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"Wir sind insofern hier vor Ort die Leidtragenden"

Lorenz Caffier (CDU) ist nicht erfreut über die Einlagerung von Brennstäben im Zwischenlager Lubmin - und noch weniger über die Kosten des Polizeieinsatzes um den Castor zu schützen. Gerüchte über eine Wegtrage-Gebühr von Blockierern seien ihm neu.

16.12.2010
    Gerwald Herter: Und wieder rollt ein Atommüll-Transport durch Deutschland. Ein Zug mit etwa 2500 Brennstäben war vorgestern Abend im südfranzösischen Cadarache losgefahren. Ziel ist das sogenannte Zwischenlager Nord in der Nähe von Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern.
    Der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern ist Lorenz Caffier. Der CDU-Politiker war schon für die Sicherheit des Weltwirtschaftgipfels 2007 in Heiligendamm verantwortlich und mit ihm bin ich nun verbunden. Guten Morgen, Herr Caffier.

    Lorenz Caffier: Einen schönen guten Morgen!

    Herter: Herr Caffier, der Atommüll stammt aus dem Kernforschungszentrum Karlsruhe und sozusagen von hoher See, aus dem atomar angetriebenen Schiff Otto Hahn. Warum soll der Müll dann nach Mecklenburg-Vorpommern?

    Caffier: Das ist eine an und für sich relativ einfache Situation, die ihren Ursprung in der Festlegung des Rückbaus des Forschungszentrums aus den 80er-Jahren hat und die 2004 festgelegt worden ist, damals durch Umweltminister Trittin, dass die Einlagerung der Brennstoffe dort erfolgt, wo das bundeseigene Lager sich befindet, das keine gewerblichen Stoffe sind, sondern sozusagen aus dem Forschungszentrum entstanden, ist keine standortnahe Einlagerung notwendig und deswegen sind die Castoren jetzt unterwegs in das bundeseigene EWN, was sich eben in Lubmin befindet und was im Übrigen das einzigste bundeseigene Lager ist.

    Herter: Ursprünglich wurde dieses Zwischenlager Nord ja nur für Atommüll aus der früheren DDR geschaffen.

    Caffier: Es ist richtig, was die Landtagsbeschlüsse betrifft, dass immer wir uns dafür ausgesprochen haben, dass nur die Brennstoffe aus Reinsberg und aus Lubmin eingebracht werden, aber die rechtliche Situation muss natürlich auch die Landespolitik zur Kenntnis nehmen, und da ist die Beschlusslage so, wie sie ist: Der Bund legt fest, zunächst hat Herr Trittin festgelegt, anschließend Herr Gabriel, und zu Beginn dieses Jahres ist die Beförderungsgenehmigung erteilt worden, dass die Castoren in das bundeseigene Lager kommen. Das haben wir zur Kenntnis zu nehmen, ich bedauere das, aber letztendlich ist die rechtliche Situation so, wie sie ist, und als Innenminister bin ich für die Umsetzung von Recht und Ordnung zuständig.

    Herter: Also Sie haben keine Wahl. – Hatten Sie denn eine Wahl beim Zeitpunkt des Transportes? Ist es Zufall, dass der jetzt stattfindet, im tiefsten Winter?

    Caffier: Nein. Wir hatten eine Beförderungsgenehmigung, die ein gewisses Zeitfenster in sich birgt, und Sie haben ja die Einsatzbelastung der Polizistinnen und Polizisten in den letzten Wochen beobachten können, die vielfältig waren, zum Schluss in Gorleben, und insofern gibt es natürlich auch eine gewisse Entwicklung, wann, in welchem Zeitrahmen welche Transporte möglich sind, und insofern ist der Winter nicht bewusst gewählt worden, sondern hat sich aus der Situation der Lage heraus ergeben.

    Herter: Also Sie hoffen nicht etwa darauf, dass nun wegen der Kälte und der verschneiten Straßen und so weiter weniger Demonstranten anrücken?

    Caffier: Die Hoffnung ist für mich relativ irrelevant, weil solange es ein friedlicher Protest ist, hat auch ein Innenminister damit keine Probleme, und ansonsten sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Länder- und Bundespolizei ja diesen widrigen Witterungsbedingungen genauso ausgesetzt. Also ich kann nicht darüber sagen, dass ich mich jetzt besonders freue, dass es jetzt so kalt ist und so viel Schnee fällt, denn es gibt eine Reihe von zusätzlichen Belastungen und auch Schwierigkeiten, die solche Witterungen mit sich bringen, die betreffen eben nicht nur diejenigen, die ihren Protest zum Ausdruck bringen wollen, hier haben wir alle die gleichen Schwierigkeiten.

    Herter: Wie viele Polizisten sind in Ihrem Bundesland, in Mecklenburg-Vorpommern, im Einsatz?

