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"Wir kommen voran"

Ungeachtet der aktuellen Kontroversen zwischen Union und Sozialdemokraten sieht SPD-Chef Kurt Beck die Große Koalition auf gutem Weg. "Wir kommen voran", sagte er. Eine Belastung sei aber die "Findungsphase" in der CSU, bei der sich derzeit vieles auf die Innenprofilierung richte.

Moderation: Klaus Remme | 06.03.2007
    Klaus Remme: Höher geht es nicht mehr und viel kleiner geht es auch nicht. Wenn der Koalitionsausschuss in Berlin zusammenkommt, dann beraten die Partei- und Fraktionsvorsitzenden über Fragen, die eben manchmal nur durch Spitzengespräche beantwortet werden können. Gestern Abend hatten sich gleich mehrere solcher Fragen angesammelt. Die Diskussion über Krippenplätze, Mindestlohn und Bleiberecht wird seit Wochen kontrovers und ohne Fortschritte geführt. Mehr als vier Stunden hat man zusammen gesessen, doch von Lösungen wurde im Anschluss an die Sitzung nicht berichtet. Vor einigen Minuten habe ich mit dem SPD-Parteichef Kurt Beck darüber gesprochen. Meine erste Frage an ihn: Ist die Schnittmenge zwischen SPD, CDU und CSU inzwischen gefährlich klein geworden?

    Kurt Beck: Nein, das kann man so nicht sagen. Wir sind auch gut vorangekommen. Ich bin durchaus nicht unzufrieden, und wir haben eine Reihe von Linien auch miteinander festgelegt, auf denen wir uns weiter bewegen und zu Lösungen kommen können.

    Remme: Dann gehen wir mal die Themen durch. Seit Wochen wird über die Familienpolitik diskutiert. Viele hatten den Eindruck, wenigstens im Ziel, die Anzahl der Plätze über das bisher geplante Maß hinaus auszubauen, sei man sich einig. Jetzt geht es wieder um die Frage, wie viel man überhaupt braucht. Wie kommt es dazu?

    Beck: Das ist eine Frage, die ich mir auch gestellt habe, muss ich ehrlich sagen, und zwar deshalb, weil ich davon ausgegangen bin, dass wir uns einig sind. Der Bedarf, der da ist, liegt über dem, der bisher prognostiziert ist. und das ist jetzt wieder in Frage gestellt. Wir haben uns aber darauf verständigt zu sagen, jetzt laden wir die Länder und die Kommunen ein zu einem Familiengespräch, zu einer Familienrunde. Und dann wird mit ihnen gemeinsam der Bedarf festgelegt.

    Remme: Von wem wurde das wieder in Frage gestellt?

    Beck: Es ist offensichtlich so, dass die Union ihrerseits durchaus nicht von den 750.000 Plätzen ausgeht, die Frau von der Leyen öffentlich genannt hat. Ich glaube nach wie vor, dass wir deutlich mehr Plätze brauchen, als es bisher gibt und als bisher prognostiziert sind, und wir bleiben auch dabei, politisch, dass wir uns wünschen, dass dies bis 2010 auch verwirklicht wird.

    Remme: Waren die Beratungen in diesem Punkt dann fachlich schlecht vorbereitet?

    Beck: Nein, das kann man so nicht sagen. Das will ich auch gar nicht behaupten. Es war offensichtlich so, dass die Frage, ob man denn das ganze finanzieren könne und wie, doch auf den Kern der Dinge geführt hat und die Sache dann wieder auf diesen Punkt gebracht hat.

    Remme: Aber es kann doch eigentlich nicht so schwer sein, den Bedarf auszurechnen?

    Beck: Na ja, so einfach ist es schon nicht. Wir müssen die Jugendämter hören. Das sind kommunale Jugendämter. Es gibt eine Prognose der Fachleute, die der Bundesfamilienministerin ja einen Vorschlag machen, wie sich das Ganze entwickeln soll. Darauf hatte sich die SPD auch berufen bei ihren Berechnungen, aber das ist jetzt so nicht mehr einfach Basis. Ich glaube, dass es schon deutlich geworden ist: Man darf eben nicht Versprechungen machen, wenn sie nicht wirklich finanziell untermauert sind.

    Remme: Ist das eine Kritik an der Bundesfamilienministerin?

    Beck: Das ist eine Feststellung, die gültig ist und die nach dem gestrigen Abend eben auch Realismus ist.

    Remme: Herr Beck nehmen wir an, ich will mich als Wähler bei der nächsten Bundestagswahl an der Familienpolitik orientieren, wo sind die Unterschiede zwischen SPD und Union?

    Beck: Ich rate einfach, in die Länder zu schauen, in die sozialdemokratisch und die christdemokratisch geführten Länder, und Sie werden den Unterschied deutlich spüren, denn dort ist die wirkliche Verantwortung. Wenn Sie jetzt Rheinland-Pfalz sehen, dort wird bis 2010 ein Rechtsanspruch für alle Kinder da sein. Da wird Beitragsfreiheit für alle Kinder da sein. Das gilt schon für das letzte Kindergartenjahr und ab diesem Jahr dann auch für das vorletzte Kindergartenjahr. Und es gibt eine deutliche pädagogische Aufbesserung des Kindergartens zur Vorbereitung auf die Schule. Vergleichen Sie dies mit anderen Ländern, und Sie sehen, wo der wirkliche Unterschied ist. Darauf, glaube ich, kann man sich dann verlassen, weil das Taten sind.

