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Sterbehilfe
Gröhe (CDU): "Nicht an ein Versorgungsangebot gewöhnen"

2015 wurde die geschäftsmäßige Sterbehilfe per Gesetz verboten. Nun verhandelt das Bundesverfassungsgericht darüber. Ärzte und Ethiker bemängeln, das Gesetz treffe möglicherweise die Falschen. Der damalige Gesundheitsminister Hermann Gröhe verteidigte sein Gesetz im Dlf. Die Palliativmedizin sei von dem Gesetz nicht betroffen.

Hermann Gröhe im Gespräch mit Silvia Engels |
Hermann Gröhe
Hermann Gröhe, von 2013 bis 2018 Bundesgesundheitsminister, heute stellvertretender Unions-Fraktionsvorsitzender (dpa / Kay Nietfeld)
Silvia Engels: Im Jahr 2015 beschloss der Bundestag ein Gesetz, mit dem geschäftsmäßige Sterbehilfe untersagt wurde. Dadurch wurde nicht nur verboten, Profit mit Sterbehilfe zu machen; die Regelung ging weiter. Schon eine auf Wiederholung angelegte Suizid-Assistenz ist seitdem verboten. Den Parlamentariern ging es damals darum, einigen, damals sehr offensiv auftretenden Sterbehilfen-Vereinen Grenzen aufzuerlegen, wie beispielsweise dem des früheren Hamburger Justizsenators Kusch. Es sollte nicht dazu kommen, dass Vereine Druck auf alte oder schwerkranke Menschen aufbauen, vorzeitig aus dem Leben zu scheiden. So lautete damals ein vielgehörtes Argument. Doch nun beklagen Ärzte und Ethiker, dass das jetzige Gesetz die Rechtslage nicht ausreichend kläre, oder auch den Falschen treffen würde. Deshalb verhandelt das Bundesverfassungsgericht ab heute über Klagen dagegen. Am Telefon ist der frühere Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe von der CDU. Heute ist er stellvertretender Vorsitzender seiner Fraktion. Er hat die geltende Regelung damals mit eingebracht. Sind Sie von diesem Gesetz bis heute überzeugt?
Hermann Gröhe: Ich bin davon überzeugt und natürlich ist es das gute Recht, eine Überprüfung vor dem Verfassungsgericht anzustreben. Aber gerade die von einzelnen Palliativmedizinern geäußerten Befürchtungen, dem ist damals schon widersprochen worden von den Fachgesellschaften der Palliativmedizin, von den Ärztekammern, und die Entwicklung seitdem hat ja auch gezeigt, dass es sogar mehr Rechtssicherheit gibt, weil in unserem Gesetzbeschluss ausdrücklich drinsteht, dass Maßnahmen der Palliativmedizin gerade nicht Gegenstand der Strafandrohung dieses Gesetzes sind. Insofern sind damals geäußerte Befürchtungen inzwischen auch ein gutes Stück durch die Ärztepraxis und Erfahrungen mit der Geltung des Gesetzes widerlegt.
"Noch Wissenslücken zu schließen"
Engels: Sortieren wir es ein wenig. Palliativärzte – in der Tat: Das ist eine Gruppe derjenigen, die heute Klagen vortragen. Da gibt es aber bis heute einige, die sagen, wir können unseren Patienten nicht mehr schmerzlindernde Medikamente für mehrere Tage verschreiben, weil wir dann eine Anklage wegen geschäftsmäßiger Suizidhilfe fürchten. Denn auf einmal genommen könnten diese Medikamente tödlich wirken. Ist das Gesetz hier zu hart?
Gröhe: Nein, und es gibt hier auch die entsprechende Beratung durch die Fachgesellschaften. Natürlich muss bei hochdosierten Medikamenten verhindert werden, dass sie in falsche Hände kommen, dass sie unabsichtlich etwa zu etwas führen, was nicht gewünscht ist. Aber die Gesetzesbegründung hat seinerzeit ausdrücklich dargelegt, dass nach der ärztlichen Kunst und Lehre verabreichte Medikation der Palliativmedizin gerade eben nicht, weil sie ja nicht auf die Herbeiführung des Todes ausgerichtet ist, unter dieses Gesetz fällt, sondern es geht eindeutig darum, wenn mit dem Ziel, eine Selbsttötungshandlung zu befördern, etwas gehandelt wird, dann wollen wir dies, wo es organisiert geschieht, in der Tat verbieten, haben es deswegen mit Mehrheit so im Deutschen Bundestag beschlossen.
