Dienstag, 14. Mai 2024

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Weitsichtig durch die Lüfte

Zurzeit dürfen Piloten ihre Flugzeuge ausschließlich im sogenannten Sichtflug navigieren. Was genau das bedeutet und welche Schwierigkeiten damit verbunden sind, erklärt Bernd Bockstahler von der Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF).

Bernd Bockstahler im Gespräch mit Friedbert Meurer | 20.04.2010
    Friedbert Meurer: Tagelang haben sich am Himmel über Deutschland keine Kondensstreifen gebildet. Strahlend blauer Himmel über Deutschland, das haben viele genossen, und auch die Ruhe in den Gebieten, die unter Fluglärm leiden, wenn sie denn nicht fliegen mussten. Lufthansa und Air Berlin hatten erheblichen Druck auf Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer ausgeübt. Er lege auf unzureichender Datenbasis die gesamte deutsche Flugflotte tagelang lahm und denke nicht an die wirtschaftlichen Folgen. Jetzt darf zumindest teilweise wieder geflogen werden. Langsam entspannt sich die Lage. Der Luftraum ist zwar grundsätzlich noch gesperrt, bis heute Abend 20 Uhr, aber es wird eben teilweise doch wieder geflogen. Eine etwas komplizierte Situation. Bernd Bockstahler vertritt die Gewerkschaft der Flugsicherung, also die Interessenvereinigung der Fluglotsen. Guten Tag, Herr Bockstahler.

    Bernd Bockstahler: Ich grüße Sie, Herr Meurer.

    Meurer: Wie sehr ist es zu verantworten, dass ab heute wieder geflogen werden darf?

    Bockstahler: Es ist zu verantworten, dass wieder geflogen werden darf, wenngleich man zur Kenntnis nehmen muss, dass unter ganz besonderen Bedingungen geflogen wird. Bei allem Respekt für Herrn Handwerg, den ich sehr schätze aufgrund seiner Auskünfte ...

    Meurer: Der Vertreter von Cockpit!

    Bockstahler: Genau, richtig, Vereinigung Cockpit, möchte ich noch anfügen, dass letztlich der Pilot immer in der Verantwortung ist für die Sicherheit seines Fluges, verstehe aber vollkommen die Situation, die er erläutert hat.

    Meurer: Wieso sagt er das dann?

    Bockstahler: Es ist schwierig zu sagen, was man eigentlich tun müsste, tun sollte und was man tun darf, oder welchem Druck man ausgesetzt wird, wenn man sich nicht daran hält. Aber im Luftrecht ist ganz eindeutig gesagt: der Pilot trägt letztlich die Verantwortung für seinen Flug, für die Passagiere, und dabei bleibt es. Aber wie gesagt, ich respektiere auch das, was er gesagt hat, denkt an den Druck für den Arbeitsplatz und so weiter.

    Meurer: Der Punkt scheint ja wohl der zu sein, dass die Piloten nur auf Sicht fliegen dürfen. Was heißt das?

    Bockstahler: Generell zur Unterscheidung – ich versuche es so kurz wie möglich zu machen – gibt es zwei Arten von Flügen, und das ist unabhängig davon, ob so wunderbares Wetter, abgesehen von der berühmten Wolke, herrscht wie jetzt. Es gibt Flüge nach Instrumentenflugregeln; das heißt, der Flug wird unter bestimmten Konditionen gemacht und wird von der Flugsicherung immer, zu jedem Zeitpunkt kontrolliert, vom Abheben bis zum Aufsetzen. Es gibt die anderen Flüge nach sogenannten Sichtflugregeln. Berühmtestes oder bekanntestes Beispiel dürfte den Hörern sein eine kleine, einmotorige Maschine des Geschäftsreiseverkehrs, die mehr oder minder mit brummendem Motor durch die Gegend fliegt.

    Meurer: Und aus welchem Grund ist die zweite Variante im Moment offenbar die sichere, nach Sichtflug zu fliegen?

    Bockstahler: Das ist eine Frage, die ich ehrlichen Herzens nicht so genau beantworten kann. Es bedurfte etlicher Ausnahmegenehmigungen, die in der entsprechenden Verantwortung letztlich vom Bundesverkehrsminister getroffen worden sind, wonach Flugzeuge, große Jets, die Passagiere befördern, zwischen was weiß ich, 80 und 450 Leuten, nach diesen Sichtflugregeln fliegen dürfen, obwohl es generelle Vorschriften gibt, nach denen das eigentlich insgesamt nicht möglich ist. Es gibt zum Beispiel eine Vorschrift, die ist uralt, dass ein Flugzeug, das mehr als 14 Tonnen wiegt und Passagiere an Bord hat, eigentlich nicht nach Sichtflugregeln fliegen darf.

    Meurer: Da fragt man sich, warum hat das Bundesverkehrsministerium hier den Fluggesellschaften nachgegeben.

    Bockstahler: Ich bin hier nicht so ganz zuständig für die politischen Einschätzungen, aber ich denke, dass es da schon im Hintergrund etliche druckvolle Gespräche gegeben hat. Aber wie gesagt, das ist kein Vorwurf gegen Herrn Minister Ramsauer.

    Meurer: Er würde das aber bestreiten?

    Bockstahler: Das mag durchaus sein. Entschuldigung, wenn ich lache, aber das mag durchaus sein. Ich kann mir vorstellen, dass es so gewesen ist. Auf jeden Fall ist das Endresultat, dass diese Flüge, die jetzt in Deutschland durchgeführt werden, sei es von Air Berlin oder sei es von Lufthansa, wie auch immer, hier eigentlich und ständig nach Sichtflugregeln fliegen, bis sie an der Obergrenze des sogenannten Luftraums Charlie, Luftraums C angekommen sind, und der ist in 6000 Fuß. Darüber gibt es keine Möglichkeit mehr, dann gibt es einen sogenannten ISR Pickup. Der Pilot, der mit der Flugsicherung in Kontakt ist, sagt, nehmt mich bitte jetzt, wenn ich in diesen Luftraum einfliegen will, unter die Regeln des Instrumentenflugverkehrs.

