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Weltkongress Unfallchirurgie
Schwerverletzte besser versorgen

1,3 Millionen Menschen werden jährlich weltweit im Straßenverkehr getötet, das sind 3.000 Verkehrstote am Tag. Besonders in Entwicklungsländern steigt die Zahl stetig. Auf dem Weltkongress für Unfallchirurgie in Frankfurt am Main steht die verbesserte Versorgung von Unfallopfern an erster Stelle.

Von Mirko Smiljanic |
    Rettungskräfte an einer Unfallstelle im polnischen Kamien Pomorski: Ein vermutlich betrunkener Autofahrer war dort in der Silvesternacht in eine Gruppe Fußgänger gerast.
    In Deutschland sterben nur 6 Prozent der Verkehrsunfallopfer - in Entwicklungsländern bis zu sechsmal so viel. (picture alliance / dpa / Marcin Bielecki)
    Die Unfallzahlen in Deutschland erreichten 2013 einen historischen Tiefstand. Verglichen mit 2012 sank die Zahl tödlich Verletzter um sieben Prozent auf 3.338, die Zahl der Schwerverletzten ging um etwas mehr als drei Prozent zurück, die der Leichtverletzten um etwas weniger als drei Prozent.
    Gründe für diese weltweit einmalige Entwicklung sind präventive Maßnahmen wie die Gurtpflicht, Airbags, die regelmäßige technische Überprüfung der Autos, das hohe Sicherheitsniveau der Straßen sowie eine flächendeckende Versorgung von Unfallopfern. In Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen – Indien etwa aber auch China – sieht die Situation ganz anders aus:
    "Dort haben wir Zustände wie bei uns vor 20, 30 Jahren. Den Unterschied kann man in Zahlen sehen, bei uns sterben etwa sechs Prozent von Schwerunfallverletzten, in diesen Ländern bis zu 36 Prozent."
    Professor Ingo Marzi, Direktor der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und Präsident des Weltkongresses für Unfallchirurgie:
    Das hat sicher damit zu tun, dass der Absatz von Autos in diesen Ländern enorm ansteigt, aber die Infrastruktur eben nicht, sodass wir hier Unfälle haben, die wir hier praktisch nicht mehr sehen, dass eben Fußgänger und Autofahrer schwerste Verletzungen gegeneinander verursachen."
    Was sich auch in den Verletzungsmustern widerspiegelt:
    Schlechte Versorgung von Unfallopfern in Entwicklungsländern
    "Bei uns hat man aufgrund der Sicherheitstechnik wenn dann Verletzungen vom Kopf oder vom Abdomen, vom Brustkorb, aber weniger von den Extremitäten, in diesen Ländern sind einfach alle Arme und Beine gebrochen, die Menschen sind schwerstverletzt, sodass wir hier ganz andere Verhältnisse haben."
    Diese "anderen Verhältnisse" beziehen sich nicht nur auf Straßen und Autos, dramatisch schlecht ist auch die Versorgung der Unfallopfer. Untersuchungen zeigen, dass in Entwicklungsländern ein funktionierendes unfallchirurgisches Kliniksystem die Zahl getöteter Autofahrer um die Hälfte senkt – unabhängig vom Zustand der Autos und Straßen.
    Bei den Kliniken, sagt Professor Berti Bouillon, Unfallchirurg am Klinikum Köln-Merheim und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie, muss noch nicht einmal Hightech im Vordergrund stehen. Das Arbeiten "hands on", also mit ganz klassischer Fingerfertigkeit, sei mindestens so wichtig:
    "Wir haben alle erlebt, dass Hightech in den letzten zehn Jahren immer mehr Einzug erhalten hat in die Medizin, das ist hilfreich, aber Hightech ohne 'hands on' ist gefährlich, und wir können das auch anhand guter Daten aus dem Traumaregister belegen, eine ideale Kombination ist, Sie sind ein guter Arzt und haben die Techniken gelernt und können dann nach 'hands on' zusätzlich Hightech nutzen, dann funktioniert es sehr gut."
    Die Computertomografie sei ausgesprochen hilfreich, ersetze aber nicht die Erfahrung des versierten Unfallchirurgen. Und der wird auch in Deutschland immer wieder gebraucht. Ein genauer Blick auf die Statistik zeigt, dass zwar immer weniger Autofahrer und Fußgänger sterben, dafür aber immer mehr Fahrradfahrer, meint Professor Ingo Marzi von der Uniklinik Frankfurt am Main:
    "Was man sieht, sind schon Fahrradunfälle, die eher zunehmen und die eher das alte Verletzungsmuster haben, also ohne Schutz, und man kann nur sagen, man muss die präventiven Maßnahmen nutzen, man muss einen Helm aufsetzen und auf die Straßenbahnschienen aufpassen, Fahrradfahrer sind schon gefährdet, sodass man verkehrstechnisch hier vorbeugen kann und muss in Zukunft."