Montag, 29. April 2024

Archiv


"Wir brauchen eine radikale Änderung im Datenschutzgesetz"

Die Datenschutz-Expertin Silke Stokar von den Grünen setzt sich für eine "Sonderkommission Datenklau" ein, um den Missbrauch persönlicher Angaben zu unterbinden. Der Handel müsse verboten - und das Kopieren von frei zugänglichen Daten durch Mitarbeiter in Call-Centern klar protokolliert werden.

Silke Stokar im Gespräch mit Bettina Klein | 19.08.2008
    Bettina Klein: Die Datenschutzgesetze sind offenbar überarbeitungsbedürftig. Dies zeigen die jüngsten Fälle von Datenmissbrauch. Eine Entwicklung, die stark mit den schon nicht mehr ganz so neuen Medien zusammenhängt. In welchem Maße Handlungsbedarf besteht, darüber gehen die Meinungen in der Politik noch auseinander. Die Datenschutzexperten des Bundestages sollen nach der Sommerpause eingehend beraten. Das hat der Vorsitzende des Innenausschusses Sebastian Edathy heute angekündigt.
    Am Telefon begrüße ich Silke Stokar. Sie ist Abgeordnete der Grünen und in ihrer Fraktion für den Datenschutz zuständig. Ich grüße Sie, Frau Stokar.

    Silke Stokar: Hallo!

    Klein: Wir haben es gerade gehört. Ihr SPD-Kollege Edathy will alle Datenschutzexperten des Parlamentes nach der Sommerpause zusammenbringen, um das Thema zu erörtern. Was werden Sie dort einbringen?

    Stokar: Ich finde das nett, dass die SPD mal wieder zu einer Krisensitzung einlädt. Man muss allerdings immer fragen: welche Krise sollen wir diesmal lösen? - Ich finde das ein sehr scheinheiliges Angebot. Seit drei Jahren haben wir als Grüne umfangreiche Änderungsanträge zum Bundesdatenschutzgesetz eingebracht und bisher waren SPD und CDU sich einig, alle Anträge abzulehnen. Wir brauchen keine Expertenrunde, sondern ich erwarte ein Signal der Großen Koalition, dass sie die vernünftigen und moderaten Vorschläge der Oppositionsfraktionen in den kommenden Monaten auch umsetzt. Der vorliegende Entwurf zur Reform des Datenschutzgesetzes ist wirklich eine Reform light und wird die ganzen Probleme, die sich jetzt ja häufen, seit Monaten häufen, nicht im Ansatz lösen. Wir brauchen eine radikale Änderung im Datenschutzgesetz.

    Klein: Nennen Sie zwei, drei Punkte, Frau Stokar, die für Sie jetzt wichtig wären, in das Gesetz hineinzubringen.

    Stokar: Ein ganz wichtiger Punkt ist, dass man klar im Gesetz definiert, was ist eine Auskunftei. Es kann nicht sein, dass jeder sich selbständig machen kann und sagen kann, ab morgen bin ich ein Datenhändler.
    Zweitens fordern wir seit langer Zeit ein Verbot des Handels mit persönlichen Daten. Für mich ist es völlig unbegreiflich, dass in Call Centern Bankdaten unverschlüsselt auf den PCs offensichtlich vorhanden sind, jeder Mitarbeiter sich eine CD ziehen kann, ohne dass dieser Datenabgriff protokolliert wird. Das sind sträfliche Verstöße gegen das Datenschutzgesetz. Da brauchen wir höhere Sanktionen. Wir brauchen eine Kooperation zwischen Datenschutz und Polizei, damit wir einerseits die Lücken im Datenschutz schließen und andererseits diese kriminellen Machenschaften ebenso verfolgen.

    Klein: Aber das Thema soll jetzt verschärft auf die Tagesordnung. Es ist doch durchaus möglich, dass sich die Koalition genau darauf verständigt.

