Freitag, 26. April 2024

Archiv


"Wir betrachten sowohl FDP als auch Linkspartei als die kleinen Parteien"

Die Spitzenkandidatin der Grünen in Nordrhein-Westfalen, Sylvia Löhrmann, zeigt sich offen für Sondierungen mit allen Parteien, auch wenn FDP und Linkspartei jeweils "am extremen Rand innerhalb des demokratischen Spektrums" agierten. Das Wahlprogramm der Linken sei teilweise absurd, die FDP gefährde mit ihrem marktradikalen Kurs die Handlungsfähigkeit des Staates.

Sylvia Löhrmann im Gespräch mit Gerwald Herter | 14.05.2010
    Gerwald Herter: Nun bin ich mit Sylvia Löhrmann verbunden, Sie ist Fraktionschefin der Grünen in Nordrhein-Westfalen und will an die Regierung. Guten Morgen, Frau Löhrmann!

    Sylvia Löhrmann: Guten Morgen, Herr Herter!

    Herter: Frau Löhrmann, ist die FDP nun Schuld daran, dass Nordrhein-Westfalen künftig von einer rot-rot-grünen Koalition regiert wird?

    Löhrmann: Na, das wird sich zeigen. Wir Grüne haben ja gesagt, uns ist wichtig, dass wir unsere Inhalte durchsetzen, für die wir auch gewählt worden sind. Dass wir jetzt mit der SPD ausloten, was ist die Grundlage von Gesprächen, damit es für Rot-Grün plus den Partner möglicherweise, damit wir den möglicherweise finden, und sind da gesprächsbereit zur Linkspartei und gegenüber der FDP. Und dann muss sich die FDP halt fragen, ob sie ein Gesprächsangebot per se ausschlägt, was ja ungewöhnlich ist, aber das muss die FDP für sich entscheiden.

    Herter: Was ist denn mit Jamaika, also CDU, FDP und Grüne? Da redet man ja gar nicht mehr davon.

    Löhrmann: Na ja, wir haben das klar ausgeschlossen und zwar nicht mit irgendwelchen Hintertürchen, genauso wie wir eine Tolerierung ausgeschlossen haben mit der Linkspartei, weil wir in Nordrhein-Westfalen eine verantwortliche Regierung bilden gemeinsam mit der SPD, und da verbietet sich sozusagen eine geteilte Verantwortung oder eine Rosinenpickerei, wie die Linkspartei damit vielleicht liebäugelt. Aber da verbietet sich auch, nach diesem Wahlergebnis erst recht, dass wir eine abgewählte Regierung, der nur eine Stimme fehlt auf unserer Seite, die sozusagen weiterzubefördern und weiterarbeiten zu lassen mit grüner Unterstützung.

    Herter: Stehen die Grünen den Linken in Nordrhein-Westfalen näher als der FDP in diesem Bundesland?

    Löhrmann: Wir betrachten sowohl FDP als auch Linkspartei als die kleinen Parteien, die sozusagen jeweils am extremen Rand innerhalb des demokratischen Spektrums agieren. Bei der FDP und von der FDP trennt uns dieser marktradikale Kurs, der durch Steuersenkungen etwa die Handlungsfähigkeit des Staates und auch unserer Kommunen substanziell gefährdet, die ein Motto hat, privat vor Staat, und die eben auch Freiheit vor Gleichheit setzt. Sie setzt sozusagen die Verfassungsprinzipien außerhalb der Balance. Und bei der Linkspartei, da muss man natürlich sagen, besonders angesichts der bekannt gewordenen Äußerungen einzelner Abgeordneter, ob ihnen klar ist, ob sie sozusagen eine deutliche Distanzierung gegenüber dem Unrechtsregime auch der DDR halten und ob sie regierungsfähig sind hinsichtlich der Arbeitsfähigkeit einer Landesregierung. Das wollen wir ausloten. Es gibt keinen Automatismus für eins dieser beiden Bündnisse.

    Herter: Müsste die Linke auf Forderungen wie die Verstaatlichung der Energiekonzerne und die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich verzichten?

    Löhrmann: Ja, aus unserer Sicht sicher, weil verstaatlichte Konzerne kein bisschen ökologischer sind als privatwirtschaftlich organisierte. Außerdem ist es nicht zu finanzieren. Uns kommt es auf den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft an. Und was die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich angeht, so wird das nicht dem demografischen Wandel gerecht und ist ebenfalls nicht finanzierbar. Wichtiger ist aber noch, ... also, die Punkte sind wichtig, aber auch die Frage wie die Zerschlagung des Schulsystems. So kann man eine Schulreform nicht entwickeln, länger gemeinsam lernen muss mit den Menschen entwickelt werden, gerade in einem Flächenland wie Nordrhein-Westfalen.