    Remme: Herr Beck, ein weiterer Streitpunkt der letzten Monate war das Thema Bleiberecht. Vor allem von Seiten der CSU kam jetzt Widerstand gegen den Beschluss der Großen Koalition. Sind die Bedenken der Christsozialen ausgeräumt?

    Beck: Es ist so, dass wir dem Kern nach keine Veränderung an dem von Herrn Schäuble vorgelegten Gesetz vornehmen werden. Es gibt eine Detailfrage, über die in den nächsten Tagen gesprochen wird. Das ist die Frage, wie sieht es denn für den Zeitraum der geduldeten Menschen aus - um die geht es ja -, bis sie eine Arbeit finden? Wenn sie eine Arbeit haben, werden sie behandelt wie alle anderen. Wenn sie sich bewerben um eine Arbeit, werden sie von der Bundesagentur so behandelt wie alle anderen Arbeitsuchenden. Aber bis sie eine Arbeit haben, gibt es dort schon eine finanzielle Besserstellung oder nicht? Das wird untersucht und wenn es einen solchen geben sollte, dann wird im Sinne des Einsparens von Mitteln darauf hingewirkt, dass das nicht der Fall ist. Das ist der Punkt, der noch untersucht werden soll. Ansonsten gehe ich davon aus, dass wir noch vor Ostern dieses Gesetz auf den Weg bringen können.

    Remme: Bayern war ja mit der Kritik zum Bleiberecht nicht allein. Wie passt denn der Beschluss der Großen Koalition zu den schärferen Vereinbarungen der Länderinnenminister vom vergangenen November?

    Beck: Der passt ganz genau, denn die Innenminister hatten beschlossen, dass sie ihrerseits sich jetzt auf eine Vorgehensweise einigen, aber davon ausgehen - und sie haben dann inhaltliche Punkte genannt, die auch erreicht sind -, dass für eine dauerhafte Lösung eine bundesrechtliche gesetzliche geschaffen wird.

    Remme: Das habe ich nicht verstanden.

    Beck: Es geht darum, dass die Innenminister gesagt haben, wir vereinbaren jetzt mal eine Regelung, aber wir wissen, es ist richtig, dass man darüber hinausgehend eine gesetzliche Regelung macht. Genau das ist mit diesem Gesetz von Herrn Schäuble auf den Weg gebracht. Also insoweit, es passt zusammen, steht in einem Beschluss so drin.

    Remme: Wie viele Menschen werden von dieser Regelung profitieren?

    Beck: Ich hoffe, dass es zirka 100.000 Menschen sein werden, und ich muss ehrlich sagen, es wäre mir schwerer gefallen, noch mal, im Grunde genommen des lieben Friedens Willen, eine Verhandlungsrunde zu drehen, wenn es mir nicht um die Menschen gegangen wäre und ich glaube allen am Tisch ansonsten auch.

    Remme: Herr Beck, wer ist für die SPD in dieser Runde das größere Problem, die CDU oder die CSU?

    Beck: Es hat keinen Sinn, jetzt über solche Dinge öffentlich zu spekulieren, aber Sie haben ja gesehen an dem, was sich in den letzten Tagen getan hat, dass es schon spürbar ist, dass die CSU doch in einer Findungsphase ist und sich vieles auf die Innenprofilierung der CSU richtet.

    Remme: Das heißt, der Machtkampf in der CSU belastet die Berliner Regierungspolitik?

    Beck: Na ja, bisher konnten wir das überwinden, und ich hoffe, wir werden es auch weiterhin überwinden. Alles in allem glaube ich, dass wir in der Koalition schon sagen können, wir kommen voran und die Arbeit läuft auch dort, wo es ganz wichtig ist. Das ist entscheidend.

    Remme: Und parteiinterne Nöte könnten Sie möglicherweise auch gut nachvollziehen. - Zum Schluss noch eine Frage zur Hamburger SPD, Herr Beck. Seit gestern steht fest, dass auch Henning Voscherau nicht für eine Kandidatur zur Verfügung steht. Wie ernst ist die Krise Ihres Landesverbandes in der Hansestadt?

    Beck: Das ist eine Herausforderung und sie wird ganz sicher sehr zügig gelöst werden. Daran kann es gar keinen Zweifel geben.

    Remme: Haben Sie Vorstellungen in Bezug auf einen Spitzenkandidaten?

    Beck: Ich habe Vorstellungen, aber ich bitte Sie um Verständnis. Die Entscheidungen werden die lokalen Gremien in Hamburg treffen, und insoweit wird das mit denen kommuniziert und nicht öffentlich. Das wäre unhöflich gegenüber dem dortigen Landesvorstand und den Handelnden.

    Remme: Der SPD-Parteivorsitzende Kurt Beck.