    Stokar: Bisher ist davon nichts zu erkennen. Wir haben zu Scoring Anträge eingebracht, zu Datenschutz-Audit Anträge eingebracht. Alle Versuche, die Datenschutzkontrolle zu stärken, all dies ist in den letzten Jahren sowohl von SPD als auch von CDU abgelehnt worden. Und ich erinnere mich ja ganz gut an die Zeiten. Unter Rot-Grün war es ja mit der SPD auch nicht wirklich möglich, das Bundesdatenschutzgesetz so zu modernisieren, wie es erforderlich gewesen wäre. Diese ganzen Affären, die wir heute haben, sind eine Folge von Verweigerung der Politik, im Datenschutzbereich auch zu handeln.

    Klein: Sie fordern jetzt, Frau Stokar, eine Sonderkommission, eine "SoKo Datenklau". Das klingt mit Verlaub auch ein wenig nach Aktionismus.

    Stokar: Nein. Ich finde, in einer Situation, wo hier die Bankkonten von Millionen Bundesbürgern in Gefahr sind, wo sich Leute zusammengetan haben, Daten miteinander austauschen, um die Konten von älteren Leuten, die das vielleicht nicht merken, abzuräumen, da brauchen wir nicht nur politisches Gerede, sondern ich erwarte, dass im kriminellen Bereich sowohl die Polizei handelt und dass im Datenschutzbereich wir noch mal die Lücken, die es gibt, analysieren. Die liegen in der Kontrolle. Die liegen im Bußgeld- und Sanktionsbereich. Ich halte das für eine vernünftige Idee, wenn die Experten aus dem Bereich der Polizei, aus dem Bereich der Internet-Kriminalität gemeinsam mit den Datenschützern sehr schnell Vorschläge machen, wie wir die Bankkonten von Millionen Bundesbürgern wieder schützen können. Wir haben die Situation, dass heute jeder in Deutschland damit rechnen muss, dass von seinem Konto illegal Geld abgebucht wird, weil hier mit Einzugsermächtigungen und Bankdaten gehandelt wird. Das ist nicht mehr eine einfache Datenschutzdiskussion; hier brauchen wir die Zusammenarbeit von Datenschutz und Polizei.

    Klein: Frau Stokar, abschließend gefragt: Wenn immer mehr dieser Fälle jetzt aufgedeckt werden und sich der Eindruck verstärkt, das ist eine wachsende Spitze eines Eisberges, welche Strategie kann denn dazu führen, das systematischer aufzuklären, wo gerade Missbrauch betrieben wird? Müssten die Verbraucherzentralen dort zum Beispiel auch in einer konzertierten Aktion etwa versuchen, durch das Angebot von Scheingeschäften dem auf die Spur zu kommen?

    Stokar: Damit ist es aufgedeckt worden. Ich setze sehr stark auf technischen Datenschutz. Das ist heute möglich. Die Musikindustrie macht das, dass man bestimmte Datensätze verschlüsseln kann, dass man Kopierschutz einbaut, dass man Zugriffe protokolliert. Für mich ist es völlig unverständlich, dass es in der Privatwirtschaft nicht eine Selbstverständlichkeit ist, dass insbesondere Bankdaten nicht technisch geschützt werden. Wir müssen viel mehr investieren in Datensicherheit. Wir brauchen klare elektronische Signaturen und müssen lernen, dass die Internet-Gesellschaft andere Formen von Sicherheit braucht. Hier verschläft die deutsche Wirtschaft eine ganze Entwicklung. Das wird dazu führen, dass die Leute sich zukünftig weigern, Einzugsermächtigungen überhaupt noch irgendjemandem zu geben. Wenn sie nicht mehr sicher sind, wenn Einzugsermächtigungen gehandelt werden, dann wird es einen Rückzug aus diesen ganzen Internet-Geschäften geben.

    Klein: Vielen Dank! - Das war die Bundestagsabgeordnete der Grünen Silke Stokar zu den Fragen des Datenschutzes, die im Augenblick diskutiert werden.