Archiv


"Wir haben in Düsseldorf von Anfang an eine klare Position gehabt"

Hannelore Kraft (SPD) will sich zur Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen wählen lassen. Dietmar Bartsch, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Linken im Bundestag, wünscht sich klare Koalitionsvereinbarungen zwischen SPD und Grünen.

Dietmar Bartsch im Gespräch mit Gerd Breker |
    Gerd Breker: Jürgen Rüttgers ist nur noch geschäftsführender Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, weil er keine Mehrheit mehr hat. Schwarz-Gelb wurde in Düsseldorf abgewählt. In gewisser Weise soll also nun eine Minderheitsregierung durch eine andere Minderheitsregierung abgelöst werden - allerdings durch eine, die ganz dicht vor einer Mehrheit ist. Seit gestern Abend ist klar: Ein Kraftakt steht bevor. Hannelore Kraft will gemeinsam mit den Grünen nun doch eine Regierung ohne eigene Mehrheit bilden und damit den Politikwechsel herbeiführen. Schwarz-Gelb in Berlin richtet sich inzwischen auf ein Regieren jenseits des Bundesrates ein. Die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke soll also so gestaltet werden, das Sparpaket soll in Einzelgesetze aufgesplittet werden, die, wenn es eben geht, eben nicht zustimmungspflichtig sind durch die Länderkammer. In gewisser Weise hat sich die Regierung Merkel auf den Verlust der Bundesratsmehrheit schon längst eingestellt. Dennoch ist die zur Schau gestellte Empörung über die Interpretation des Wählerwillens in Düsseldorf bei Union und FDP groß und die Opposition muss sich ernsthaft fragen lassen, wie sehr sie denn den Politikwechsel wirklich will.

    Am Telefon bin ich nun verbunden mit Dietmar Bartsch, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Linksfraktion im Deutschen Bundestag. Guten Tag, Herr Bartsch.

    Dietmar Bartsch: Ich grüße Sie!

    Breker: Herr Bartsch, wie ernst es der Linkspartei mit einem wirklichen Politikwechsel ist, das wird man nun in Düsseldorf sehen können.

    Bartsch: Schauen Sie, wir haben in Düsseldorf von Anfang an eine klare Position gehabt. Die Linke hat ja nicht die Gespräche von SPD, Grünen und uns abgebrochen, sondern sie sind seitens der SPD abgebrochen worden, ohne dass es um die Anliegen der Menschen in Nordrhein-Westfalen ging. Da wurde das Thema DDR aufgerufen; ich will mich dazu gar nicht äußern, aber es ist schon etwas kurios, wenn dann drei Parteien, alle aus Westdeutschland, über die DDR reden und das zum Maßstab für eine Koalition machen. Nein, es ist ein Erkenntnisgewinn offensichtlich bei Frau Kraft da. Ich begrüße das ausdrücklich, dass sie Ministerpräsidentin werden will und Herrn Rüttgers ablösen will. Da gibt es viele, viele gute Gründe für. Und nun muss in der Substanz geredet werden und dann wird man eine Entscheidung treffen. Die Linke hat immer klar und eindeutig gesagt, wenn es eine gemeinsame inhaltliche Grundlage gibt, dann sind wir zur Zusammenarbeit bereit, selbstverständlich auch zu Koalitionen, die es ja, wie Sie wissen, in Brandenburg und Berlin erfolgreich gibt.

    Breker: Das Tolerieren einer Minderheitsregierung, das ist also in Ihren Augen nur der Anfang einer anderen, einer neuen Politik? Mitregieren wäre besser?

    Bartsch: Schauen Sie, das will ich gar nicht ausschließen, das Tolerieren. Wir haben im schönen Land Sachsen-Anhalt eine rot-grüne Regierung eine Legislatur toleriert, danach haben alle Parteien zugelegt. Wir haben auch in einer zweiten Legislatur in Sachsen-Anhalt einen SPD-Ministerpräsidenten Höppner damals toleriert. Das ist möglich! Allerdings ist meine Position klar und eindeutig: Ich wünsche mir, dass es klare Koalitionsvereinbarungen gibt, die die Grundlage für eine Legislatur darstellen. Dann wissen die Menschen, woran sie sind, dann wissen alle Parteien, woran sie sind. Das ist die bessere Variante, als dass man auch dann einer rot-grünen Minderheitsregierung immer die Möglichkeit gibt, mit anderen Mehrheiten zu bilden. Denn eines ist ganz klar: Auch Minderheitsregierungen brauchen Mehrheiten und ich habe ein klein wenig Sorge, dass die SPD dann zur FDP, gegebenenfalls vielleicht sogar zur CDU schielt, und das ist keine gute Grundlage für die Arbeit im Landtag.

