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Wanjiku wa Ngugis "Die Scheinheiligen"
Eine Sprache, die kein Klischee auslässt

Von Ruth Jung | 29.01.2015
    Adoptionen und Leihmutterschaft sind zu einem florierenden Geschäft geworden. "Hauptabnehmer" sind die USA. Denn in den USA wie in Westeuropa herrscht "Mangel" an Kindern, die kontrolliert und transparent zur Adoption freigegeben werden. Viele Paare wollen daher ein Kind aus dem Ausland adoptieren. Und die moderne Reproduktionsmedizin macht es möglich, dass immer öfter die Dienste von bezahlten "Leihmüttern" in Anspruch genommen werden. Der Fall des behinderten Babys Gammy, das von den australischen "Bestelleltern" bei seiner thailändischen "Leihmutter" zurückgelassen wurde, wirft ein grelles Licht auf eine Problematik, die völlig neue ethische und rechtliche Fragen aufwirft. Zumal man davon ausgehen muss, dass die meisten Frauen in Entwicklungsländern, die ihren Uterus gegen Geld vermieten, dazu gezwungen werden.
    Profiteure sind meist findige Anwälte und dubiose Vermittlungsagenturen; sie nämlich streichen den Löwenanteil der "Gebühren" ein, die zukünftige "Wunscheltern" zu zahlen bereit sind. Angesichts der weltweit dominierenden neoliberalen Doktrin mit der totalen Ökonomisierung aller Lebensbereiche konnte es wohl nicht ausbleiben, dass auch die Gebärfähigkeit der Frau noch zur Ware gemacht werden würde. Zu einer Art Legehenne degradiert, soll sie gut situierten Paaren das gewünschte "Produkt" liefern. Dieses moralisch wie rechtlich hochbrisante Thema ist Gegenstand des Romans "Die Scheinheiligen" von Wanjiku wa Ngugi; es das literarische Debüt der in Finnland lebenden Kenianerin.
    Im Mittelpunkt steht Mugure Sivonen: Die Ich-Erzählerin ist wie die Autorin ebenfalls Kenianerin, hat in den USA studiert und in New York einen vermögenden Rechtsanwalt osteuropäischer Herkunft geheiratet. Die Ehe bleibt kinderlos, so beschließt das Paar, ein Kind zu adoptieren. Ein Kind, das ihrer beider Herkunft spiegeln soll:
    "Zack schlug als Herkunftsland Kenia vor, mein eigenes Geburtsland, was mich sehr rührte. Doch würden wir von dort ein Kind mit weißen und schwarzen Wurzeln bekommen? Wir wollten ein Baby, das unsere Identität widerspiegelte, und solange es diese Bedingung erfüllte, war uns egal, wo es herkam, ob aus Afrika oder Amerika."
    Mugure Sivonen ist nicht nur eine oberflächliche Mittelstandsgattin, sondern auch eine weltfremde Person - trotz ihrer Herkunft und Ausbildung. Und noch dazu dem Mann ergeben, dem sie ihren legalen Aufenthaltsstatus verdankt und der sie materiell bestens versorgt. Ihre beteuerte große Liebe zu diesem Mann nimmt man ihr nicht ab. Überhaupt bleiben die Figuren statisch; es gelingt der Autorin nicht, sie lebendig werden zu lassen und ihr Handeln nachvollziehbar zu machen. Man liest sich mühsam durch den ersten Teil des Romans, der in einem langatmigen Berichtstil verfasst ist und das in einer Sprache, die kein Klischee auslässt, wie etwa die Beschreibung der Ankunft des ersehnten Adoptivkindes mit der "sanft braunen" Hautfarbe:
    "Eines Abends (...) brachte eine Sozialarbeiterin einen entzückenden zwei Jahre alten Jungen in unser Haus. (...) Der Junge hatte große, runde Augen, hingebungsvolle Augen, und vom ersten Augenblick an liebte ich ihn. Seine braune Haut war eine ausgewogene Mischung aus Weiß und Schwarz. Seine Unterlagen sagten nur wenig über seine Herkunft aus. Die Eltern unbekannt, war er vor dem Eingang einer Kirche ausgesetzt worden(...)
    Dass die leibliche Mutter des Kindes keineswegs unbekannt ist, sondern als eine Art Gebärmaschine in sklavenähnlicher Abhängigkeit in Kenia lebt und Mugures engste Freunde und sogar der eigene Ehemann an diesem lukrativen Geschäft beteiligt sind, erfährt der Leser im zweiten Teil. Völlig unglaubwürdig ist nun aber, dass sich die zuvor als naiv beschriebene Mittelstandsgattin auf einmal in eine draufgängerische Privat-Detektivin verwandelt. Nachdem Mugure Ungereimtheiten in den Adoptionsunterlagen entdeckt hatte, deren Spuren nach Kenia führen, unternimmt sie kühne Recherchen. Der bis dahin zähe Roman entwickelt sich nun beschleunigt zum Action-Thriller. In Kenia, dem "Paradies der ewiggestrigen Kolonialisten", machen allzu viele dubiose Figuren ihr schmutziges Geschäft auf dem Rücken entrechteter Afrikaner. Von den Regierenden erwarten diese Menschen nichts mehr, eher vertrauen sie einer Priesterin aus dem Volk, die sich jedoch als die Drahtzieherin und das Werkzeug im Adoptions- und Leihmuttergeschäft herausstellt. Eine charismatische Person, die sich mit "Ihre Heiligkeit" ansprechen lässt. Diese Frau hat eine weitverzweigte Wohltätigkeitsorganisation gegründet, mit der sich das kriminelle Geschäft tarnen lässt. Geschickt nutzt sie die religiösen Gefühle der Menschen aus. Dabei spielen große Messen mit Elementen der anglikanischen und katholischen Kirche sowie naturreligiöse Rituale eine wichtige Rolle. Unbedarfte, in sozialer Not lebende junge Frauen werden von ihr dazu gebracht, sich in eine Klinik zu begeben, wo man ihnen ein "Angebot" macht. Dass in dieser Klinik geldgierige Ärzte und deren Hintermänner unmoralische Geschäfte betreiben und auch vor Organhandel nicht zurückschrecken, begreifen die jungen Frauen zu spät.
    Zu ihrem Glück schafft es Mugure Sivonen, diese Machenschaften aufzudecken. Im weiteren Verlauf kommt es zu wilden Verfolgungsjagden, Schießereien und brutalen Morden; ein Szenario wie aus einem James Bond-Film. Mugure Sivonen aber hat nicht nur ihre Wurzeln wiederentdeckt, sondern auch eine Mission gefunden: als Rächerin der ausgebeuteten kenianischen Frau. Die nämlich ist (noch) zu ungebildet und gottergeben, um ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Ein fragwürdiges Bild, klischeehaft und überkonstruiert gezeichnet.
    Der Münchner A1 Verlag bemüht sich dankenswerterweise um die Vermittlung afrikanischer Themen und Literatur, doch leider stellen sich bei der Lektüre dieses Buches die angekündigten "profunden Einsichten in kulturelle, ethnische und politische Zusammenhänge" nicht ein.
    Wanjiku wa Ngugi: Die Scheinheiligen. aus dem Englischen von Wanda Jakob; A1 Verlag München, August 2014; ca. 272 Seiten zum Preis von 19,80 Euro.