegeben. Wir reden, genau das, was Sie ansprechen, über die Personalisierung von Wahlen oder von Wahlkämpfen, obwohl ja weiter Parteien und nicht Persönlichkeiten gewählt werden. Macht diese Emotion, machen diese mit Emotionen behafteten Personalisierungen es den Meinungsforschern am Ende sogar noch schwerer?
    Niedermayer: Insgesamt macht die Tatsache es den Meinungsforschern schwerer, dass die Leute flexibler geworden sind, dass sie nicht bei jeder Wahl eine andere Partei wählen müssen, aber sie können es viel stärker als früher. Und natürlich ist auch die Emotionalisierung im Wahlkampf ein etwas weniger prognostizierbarer Teil. Aber es ist nicht so, dass wir jetzt über die Zeit hinweg eine ganz klare Personalisierung des Wahlverhaltens in dem Sinne hätten, dass von Wahl zu Wahl die Personen wichtiger werden. Es kommt immer bei jeder Wahl darauf an, wer die Personen sind, und es gibt Wahlen, wo dieser Personeneffekt gering ist, und es gibt Wahlen, wie jetzt hier im Saarland, wo er relativ groß ist.
    "Umfragen sind mit einer sogenannten Fehlertoleranz"
    Dobovisek: Trotzdem liegt jetzt die Kritik bei den Demoskopen ziemlich hoch. Wir haben in den letzten Stunden immer wieder gehört, warum haben die Meinungsforscher das nicht gemacht. Das haben Sie jetzt eindrücklich erklärt. Dennoch: Schauen wir zurück auf Brexit, schauen wir zurück auf Trump. Da lagen die Meinungsforscher aber so was von daneben. Wie erklären Sie sich das und auch diese Reaktionen darauf?
    Niedermayer: Bei Trump muss man sagen, dass die Meinungsforscher, wenn man genau hinschaut, nicht daneben lagen, denn sie haben prognostiziert, dass die Mehrheit ein bisschen aufseiten der Herausforderin, aufseiten von Hillary Clinton liegt, und das ist ja auch der Fall gewesen. Nur die Mehrheit der Stimmen setzt sich im amerikanischen Wahlsystem nicht in die Mehrheit der Wahlmänner um. Da kommt es auf ganz bestimmte sogenannte Swing States an und da kann eine ganz kleine Marge, die man dann über Umfragen gar nicht wirklich abdecken kann, die Rolle spielen, ob die gesamten Wahlmänner des einen Staates an Trump gehen oder an Clinton. Das war in Amerika der Fall, dass Trump die Wahl verloren hat nach den Stimmen, nach den abgegebenen Stimmen, aber die Wahl gewonnen hat nach der Anzahl der Wahlmänner. Bei der Brexit-Wahl war es ja sehr, sehr eng und man darf nie vergessen, dass Umfragen mit einer sogenannten Fehlertoleranz behaftet sind. Das heißt, man kann nicht von den Werten der Umfrage eins zu eins auf die Werte in der Gesamtbevölkerung schließen.
    Dobovisek: Interessanter Punkt.
    Niedermayer: Wenn Sie 30 Prozent in der Umfrage feststellen, dann kann das sowohl 27 als auch 33 Prozent sein. Das heißt, bei 30 Prozent haben wir die drei Prozent Fehlertoleranz.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.