    Breker: Haben Sie denn Verständnis, Herr Bartsch, dafür, dass es noch Berührungsängste bei den etablierten Parteien gibt? Im Osten ist es hauptsächlich die Vergangenheit Ihrer Partei und im Westen ist es die Scheu vor einer Chaostruppe, die es ja teilweise auch ist.

    Bartsch: Das ist sie zweifelsfrei nicht. Ich kann diese "Berührungsängste" nicht verstehen. Im Übrigen schaden sie nachhaltig der Sozialdemokratie. Es gibt ja auch in den neuen Ländern – schauen Sie nach Sachsen – Landesverbände, die der SPD gesagt haben, "mit denen nie". Das Ergebnis ist klar und eindeutig: Bei der Bundestagswahl waren wir in den neuen Ländern in jedem Land stärker als die SPD. Wir waren in Sachsen-Anhalt und Brandenburg sogar stärker als die CDU. Die Linke ist hier Volkspartei. Dass wir in den alten Ländern im Moment noch nicht so stark sind, das ist unbestritten. Aber auch die Wählerinnen und Wähler in Nordrhein-Westfalen haben ja ihre Gründe gehabt, uns zu wählen und nicht die SPD. Die haben uns in den Landtag geschickt. Damit haben sie uns einen Auftrag gegeben. Und Parteien sollten demokratische Grundregeln akzeptieren, nämlich in der Sache reden, ob man miteinander kann. Wenn denn das Ergebnis ist, dass SPD, Linke und Grüne bei den Inhalten, die Nordrhein-Westfalen voranbringen, nicht zusammenkommen, dann ist das eine sachliche Feststellung, die man zur Kenntnis nehmen kann. Wenn ich mir aber die Wahlprogramme anschaue, dann gibt es offensichtlich doch eine Vielzahl von Punkten, die für das Land, die für die Menschen im Land gut sein könnten. Und ich will nicht verhehlen: Als Bundespolitiker ist mir natürlich sehr, sehr wichtig, dass die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundesrat endlich fällt, denn das, was die hier anbieten als Regierung nach neun Monaten, droht, die schwarz-gelbe Regierung wirklich die Zukunft Deutschlands zu verspielen. Das ist ja kein Sparpaket; das ist eine Kürzungsarie. Die Vermögenden werden in keiner Weise belastet. Deshalb hat Nordrhein-Westfalen neben der Größe des Landes, neben der Stärke des Landes auch eine bundespolitische Komponente.

    Breker: Sie haben es gesagt, Herr Bartsch: die Linkspartei ist im Osten etabliert. Inzwischen scheint so, dass die Ausweitung in den Westen gelungen ist. Das Fünf-Parteien-System ist gefestigt. Ist es da nicht wirklich an der Zeit, dass die Linkspartei auch Politikfähigkeit für ganz Deutschland zeigt? Sprich: Ist Oskar Lafontaines Fundamentalopposition eigentlich noch zeitgemäß für Ihre Partei?

    Bartsch: Die Linke übt keine Fundamentalopposition aus.

    Breker: Oskar Lafontaine übt das aber aus.

    Bartsch: Oskar Lafontaine ist Fraktionsvorsitzender an der Saar, die neuen Vorsitzenden heißen Gesine Lötzsch und Klaus Ernst, und wir haben immer die Position gehabt, im Übrigen auch Oskar Lafontaine, der im Saarland eine Koalition von SPD und Linke extrem befördert hat und zu großen Kompromissen bereit war – das ist ja so nicht korrekt, ihn so eindeutig einzuordnen. Aber ganz klar ist: Wir sind eine Partei, die unlängst ihren dritten Geburtstag gefeiert hat, und wir sind eine Partei, die in den alten Ländern eine rasante Entwicklung genommen hat, Mitgliedersteigerung, Wahlergebnisse gesteigert. Es ist doch noch wenige Wochen her, da hat man uns prognostiziert, dass wir nicht in den Landtag von Nordrhein-Westfalen kommen. Ich hoffe, dass alle annehmen, dass es ein Fünf-Parteien-System gibt und die notwendigen Schlussfolgerungen daraus ziehen. Die Linke übt keine Fundamentalopposition aus! Nein, anders herum: Ich plädiere ausdrücklich dafür, dass da, wo es möglich ist, Mehrheiten jenseits von Schwarz-Gelb gebildet werden. Das ist für das Land gut. Die stärkste Industriemacht Europas sollte nicht von den Schwarz-Gelben weiter regiert werden, denn alles, was in den letzten Monaten entschieden worden ist, ist nicht gut fürs Land. Wir haben eine Verschuldung, die völlig inakzeptabel ist, wir machen Einschnitte im Sozialen. Ja, das tut mir leid! Und da ist Die Linke bereit und wir haben – das will ich schon noch anmerken – in einer Weise das Land aus der Opposition verändert, wie es kaum jemand für möglich gehalten hat.

