Sonntag, 05. Mai 2024

Archiv

Wahlfälschung beim ADAC
Automobilistische Demokratiepersiflage

Das Heiligenbild des ADAC ist nach der Manipulation der Wahl zum "Auto des Jahres" kaputt. Doch die Unmutsreaktionen der Öffentlichkeit darauf sind ebenso übertrieben wie vorher das Erhabenheitsgetue der Betroffenen, meint Burkhard Müller-Ullrich. Die Wahl sei nichts als ein riesiger Zahlenzinnober.

Von Burkhard Müller-Ullrich | 21.01.2014
    Eine Kamera steht bei der Preisverleihung des ADAC vor einem Logo mit dem "Gelben Engel".
    Von wegen Engel: Der ADAC hat seinen Heiligenschein verloren. (dpa / picture-alliance / Tobias Hase)
    Demokratie ist eine ziemlich anstrengende und aufwendige Veranstaltung. Schon die geheime Wahl des Elternbeirats in einer Schulklasse bringt erwachsene Menschen regelmäßig an den Rand des Nervenzusammenbruchs. Man muss Zettel einsammeln, auszählen, und schon wieder fehlen welche oder es sind zu viele. Genau wie bei den unendlich vielen Wahlen und Abstimmungen, denen der moderne Mensch quasi täglich ausgesetzt ist: von der Goldenen Zitrone über den Bahnschaffner des Jahres bis zur Zusammensetzung unserer Parlamente - alles ein riesiger Zahlenzinnober, den man sich natürlich auch sparen kann, und zwar mit der wegweisenden Methode Ramstetter, benannt nach dem erfinderischen Ex-ADAC-Kommunikationschef und Motorwelt-Ex-Chefredakteur, der dem 19-Millionen-Mitglieder-Club gerade Extra-Publicity in fast unabsehbarem Ausmaß verschafft hat.
    Automobilistische Demokratiepersiflage
    Er nahm nämlich die Demokratiefarce einer freien und allgemeinen Lieblingsautokür per Internet und Postkarte ungefähr so unernst, wie sie ist, und hat das Ergebnis rundweg erfunden. Vielleicht hatte er keine Lust, seine Arbeitskraft mit Waschkörben voller Demokratiefiktionszetteln zu verschwenden, und ließ den Votenmüll einfach entsorgen. Oder aber - und diese Möglichkeit ist die zwar näherliegende, aber für einen 19-Millionen-Club ungleich peinlichere - es haben sich überhaupt nur 3.000 Leutchen in Deutschland bereitgefunden, an der automobilistischen Demokratiepersiflage mitzuwirken.
    Man kann die Leutchen, die es nicht tun, natürlich gut verstehen: Wer nimmt denn heute noch freiwillig an Umfragen teil, wenn es dafür keine Belohnung gibt? Warum sollte man das kommerziell Kostbarste, was man hat, nämlich die eigene Meinung, irgendeiner Marketingmaschine für umme zur Verfügung stellen? Aber vielleicht gibt es in Deutschland überhaupt nicht mehr als 3.000 Leutchen. Wir wurden doch seit Jahren vor dem dramatischen Bevölkerungsrückgang gewarnt. Jetzt ist die Katastrophe eben da. Auch für den Job der Kanzlerin findet sich immer nur ein und dieselbe Person, und das ganze Kabinett sieht nach Wiederverwendung wegen Fachkräftemangels aus.
    Womöglich scheitert die Demokratie an der Demografie
    Wie kann denn eigentlich die Mitgliederzahl eines Autoklubs ständig zunehmen, während die Einwohnerschaft des Landes ständig schrumpft? Oder allgemeiner gesagt: Womöglich scheitert die Demokratie an der Demografie. Da hilft es auch nichts, wenn die OECD künftig Wahlbeobachter zur Kür des Gelben Engels entsendet und die UNO sämtliche ADAC-Pannenstatistiken der letzten Jahre überprüft - es gibt hier einfach zu wenige Menschen, um den grandiosen Ansprüchen des titanischen Autofahrervereins mit den vier Buchstaben auch nur im entferntesten gerecht zu werden.
    Das ist die grausige Wahrheit über unser Schrumpf-Volk. Hier unten aber, in der Volksseele, greift so etwas wie klammheimliche Freude um sich. Letzte Woche, nur einen Tag, bevor die Süddeutsche Zeitung den ADAC-Skandal enthüllte, war nämlich eine andere Institution, die ihre Macht und Unfehlbarkeit allzu selbstherrlich auszustellen pflegte, ihrer Moralgloriole beraubt worden, und zwar die Stiftung Warentest. Sie hatte unrichtige Angaben über eine von ihr getestete Schokolade verbreitet. Nun wird man alle vom ADAC getesteten Autos mit anderen Augen sehen und Gelb wird nicht mehr die Farbe der Engel, sondern der Missgunst sein. So ist das eben, wenn Heiligenbilder kaputt gehen: Dann sind die Unmutsreaktionen der Öffentlichkeit ebenso übertrieben wie vorher das Erhabenheitsgetue der Betroffenen.