    Caffier: Also wir haben als Landespolizei derzeit rund 3000 Polizisten im Einsatz. Davon sind 1000, ungefähr die Hälfte eigene Polizisten und der Rest aus den anderen Ländern zur Unterstützung plus die Bundespolizei.

    Herter: Wer trägt die Kosten für den Einsatz?

    Caffier: Wir fordern immer ein, dass die Kosten vom Bund übernommen werden sollen. Da bin ich mir mit meinem niedersächsischen Kollegen Schünemann immer einig. Aber bisher ist das nicht erfolgt, sodass wir für die Kosten der Polizeien der anderen Länder aufkommen müssen, und haben da circa 1,5 Millionen erst mal für den jetzigen Transport eingestellt.

    Herter: Die Kollegen der Neuen Osnabrücker Zeitung melden heute, dass Blockierer zur Kasse gebeten werden sollen. Sie sollen eine sogenannte Wegtrage-Gebühr zahlen, die sich angeblich nach dem Dienstgrad der wegtragenden Beamten richtet. Ist das richtig?

    Caffier: Also ich kann nur für die Landespolizei sprechen, die hier im Einsatz ist, und die Kollegen. Ich habe in letzter Zeit schon sehr häufig sehr viel Ungereimtes in den Medien gelesen beziehungsweise Aussagen gehört, von den waffenfähigen Castoren bis eben zu Wegtrage-Gebühren. Dazu gibt es auch Gesetzlichkeiten und Rechtlichkeiten und die gelten für mich gleichermaßen. Auch in schwierigen finanziellen Situationen muss man sich mit der Erfindung neuer Quellen in Grenzen halten.

    Herter: Die Zeitung beruft sich auf einen vertraulichen Einsatzbefehl der Polizeidirektion Anklam. Ist Ihnen der bekannt?

    Caffier: Ich kenne meine Direktion Anklam sehr gut und ansonsten kann ich dazu nur sagen, ich habe schon vieles gehört, aber das ist für mich auch mal eine Neuigkeit.

    Herter: Herr Caffier, Ihr Regierungschef, Ministerpräsident Sellering, ein Sozialdemokrat, anders als Sie, hat ja nun am vergangenen Wochenende gegen den Transport demonstriert. Sie sorgen dafür, dass er stattfinden kann. Wie passt denn das zusammen?

    Caffier: Zunächst einmal ist es legitimes Recht jeden Bürgers, seine Meinung dazu zum Ausdruck zu bringen. Die Problematik, in der wir uns derzeit befinden, ist, dass die Diskussion um die Laufzeitverlängerung den Castor-Transport überlagert. Das heißt, es wird an und für sich über eine andere Sache diskutiert und wir sind insofern hier vor Ort die Leidtragenden, dass im Rahmen des Transportes dieser große Aufwand notwendig ist, denn wir hatten ja in den zurückliegenden Jahren auch schon Transporte und die waren nicht so aufwendig wie diesmal. Deswegen ist das eine Entscheidung, die hat der MP so getroffen für sich, wie er sie getroffen hat, und ich habe das genau so zu akzeptieren, wie er meine Haltung zur Frage der Laufzeitverlängerung zu akzeptieren hat. Das erschwert aber hier die Koalitionsregierung in keiner Weise.

    Herter: Sie verstehen sich trotzdem. – Das Lager bei Lubmin – das wollen wir nicht vergessen – ist ein Zwischenlager. Wann glauben Sie werden Sie den Müll wieder los?

    Caffier: Sie wissen, dass er bis maximal 2039 weg sein muss. Wir hoffen alle – aber das hoffen hier schon viele und seit vielen Jahren -, dass das Endlager nun auch mal endlich seiner Bestimmung zugeführt werden kann.

    Herter: Nach einem Transport im nächsten Jahr werden die Kapazitäten erschöpft sein. Würden Sie sich einem Ausbau des Zwischenlagers in den Weg stellen?

    Caffier: Also zunächst ist es ja so, dass die Forschungskapazität jetzt erschöpft ist, und somit gilt die Regelung, gewerbliche stark strahlende Stoffe, also Brennstäbe, nur aus Reinsberg und Greifswald, und insofern glaube ich nicht, dass ein Ausbau in den nächsten Jahren erst mal genehmigungsfähig ist, und zum anderen wird man natürlich da versuchen, auch unsere Mittel und Möglichkeiten zum Einsatz zu bringen, dass das der gesetzlichen Regelung dann widersprechen würde.

    Herter: Der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Lorenz Caffier, über den Castor-Transport ins Zwischenlager Nord in der Nähe von Lubmin. Vielen Dank für das Gespräch.

    Caffier: Ebenfalls! Ihnen einen schönen Tag.

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