Engels: Ärzte berichten aber auch, viele Kollegen würden sich aus Angst vor Strafverfolgung ganz aus der Betreuung und Begleitung sterbender Patienten zurückziehen.
Gröhe: Die Erfahrung mache ich überhaupt nicht.
Engels: Aber fehlt es vielleicht an Aufklärung?
Gröhe: Ich gebe immer zu, dass es offenkundig notwendig ist, noch Wissenslücken zu schließen. Wissen Sie, Palliativmedizin ist ein Pflichtprüfungsfach in der Medizin seit 2012. Das heißt, für ganz viele ist es Gegenstand der Weiterbildung. Aber die von Ihnen geäußerte Befürchtung von einzelnen Ärzten, der wird von der zuständigen Fachgesellschaft und der Bundesärztekammer entschieden entgegengetreten. Es gibt Leitlinien für Sterbebegleitung durch entsprechende ärztliche Organisationen, die selbstverständlich auch eine Hilfe sind für Medizinerinnen und Mediziner. Wir haben in vielfältiger Form die Anwendung, den Ausbau von Palliativstationen, eine angemessene Vergütung, all dies verbessert. Ja, es gibt noch weiße Flecken. Ja, es gibt noch Wissenslücken. Deswegen wollen wir die Palliativmedizin in diesem Land vorantreiben. Aber die Fachgesellschaft der Palliativmediziner sagt, ihr gebt uns mehr Rechtssicherheit, wenn ihr deutlich macht, wir leisten Hilfe beim Sterben, aber nicht zum Sterben.
Flächendeckende Palliativmedizin
Engels: Das heißt, Sie sind durchaus auch noch bereit dazu, dass dieser Gesetzestext noch etwas präziser gemacht wird, dass er überarbeitet wird?
Gröhe: Entschuldigung! Darum geht es gerade nicht! Es geht darum, Palliativmedizin auszubauen, indem wir etwa in Regionen, in denen wir noch keine entsprechenden Angebote machen, in Krankenhäusern Palliativstationen schaffen und anderes mehr. Das ist eine Frage des Vollzugs eines anderen Gesetzes, nämlich des vom Bundestag einstimmig beschlossenen Gesetzes zum Ausbau der hospizlichen palliativen Versorgung. Das ist etwas ganz anderes als die Strafbarkeit einer, auf Selbsttötungsunterstützung zielenden Behandlung. Die Ängste, die hier von einzelnen Ärzten erklärt werden, bestehen zu Unrecht und es ist Aufgabe (und das tut sie auch) der Ärztekammer, darüber aufzuklären, dass kein Palliativmediziner in Deutschland, der eben nicht - etwas anderes ist, wenn Mediziner sagen, wir wollen Selbsttötungshilfe als Behandlungsoption - dem wollten wir einen Riegel vorschieben. Das haben wir getan, weil auch nach Selbstverständnis der Ärzteschaft in Deutschland Selbsttötungshilfe, das Ziel der Herbeiführung des Todes nicht zum ärztlichen Tun gehört.
Engels: Verstanden. Sie wollen da mehr Aufklärung und auch noch mehr Mittel, um Palliativmedizin in der breiten Fläche zu ermöglichen. Es gibt allerdings auch einige Hausärzte, die ja auch oft mit dem Sterben direkt zu tun haben, die unter diesen Klägern vor dem Bundesverfassungsgericht sind. Gibt Ihnen das nicht zu denken, dass es offenbar vielleicht nicht nur einzelne Ärzte sind?
Gröhe: Na ja. Wir verhandeln und wir nehmen die Argumente anderer Positionen natürlich ernst. Aber die deutsche Ärzteschaft ist demokratisch verfasst und es existiert in allen Landesärztekammern eine klare Ansage, dass Selbsttötung zu befördern nicht ärztliche Aufgabe ist. Die Fachgesellschaften, diejenigen, die ganz nahe an der herausforderungsvollen Arbeit sind, Menschen am Lebensende zu begleiten, sind in ihrer Position klar und eindeutig. Sie haben vielfach nach entsprechenden Klarstellungen geradezu gerufen und deswegen muss schon zur Kenntnis genommen werden, dass es einzelne, von mir ernst genommene andere Positionen gibt. Darüber wird Karlsruhe zu entscheiden haben. Aber dass die Ärzteschaft sich in ihrem Tun verunsichert fühlt, davon kann ausweislich der entsprechenden Fachgesellschaften nun wirklich nicht die Rede sein.
