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"Wir wollen alle in die Verantwortung nehmen"

Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler hat die Lastenverteilung in der Gesundheitsreform als ein gerechtes Verfahren bezeichnet. Dank der Zweiprozentklausel soll es im nächsten Jahr auch keine Beitragserhöhung geben. Rösler will auch die Ausgabenseite unter die Lupe nehmen.

Philipp Rösler im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Tobias Armbrüster: Am Telefon bin ich jetzt mit dem Bundesgesundheitsminister verbunden, mit Philipp Rösler. Schönen guten Morgen, Herr Rösler.

    Philipp Rösler: Guten Morgen, Herr Armbrüster. Moin und hallo!

    Armbrüster: Herr Rösler, erleben wir da gerade einen weiteren Zickenkrieg im Kabinett?

    Rösler: Nein, das kann man ganz gelassen sehen. Das Bundeskabinett hat gemeinsam den Einstieg in diese Reform beschlossen. Jetzt geht es in das parlamentarische Verfahren. Sicherlich wird es an der einen oder anderen Stelle noch Änderungen geben, aber die Grundrichtung, die wird mit Sicherheit so bleiben.

    Armbrüster: Wie erklären Sie sich dann die Kritik von dem Kollegen Söder?

    Rösler: Ein neues Verfahren, ein komplexes Verfahren, aber es bleibt dabei: Es ist für den Versicherten, für die Menschen ganz automatisch. Das heißt, niemand muss prüfen, ist er überfordert, ja oder nein, und niemand muss einen Antrag stellen. Das ist ein deutlich besseres Verfahren als heute. Heute müssen sie selber prüfen und gegebenenfalls einen Antrag stellen und die Beweislast liegt bei ihnen. All das wird verbessert, also für die Versicherten automatisch und unbürokratisch.

    Armbrüster: Und all das hat die CSU noch nicht verstanden?

    Rösler: Das haben wir gemeinsam diskutiert, wir haben ja auch mit den Koalitionsfraktionen, CDU/CSU und FDP, gesprochen und gemeinsam haben wir diesen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht.

    Armbrüster: Wie viele Lobbyisten haben denn daran mitgeschrieben?

    Rösler: Es haben keine Lobbyisten daran mitgeschrieben, im Gegenteil. Es ist ja nicht nur der Einstieg in ein neues Finanzierungssystem, sondern auch ein Sparpaket kurzfristig für das nächste Jahr geplant, und da werden alle Beteiligten in Verantwortung genommen, gerade die Beteiligten im System, Ärzte, Apotheker, Zahnärzte, Krankenhäuser, Krankenkassen und natürlich auch die Pharmaindustrie.

    Armbrüster: Aber es fällt auf, dass vor allem die Ärzte und die privaten Krankenkassen dabei gut wegkommen. Warum haben Sie die Lasten so ungleich verteilt?

    Rösler: Das stimmt nicht. Die Zahlen sprechen da eine andere Sprache. Die Wechselfrist führt wo möglich zu Mehreinnahmen bei den privaten Krankenversicherungen, aber wenn, dann höchstens in einem dreistelligen Millionenbereich, während die gesetzlichen Krankenversicherungen elf Milliarden Euro nächstes Jahr bekommen, oder bis zu elf Milliarden Euro, was zwingend notwendig ist, denn wir haben ein Milliardendefizit zu erwarten. Wenn wir nichts täten, würde das System gegen die Wand fahren, und wir retten im Prinzip die gesetzlichen Krankenversicherungen für das nächste Jahr und für die Folgejahre.

    Armbrüster: Aber den Großteil dieser elf Milliarden, den zahlen die Arbeitnehmer?

    Rösler: Und die Arbeitgeber, gemeinsam mit den Leistungserbringern. Ich glaube, wir haben ein sehr gerechtes Verfahren: Drei Milliarden Arbeitnehmer, drei Milliarden Arbeitgeber, 3,5 Milliarden Euro die Leistungserbringer, und es gibt auch noch zwei Milliarden Euro Steuergelder. So teilt sich das im Prinzip auf, denn wir wollten alle in Verantwortung nehmen - mit einer einzigen Ausnahme. Wirklich Kranke, also Patientinnen und Patienten, können im nächsten Jahr auch zum Arzt gehen, Leistungen in Anspruch nehmen, ohne dass sie durch Zuzahlungen wie Praxisgebühr oder andere Formen der Zuzahlung belastet werden. Das zeigt die Ausgewogenheit des Sparpaketes.