    Herter: Die Mitgliederentscheidungen bei den Linken, die wären doch das Damoklesschwert einer rot-rot-grünen Koalition, zu laufenden politischen Fragen, oder macht Ihnen das keine Sorgen?

    Löhrmann: Ja, die Handlungsfähigkeit muss zu jedem Zeitpunkt gegeben sein, da kann man keine Rücksichten nehmen auf Fristen, auf übliche Fristen. Wir Grünen sind auch eine basisdemokratische Partei, aber man hat natürlich und man muss natürlich seinen gewählten Abgeordneten auch einen Vertrauensvorschuss geben, die Handlungsfähigkeit ermöglichen. Heute im Internet ist manches möglich. Wie die Linke ihren innerparteilichen Willensbildungsprozess betreibt, da haben wir keine Vorschriften zu machen, aber da kann es nicht durch lange Verfahren sozusagen, kann nicht die Handlungsfähigkeit einer Regierung gefährdet sein.

    Herter: Sie haben klare Vorstellungen. Wo liegt Ihre Schmerzgrenze für eine Koalition mit der Linken?

    Löhrmann: Unsere Schmerzgrenze liegt da, wo eben an diesem Programm, was zum Teil absurd ist und nicht darstellbar ist für Nordrhein-Westfalen, nicht Abstand genommen wird, wo nicht eine deutliche Absage an Unrechtspraktiken und an die Erkenntnis des Unrechtsregimes der DDR festgehalten wird und wo eben die Handlungsfähigkeit nicht gewährleistet ist, also die Punkte, über die wir gerade auch schon gesprochen haben.

    Herter: Sie werden heute wieder mit der SPD-Chefin in Nordrhein-Westfalen, Kraft, sprechen - auch über die Möglichkeit einer Großen Koalition?

    Löhrmann: Na ja, über eine Große Koalition brauchen wir nicht sprechen, das muss die Frau Kraft dann mit Herrn Rüttgers oder wer auch immer ihn beerbt besprechen. Wir Grüne wollen ausloten, was geht angesichts unseres guten Ergebnisses für unsere Inhalte. Das ist unser Maßstab als Grüne, und wenn wir nicht zueinander kommen, wenn wir nicht dem Partner die eine Stimme zusätzlich hergewinnen aus dem Parlament, dann muss die SPD über eine Große Koalition sprechen, dann gehen wir aufrecht und stark in die Opposition.

    Herter: Frau Kraft will Ministerpräsident werden, obwohl die SPD nur das zweitbeste Ergebnis erzielt hat. Ist das für Sie eine ausreichende Garantie dafür, dass es zu keiner Großen Koalition kommt?

    Löhrmann: Nein, das ist es mit Sicherheit nicht. Uns ist ja bekannt - und es ist ja auch nachzulesen -, dass es maßgebliche Kräfte auch in der NRW-SPD gibt, die eine Große Koalition wollen, die in jedem Fall kein Bündnis mit der Linkspartei wollen. Andere wollen in keinem Fall die Große Koalition. Aber das ist nun ein Prozess, den die SPD für sich entscheiden muss. Die Ampel als einfacher Ausweg scheint mir auch nicht wirklich angemessen angesichts dieser inhaltlichen Aufstellung. Und für uns Grüne, das sage ich noch mal sehr deutlich, sind die Inhalte maßgeblich. Es gibt keinen Automatismus, und Opposition ist nicht Mist, sondern wichtig in einer Demokratie.

    Herter: Frau Löhrmann, das sind keine einfachen Zeiten, auch nicht für Nordrhein-Westfalen. Wann muss eine Koalition aus Ihrer Sicht spätestens stehen?

    Löhrmann: Das kann man abschließend nicht sagen. Was uns Grünen aber wichtig ist, dass wir uns jetzt nicht in diesen Sondierungsgesprächen lange verzetteln, sondern wir wollen ja und haben ja auch verabredet, nächste Woche die Gespräche mit FDP und Linkspartei zu führen, um dann jeweils auszuwerten und dann gemeinsam auszuwerten, damit wir auf unseren Parteigremien mit der Lage besprechen können, und dann muss man entscheiden, ob es einen Partner gibt, mit dem wir in Koalitionsverhandlungen einsteigen können, oder wie wir weiter vorgehen. Eine lange Hängepartie wollen wir ausdrücklich nicht, aber das liegt nicht alleine in unserer Hand.