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Wehrpflicht in Georgien
Kirche statt Kalaschnikow

Bei der letzten Präsidentschaftswahl in Georgien war ihr Kandidat chancenlos, trotzdem macht die Partei "Girchi" von sich reden. "Girchi" heißt auf Deutsch "Tannenzapfen". Mit ihrer Aktionen gegen die umstrittene Wehrpflicht hat die Partei einen Nerv getroffen.

Von Christoph Kersting | 18.12.2018
    Zurab Japaridze, Kandidat der Oppositionspartei Girchi, vor den Präsidentschaftswahlen in Georgien im am 27. Oktober 2018
    Girchi-Parteichef Zurab Japaridze und seine Mitstreiter fordern die Abschaffung des Wehrdienstes. (dpa/Sputnik/Alexander Imedashvily)
    Bei "Girchi" ist alles etwas anders: Die Partei ist jung, erst 2015 gegründet, sie bezeichnet sich selbt als Facebook-Partei, weil sie ihre Unterstützer vor allem über soziale Netzwerke findet, und auch die Parteizentrale in einer düsteren Seitenstraße im Norden von Tiflis wirkt eher wie eine quirlige Wohngemeinschaft. An diesem Abend steht noch einmal die Analyse der Präsidentschaftswahlen Ende Oktober auf dem Programm.
    Girchi hat mit ihrem Kandidaten, dem Parlamentsabgeordneten Zurab Japaridze, bescheidene zwei Prozent der Stimmen geholt. Und dennoch sind Japaridze und seine Partei bekannt wie ein bunter Hund in Georgien, weil sie sie sich immer wieder öffentlichkeitswirksam für liberale Themen stark machen. Eines der Girchi-Steckenpferde: die einjährige Wehrpflicht für Männer zwischen 18 und 27 Jahren. Parteichef Japaridze bezeichnet sie als "moderne Form von Sklaverei":
    "Sklaverei, weil der Staat junge Menschen zwingt Dinge zu tun, die sie nicht tun wollen. Wir sind dagegen, weil wir finden, dass es unmoralisch ist, Menschen zu so einem Dienst zu zwingen."
    Rekruten werden nicht ausgebildet
    Unmoralisch auch, weil die jungen Rekruten in einer Vielzahl von Fällen überhaupt keine militärische Ausbildung erhalten, stattdessen sofort als Arbeitskräfte oder Wachleute abkommandiert werden. Davon kann zum Beispiel Herman Sabo ein Lied singen. Der 26-Jährige sitzt neben Zurab Japaridze auf einer vergilbten Couch in der Parteizentrale, er ist einer der Mitgründer von Girchi:
    "Ich habe den Wehrdienst abgeleistet, und ich habe in dieser Zeit ganze 19 Kugeln abgefeuert. Offiziell bin ich aber ein ausgebildeter Soldat, und wenn etwas passiert, werde ich eingezogen und muss an die Front. Das kann doch nicht sein! Statt einer militärischen Ausbildung hat man mich als Wachmann auf einen Gefängnisturm geschickt. Davor haben sie uns zehn Tage lang gezeigt, wie man in Reih und Glied marschiert. Das war alles."
    Neue Kirche mit 12.000 Priestern
    Im Parlament sei man mit dem Thema nicht durchgedrungen, erzählt Parteichef Japaridze, und habe dann einen anderen Weg beschritten:
    "Es ist gesetzlich so, dass man als Priester befreit ist vom Wehrdienst. Also haben wir eine eigene Kirche gegründet mit eigenen Priestern. Wir haben das dann mit einem jungen Mann durchgespielt: Der ist zur Musterungsbehörde mit den notwendigen Unterlagen, die ihn als Priester ausweisen. Und es hat geklappt, er musste den Dienst tatsächlich nicht machen. Wir haben das dann öffentlich gemacht: Leute, wir haben hier eine neue Kirche, und wenn Du nicht zur Armee willst, komm zu uns, und wir helfen Dir."
    Anderthalb Jahre ist das nun her, und inzwischen hat die "Georgisch-Christlich-Evangelisch-Protestantische Kirche Biblische Freiheit" 12.000 Mitglieder, die allesamt Priester sind. Herman Sabo hat es auf der kirchlichen Karriereleiter sogar noch weiter nach oben geschafft - er hatte zwar seinen Militärdienst schon hinter sich, ist der neuen Kirche aber aus Prinzip beigetreten:
    "Ich bin 'Bischof von Ungarn und Ozora', das ist mein offizieller Titel. Ungarn, weil ich dort familiäre Wurzeln habe, und Ozora, das ist ein großes Musikfestival am Balaton."
    Das Ganze klingt skurril und wirkt wie ein guter PR-Gag, der die Partei in die Schlagzeilen bringen soll. Doch Zurab Japaridze und seinen Mitstreitern ist die Sache ernst: Sie fordern die Abschaffung des Wehrdienstes, um der Ausbeutung junger Rekruten ein Ende zu setzen. Außerdem sei doch erwiesen, sagt Parteichef Japaridze, dass eine Berufsarmee viel kostengünstiger und effektiver sei - ein gutes Argument in einem Land, das noch 2008 einen Krieg mit Russland um die abtrünnige Provinz Süd-Ossetien geführt hat.