    Armbrüster: Nun sind die Beitragszahlungen für nächstes Jahr - Sie sagen es - noch gleichmäßig verteilt auf Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Danach zahlen alle zusätzlichen Beiträge dann die Arbeitnehmer alleine. Die Beiträge der Arbeitgeberseite werden eingefroren. Warum?

    Rösler: Jetzt gibt es einen Teufelskreis. Wenn mehr Geld gebraucht wird für Gesundheit aufgrund der demografischen Entwicklung und des technischen Fortschrittes, dann führt das immer zu einer Belastung des Faktors Arbeit, und wir wollten diesen Teufelskreis - mehr Gesundheit kann weniger Beschäftigung bedeuten - diesen Teufelskreis wollen wir durchbrechen, denn es gibt auch keinen inneren Zusammenhang zwischen diesen beiden Punkten.

    Armbrüster: Aber Herr Rösler, was ist denn wichtiger, dass Arbeitskosten ...

    Rösler: Zusätzlich durch die demografische Entwicklung wird das System mehr Geld brauchen und es darf Arbeitsplätze nicht gefährden.

    Armbrüster: Ist es denn wichtiger, dass Arbeitskosten stabil bleiben, oder dass den Arbeitnehmern am Ende mehr Netto vom Brutto bleibt?

    Rösler: Ich glaube, es nützt nichts, wenn sie keinen Arbeitsplatz haben; dann können sie kein Geld verdienen, dann haben sie wenig Netto und auch wenig Brutto. Also insofern ist doch das Entscheidende erst mal, dass wir die Menschen in Arbeit und Beschäftigung bringen. Das hängt mit den Lohnzusatzkosten zusammen. Es ist unstreitig, dass in Deutschland nicht die Löhne zu hoch sind, sondern die Lohnzusatzkosten. Und im Interesse von Wachstum und Beschäftigung brauchen wir eine stärkere Entkoppelung, zumal im Übrigen auch diese bisherige sehr enge Ankoppelung die Krisenanfälligkeit des Systems ausmacht, wie wir sie im Jahre 2008/2009 erleben mussten, denn die große Schuldenlast, die wir im nächsten Jahr zu stemmen haben, resultiert eben aus den Mindereinnahmen gerade aus diesen beiden Krisenjahren.

    Armbrüster: Wer künftig mehr als zwei Prozent seines Einkommens an Zusatzbeiträgen zahlt, der soll einen Sozialausgleich erhalten. So sieht es die Reform vor. Wie lange wird es bei dieser Zweiprozentmarke bleiben, oder könnten das bald auch drei oder vier Prozent sein?

    Rösler: Davon gehen wir nicht aus. Wir müssten uns dann allerdings unterhalten über den steuerlichen Bundeszuschuss. Das ist jetzt auch schon im Gesetz vorgesehen. Denn das Ziel ist es, diesen Sozialausgleich aus Steuermitteln zu finanzieren. Das ist wesentlich gerechter, denn dann beteiligt sich jeder an dem Sozialausgleich, auch die höheren Einkommen, vor allem aber auch die privat Versicherten, denn bisher ist es ja so, dass die Solidarität zwischen Arm und Reich in der gesetzlichen Krankenversicherung nur zwischen gesetzlich Versicherten stattfindet, und wir wollen durch Steuermittel dafür sorgen, dass auch die höheren Einkommen und eben privat Versicherte sich an dem Sozialausgleich finanziell beteiligen. Das ist durch den steuerlichen Sozialausgleich künftig sichergestellt.

    Armbrüster: Aber es könnte durchaus sein, dass Sie die Messlatte höher legen und dass wir irgendwann auch drei oder vier Prozent zahlen können?

    Rösler: Wir haben jetzt im nächsten Jahr erst mal durch den Ausgleich gar keine Zusatzbeiträge zu erwarten. Der durchschnittliche Zusatzbeitrag wird voraussichtlich bei null Euro liegen. Es wird damit keine zusätzlichen Zusatzbeiträge im nächsten Jahr geben. Das ist, glaube ich, das ganz Wichtige, dass niemand doppelt belastet wird. In den Folgejahren wird der Zusatzbeitrag je nach Einnahme- und Ausgabesituation dann ansteigen. Aber es wird bei der Zwei Prozent-Klausel bleiben.

