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Weihnachten im Asyl
Flüchtlinge in der italienischen Provinz

Eine Aufenthaltserlaubnis von der italienischen Regierung: Das wäre wohl das schönste Weihnachtsgeschenk für die dreißig muslimischen Flüchtlinge aus Pakistan, Nigeria und Mali, die seit September in einem Dorf in Mittelitalien untergebracht sind. Ganz oben auf den Wunschlisten steht auch ein Ende ihrer Isolierung und menschliche Nähe.

Von Karl Hoffmann | 24.12.2014
    Ein illegaler Flüchtling zeigt am Bahnhof in der italienischen Grenzstadt Ventimiglia seine befristete Aufenthaltserlaubnis.
    Die Flüchtlinge im italienischen Magliano wünschen sich zu Weihnachten eine Aufenthaltserlaubnis. (picture alliance / dpa)
    Don Sandro bereitet seine Predigt für die Mitternachtsmesse vor. Nicht alle Gemeindemitglieder werden mit seinen Worten einverstanden sein. Nicht das Christuskind will er in den Mittelpunkt stellen, sondern 30 muslimische Flüchtlinge aus Pakistan, Nigeria und Mali. Er ahnt bereits, wie die Gläubigen reagieren werden:
    "Wenn ich während meiner Predigt auf das Thema komme und mir die Gesichter der Leute anschaue und wie sie miteinander tuscheln, dann weiß ich genau, dass sie es überhaupt nicht mögen, wenn ich von den Immigranten spreche."
    Panettone für die Flüchtlinge
    Seit alle offiziellen Aufnahmelager voll sind, werden neu ankommende Bootsflüchtlinge auf die italienischen Provinzen verteilt. Don Sandro ist Priester in einem Dorf in der Region Marken in Mittelitalien. In dem weit abgelegenen, inzwischen praktisch unbewohnten Ortsteil Magliano hat man im September Hals über Kopf dreißig Männer zwischen 20 und 55 Jahren einquartiert. Um seinen Panettone, den typischen Weihnachtskuchen, bei den Flüchtlingen abzuliefern, fährt Don Sandro ein ganzes Stück mit dem Auto.
    Großes Hallo, als der Priester mit den Süßigkeiten auftaucht. Auch Signora Elena kommt dreimal in der Woche mit dem Auto in die Einöde. Sie bringt den Flüchtlingen Italienisch bei. Elena macht das gerne, obwohl sie dafür nicht bezahlt wird und auch noch die Benzinkosten übernimmt.
    "Eine einmalige Erfahrung, ich lerne jeden Tag etwas hinzu über das Leben der Anderen. Dadurch verändert sich die eigene Wahrnehmung. Außerdem sind diese Männer ausgesprochen respektvoll. Nie hat es zwischen uns Ärger gegeben."
    Nadeem Ahmed, 45-jähriger Flüchtling aus Pakistan, gibt das Lob zurück, aber es bleibe ein Problem:
    Abgeschiedenheit statt Integration
    "Sie ist eine sehr gute Lehrerin, aber nach den ersten ein, zwei Monaten Unterricht müssten wir nun endlich unter die Leute gehen, um richtig sprechen zu lernen."
    Das Problem ist, dass sie hier so isoliert sind, sagt Elena.
    "Ja, dabei sind wir doch so motiviert."
    Auch Achterchan kommt aus Pakistan, und er pflichtet Nadeem bei.
    "Zu Fuß ist es elend weit bis zur nächsten Hauptverkehrsstraße, wo der Bus fährt. Wir bekommen zwei Tickets pro Woche, da können wir wenigsten ab und zu in die Städte Fano oder Pesaro fahren."
    Italienisch lernen und sich langsam integrieren, das wären die Grundmauern einer sinnvollen Flüchtlingspolitik. Doch in Magliano ist das praktisch unmöglich. In der Abgeschiedenheit leiden die Flüchtlinge außerdem unter den Schreckensnachrichten aus ihrer Heimat, manche werden krank. Nadeem kann seit dem fürchterlichen Bombenattentat vor einer Woche auf eine Schule in Pakistan nicht mehr schlafen.
    Wunsch nach menschlicher Nähe
    "Vor zwei Tagen habe ich endlich mit meiner Frau telefonieren können. Sie hat nur geheult. In Pakistan sind die Menschen zutiefst schockiert. Die Frauen gehen nicht mehr aus dem Haus, die Kinder nicht mehr in die Schule. Meine Tochter hat mir gesagt, Vater ich gehe da nicht mehr hin."
    Die Flüchtlinge brauchen menschliche Nähe. Eindringlich laden sie Don Sandro zum Weihnachtsessen ein. Am 25. Dezember feierten alle Pakistaner, Christen wie Muslime gemeinsam, denn es sei auch ihr Nationalfeiertag.
    "Sie müssen kommen und alle unsere pakistanischen Spezialitäten probieren. Wir haben hier ein paar sehr gute Köche. Wir kochen für Sie und alle ihre Freunde."
    Ein katholischer Priester, der von muslimischen Flüchtlingen zum Weihnachtsmahl eingeladen wird – Don Sandro gefällt das und er sagt zu. Haben die Flüchtlinge in Magliano noch einen Weihnachtswunsch?
    Am 25.12. feiern Christen und Muslime gemeinsam
    "An diesem Weihnachtstag wären wir alle hier sehr glücklich, wenn uns die italienische Regierung die Aufenthaltserlaubnis erteilt."
    Abseits der voll Vorfreude strahlenden Pakistaner sitzt ein junger Mann aus Nigeria, der nach seiner gefährlichen Flucht erst kürzlich hier angekommen ist. Warum er traurig sei? Brüsk antwortet der 20-Jährige:
    "Auf der Flucht durch Libyen haben sie meinen Bruder erschossen. Ich ließ ihn liegen und rannte um meine Leben."
    Sie haben deinen Bruder ermordet?
    "Ja, sie haben ihn ermordet."
    Das sei am 1. Advent gewesen. In Magliano herrscht betretenes Schweigen.