    Meurer: Um es mal ganz salopp zu sagen: diese ganze Sache mit dem Sichtflug spielt eigentlich keine nennenswerte Rolle für die Flugsicherheit?

    Bockstahler: Im Moment ... es ist natürlich so: Man fliegt einfacher nach Instrumentenflugregeln unter ständigem Kontakt mit der Flugsicherung, die für die sogenannte sehr, sehr wichtige Staffelung zu sorgen hat. Das ist ja genau vorgeschrieben, mit welchem Abstand müssen Flugzeuge untereinander, übereinander fliegen, mit welchem Abstand darf ein Flugzeug hinter einem anderen herfliegen. Da will ich nicht ins Detail gehen, weil das dann wieder zu spezifisch wird.

    Meurer: Aber vielleicht doch die Nachfrage. In den unteren Flugzonen, wenn der Kapitän sozusagen abhebt, am Anfang auf Sichtflug und wenn er eine bestimmte Höhe erreicht hat, dann auf Instrumentenflug? Das ist sozusagen der Stand?

    Bockstahler: Das ist momentan so. Im Normalfall ist es einfach so, dass diese Flugzeuge von Anfang an, vom Start bis zur Landung, unter Aufsicht der Fluglotsen stehen.

    Meurer: Mich wundert noch eine zweite Sache, Herr Bockstahler, nämlich dass es zum Beispiel heißt, die Lufthansa bekommt 50 Flüge genehmigt. Wie kommt man denn auf diese Zahl 50?

    Bockstahler: Das kann ich Ihnen leider auch nicht erklären. Hier arbeiten verschiedene Behörden, Institutionen zusammen. Das ist natürlich einmal das Luftfahrtbundesamt, das ist das Bundesverkehrsministerium, das ist vor allem auch die Flugsicherung, das ist der Deutsche Wetterdienst. Da wird irgendetwas gerechnet, was sich – ich sage das ganz offen – meiner Kenntnis entzieht, und dann wird eben gesagt, unter diesen obwaltenden Umständen dürfen insgesamt 50 Flugzeuge starten und landen. Der eine fliegt nach Nordamerika, der andere fliegt nach Südostasien, das sind natürlich generell völlig unterschiedliche Richtungen, ist ja ganz klar. Vielleicht hat es damit zu tun, und ich bin relativ sicher, dass es damit zu tun hat.

    Meurer: Bei dieser Sache mit dem Sichtflug, noch mal kurz dazu. Das darf man sich nicht so vorstellen, dass der Pilot auf Sicht eine Aschewolke sieht und dann rechts, links daran vorbei oder darüber fliegt?

    Bockstahler: Wenn Sie das Wort Aschewolke durch einen kräftigen Kumulus ersetzen, dann muss er tatsächlich, wenn er unter diesen Sichtflugbedingungen fliegt, um diese Wolke herumsteuern. Er darf unter Sichtflugregeln nicht in eine Wolke einfliegen. Die Aschewolke, so habe ich aus Gesprächen mit etlichen befreundeten Piloten erfahren, ist nicht zu sehen, die sieht man nicht.

    Meurer: Sie sind, glaube ich, selber auch Pilot. Würden Sie im Moment fliegen?

    Bockstahler: Ehrlich gesagt, ich würde fliegen. Ja, das muss ich sagen. Allerdings habe ich nicht große Verkehrsmaschinen geflogen, sondern im sogenannten Exekutivverkehr etwas kleinere Jets und so weiter und so weiter. Aber ich würde fliegen.

    Meurer: Aber gezögert haben Sie schon?

    Bockstahler: Ich habe ein bisschen gezögert, weil ich persönlich die Gefahr im Moment nicht so hoch einschätze mit dieser Wolke hier, sondern diese Flugregeln, die wir versucht haben, zu klären – das ist ein bisschen kompliziert -, nicht besonders lieben würde.

    Meurer: Wieso nicht?

    Bockstahler: Weil mir das einfach nicht auf Anhieb gefällt, diese ganze Geschichte. Ich fliege da mit einem kleinen Flugzeug oder mit einem großen durch die Gegend, habe eine Geschwindigkeit drauf in dem Luftraum zwischen Flugfläche 100 und 200, die was weiß ich, 800 Kilometer beträgt, und ich muss eigentlich dafür sorgen, dass ich kein anderes Flugzeug irgendwie zu nahe kommen lasse und dem ausweiche. Mit 800 Kilometern ist das kommende Flugzeug, das vielleicht entgegenkommt, so groß wie – verzeihen Sie den Ausdruck – Mückenschiss, aber im nächsten Moment ist es ein riesiges Ding, und da müssen wir aneinander vorbei. Gott sei Dank gibt es noch ein paar technische Instrumente, die das erleichtern heutzutage.

    Meurer: Jetzt ist es zufälligerweise so, Herr Bockstahler: Heute wollten sie eigentlich anfangen zu streiken. Werden sie streiken, sobald die Sache gelaufen ist?

    Bockstahler: Nein. Da kann ich jetzt eine eindeutige Auskunft geben. Vorbehaltlich der Zustimmung der jeweiligen Gremien auf der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite ist der Streit um den Belastungsausgleich beigelegt.

    Meurer: Bernd Bockstahler von der Gewerkschaft der Flugsicherung bei uns im Deutschlandfunk. Danke und auf Wiederhören!

    Bockstahler: Danke schön! Auf Wiederhören.