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Wahrsagekunst im Alten Orient
"Eine Ohrfeige für den modernen, aufgeklärten Menschen"

Im alten Orient wurde keine wichtige Entscheidung getroffen, ohne mittels Eingeweiden von Tieren in die Zukunft zu schauen. Diese Methode habe die Mesopotamier politisch, ökonomisch und militärisch höchst erfolgreich gemacht, sagte Altorientalist Stefan Maul im DLF. Die Wahrsagerei habe Entscheidungsträger zum Innehalten gezwungen.

    Mesopotamien: Blick auf die Treppenstufen der rekonstruierten Zikkurat von Ur im Irak
    Mesopotamien: Blick auf die Treppenstufen der rekonstruierten Zikkurat von Ur im Irak (imago / Leemage)
    Die Mesopotamier hätten unter anderem die Leber von Tieren begutachtet, um auf die Zukunft zu schließen. Jedem Lymphknoten, jeder Verdickung oder Färbung, jeder Besonderheit habe man eine Bedeutung zugewiesen, sagte Altorientalist Stefan Maul. Im Laufe der Geschichte seien die Alt-Babylonier dazu übergegangen, das Tieropfer mit einer Ja- oder Nein-Frage zu verbinden. Der Antwort sei aber nur eine begrenzte Gültigkeit gegeben worden, sodass man bei einer nicht zufriedenstellenden Deutung nach einigen Tagen erneut fragen konnte. Entscheidend war laut Stefan Maul aber, welche Frage wie und zu welchem Zeitpunkt gestellt wurde.
    Dadurch dass die Deutung auch mittels einer Formelsammlung erfolgt sei, wirke das System heutzutage überraschend modern und wissenschaftlich. Die Eingeweideschau beinhalte jedoch einen Zufallsfaktor, der die damaligen Entscheidungsträger auch mal ausgebremst habe. Sie seien zum Innehalten und erneuten Nachdenken gezwungen worden. Das Verfahren sei für die Mesopotamier daher politisch klug gewesen und habe zum Überleben ihrer Kultur beigetragen, weil es eine sehr weitreichende Macht beschnitten habe.
    Hinweis: Das Gespräch können Sie mindestens fünf Monate lang als Audio-on-demand abrufen.