    Breker: Mehrheiten jenseits von Schwarz-Gelb, Herr Bartsch, das bringt einen automatisch auf die Bundespräsidentenwahl. Warum hat sich die Linkspartei mit einer eigenen Kandidatin dort gefesselt? Im 21. Jahr nach der Wende, wäre da nicht die Zustimmung zu Joachim Gauck ein Dokument der wahren Wende der Linkspartei?

    Bartsch: Wir sind ja nicht auf dem Markt, wo man sich Dokumente erkauft und sagt, damit wären wir jetzt reingewaschen oder Ähnliches. Nein! Auch hier muss ich feststellen: Die Verantwortung dafür liegt bei Rot-Grün. Rot-Grün hat die Möglichkeit verstreichen lassen, einen gemeinsamen Kandidaten, oder eine gemeinsame Kandidatin auszuwählen. Dieses Verfahren ist für uns so nicht zu akzeptieren. Wenn man einen Kandidaten vorschlägt und sagt, der ist es, friss oder stirb, ist das keine Grundlage.

    Breker: Und deshalb wird es da keine Mehrheit jenseits von Schwarz-Gelb geben?

    Bartsch: Wir sind stärker als die Grünen im Deutschen Bundestag und man verhandelt und redet mit uns als gleichberechtigte Partei. Die Sachlage in der Bundesversammlung ist sehr eindeutig: Schwarz-Gelb hat hier eine Mehrheit. Ich bedauere das. Wir haben nach diesem Verfahren und auch wegen der Person eine eigene Kandidatin, eine achtenswerte Kandidatin aufgestellt und wir haben ganz klar in der Bundestagsfraktion mit den Fraktionen der Länder festgehalten, dass wir, so es wirklich, wovon ich nicht ausgehe, einen zweiten oder einen dritten Wahlgang gibt, uns dann verständigen werden. Jetzt heißt unsere Kandidatin Lukrezia Jochimsen. Die wird hoffentlich mehr Stimmen kriegen, als wir Wahlmänner und Wahlfrauen haben, und nach einem ersten Wahlgang, wo nicht Christian Wulff gewählt werden würde, werden wir uns verständigen.

    Breker: Herr Bartsch, verständigen heißt, damit unsere Hörer das auch wissen, Sie können sich eine Wahl Joachim Gaucks dann vorstellen?

    Bartsch: Das habe ich überhaupt nicht gesagt. Es sind zwei unterschiedliche Sichten. Die eine ist: Natürlich möchte ich, wenn es irgend möglich ist, Schwarz-Gelb auch mit der Wahl des Bundespräsidenten möglichst so schwächen, dass sie nicht die ganze Legislatur zu Ende machen. Das ist meine klare Position. Je eher die aufhören mit Politik, desto besser fürs Land. Auf der anderen Seite ist es leider so, dass Herr Gauck für uns nahezu nicht wählbar ist. Das hat schlicht damit zu tun: Es wird ja jetzt über Medien suggeriert, dass er ein großer Versöhner ist. Nein, das ist nicht der Fall! Er hat einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass im Osten die Spaltung der Gesellschaft vollzogen worden ist, und zwar ausdrücklich nicht eine Spaltung, wie manche behaupten, zwischen Opfern und Tätern. Nein: Herr Gauck hat auch bei inhaltlichen Positionen – er befürwortet Afghanistan, er wäre in den Irak-Krieg gezogen – nicht unsere Sicht.

    Breker: Herr Bartsch, wir müssen zum Ende kommen. Dietmar Bartsch war das, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag. Vielen Dank für dieses Gespräch.

    Bartsch: Ich danke auch! Alles Gute!