"Die individuelle Selbsttötungshilfe bleibt straffrei"
Engels: Kritiker bemängeln ja vor allen Dingen, dass das Gesetz alle geschäftsmäßigen Sterbehilfe-Ansätze untersagt. Dieser Begriff meint hier juristisch eine mehrfache, auf Wiederholung angelegte Sterbehilfe, auch wenn überhaupt gar kein Geld fließt. Könnte man da nicht den Kritikern entgegenkommen, indem man eindeutiger dieses Gesetz auf kommerziell arbeitende, professionelle Sterbehilfe-Organisationen zuspitzt?
Gröhe: Wir haben ja in der vorletzten Legislaturperiode genau darüber geredet und dann 2012 nach einer Anhörung geradezu festgestellt, dass das nicht ausreicht, weil die genannten Vereine ja umgehend, als eine Geldleistung für Selbsttötungshilfe Vereinsgegenstand war, sie Angst vor Strafverfolgung hatten, sie es dann über Mitgliedsbeiträge und in anderer Weise kaschiert haben, dass es natürlich auch institutionelle Interessen gibt. Im Übrigen schreiben diese Vereine selbst in ihrer Satzung, dass es eine gesellschaftspolitische Zielsetzung sogar als erstes Ziel gibt, und wir befürchten und ich glaube, dass uns der Blick ins Ausland Recht gibt, dass mit der Propagierung der Selbsttötungshilfe als Behandlungsvariante Menschen auch sich schneller in diese Richtung gedrängt fühlen. Deswegen ist es eine Frage des Schutzes der Autonomie-Entscheidung des Menschen - die individuelle Selbsttötung in Deutschland, die individuelle Selbsttötungshilfe bleibt straffrei -, dass wir organisierte werbende Angebote verbieten. Sehen Sie: Die Medien verzichten aus guten Gründen, über Selbsttötung umfassend zu berichten, weil dies bei 10.000 vollzogenen Selbsttötungen im Jahr, über 100.000 Versuchen zu einer Gewöhnung der Handlungsalternative Selbsttötung führen kann, die für Menschen in einer schwierigen Lage gefährlich werden können. Die ganz überwältigende Mehrheit, über 80 Prozent derjenigen Menschen, die nach einem Selbsttötungsversuch gerettet wurden, die sagen: Gut, dass ich gerettet worden bin. Das heißt, es ist auch eine Frage des Schutzes der Entscheidung des einzelnen, dass wir uns nicht an ein Versorgungsangebot gewöhnen wollen, unabhängig davon, ob damit Geld verdient wird oder ein gesellschaftspolitisches Ziel verfolgt wird.
Engels: Rund um assistierten Suizid gerät auch immer wieder das, dem Bundesgesundheitsministerium unterstellte Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in den Fokus. Das Bundesverwaltungsgericht hatte 2017 entschieden, dass der Staat im extremen Einzelfall den Zugang zu einem Betäubungsmittel nicht verwehren darf, das eine Selbsttötung ermöglicht. Sie hatten das als Minister abgelehnt. Keine Behörde dürfe sich zum Handlanger für Suizidhilfe machen. Bleibt es dabei und erwarten Sie hier Änderungen von Seiten des Bundesverfassungsgerichts?
Gröhe: Das Bundesverfassungsgericht beschäftigt sich jetzt mit dem neu eingeführten Paragrafen zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung. Ob in einem solchen Urteil dann auch Dinge gesagt werden, die für eine Betrachtung des, aus meiner Sicht höchst bedenklichen Urteils des Bundesverwaltungsgerichts Anlass geben, wird man dann sehen. Ich glaube, dass eine Behörde, die zur Arzneimittelprüfung unter Sicherheitsgesichtspunkten, unter Gesichtspunkten der Tauglichkeit eines Arzneimittels berufen ist, diese zu einer Berufungsinstanz zu machen für eine staatliche Unterstützung von Selbsttötungshandlungen, halte ich für einen völlig falschen Weg und freue mich darüber, dass dies offenkundig auch von meinem Nachfolger genauso gesehen wird.
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