    Armbrüster: Wo wollen Sie denn die Steuergelder herbekommen, die für diesen Sozialausgleich benötigt werden?

    Rösler: Wir bekommen jetzt für das Jahr 2011 einen steuerlichen Bundeszuschuss in Höhe von zwei Milliarden Euro. Den werden wir in die Liquiditätsreserve einstellen, technisch einstellen, aber es sind natürlich Steuergelder, und der steht dann für den steuerlichen Sozialausgleich zur Verfügung. Wie gesagt, im Jahre 2011 wird es keine Zusatzbeiträge geben voraussichtlich, also auch kein Sozialausgleich notwendig werden, aber 2012, 2013. Dafür haben wir dann die zwei Milliarden Euro. Und im Gesetz steht dann, dass künftig dann dauerhaft ab 2014 festgelegt werden muss, wie viel Steuergelder zum Sozialausgleich dann in das System fließen, denn wie gesagt, es soll eben solidarischer und gerechter und gleichzeitig nachhaltiger werden.

    Armbrüster: Herr Rösler, wir reden jetzt die ganze Zeit nur über die Einnahmen der Krankenkassen. Warum fällt es eigentlich so schwer, die Ausgaben zu begrenzen?

    Rösler: Ich bin Ihnen sehr dankbar. Das ist nur die eine Seite der Reform. Wir haben die Einnahmen für nächstes Jahr kurzfristig stabilisiert und langfristig auf solide Beine gestellt.

    Armbrüster: Aber die Ausgaben können Sie nicht kappen?

    die Kassen kriegen die Beitragsautonomie zurück, sie können wieder selber den Preis bestimmenRösler: Und jetzt geht es an die Reformen im System, denn wir wollen ja nicht nur
    die Einnahmen stabilisieren, die Leute sollen bezahlen, sondern wir müssen die Ausgaben auch besser in den Griff kriegen. Dafür brauchen wir mehr Wettbewerb. Künftig gibt es den wieder, die Kassen kriegen die Beitragsautonomie zurück, sie können wieder selber den Preis bestimmen. Die Menschen können, wenn ihnen das Preis-Leistungs-Verhältnis bei ihrer Kasse nicht gefällt, die Kasse wechseln. Das ist wieder der Einstieg in den Wettbewerb. Und so brauchen wir viele weitere Elemente, weg aus den planwirtschaftlichen Strukturen, hin zu mehr Wettbewerb, damit in der Tat die Kosten nicht so stark ansteigen, wie das in den letzten Jahren leider der Fall gewesen ist.

    Armbrüster: Aber es fällt doch deutlich auf, Herr Rösler: Auf die Arbeitnehmer kommen höhere Kosten zu, während beispielsweise die Arzthonorare weiter steigen.

    Rösler: Zunächst einmal gab es eine Honorarreform noch in der Großen Koalition. Wir erleben jetzt gerade noch die letzten Ausläufer. Da wurden Honorarsteigerungen, die unterblieben sind, aus den letzten Jahren, vielleicht sogar Jahrzehnten nachgeholt. Deswegen gibt es jetzt nach wie vor auch noch Steigerungen. Ich halte das auch für gerechtfertigt, denn wir erleben ja gerade, dass wir im ländlichen Raum erhebliche Versorgungsprobleme schon heute haben. Das ist auch, aber nicht nur eine Frage der Honorierung, der Vergütung. Und trotzdem werden die Leistungserbringer immerhin mit einem Sparpaket - ich kann es nur noch mal wiederholen - mit dreieinhalb Milliarden Euro belastet. Insofern trägt jeder seinen Teil zu den zu erwartenden elf Milliarden Euro mit bei.

    Armbrüster: Muss es denn sein, dass in deutschen Krankenhäusern ein Viertel aller Betten leer ist?

    Rösler: Wir würden uns gerne eine andere Krankenhausfinanzierung vorstellen, aber bisher haben wir eine sogenannte duale Finanzierung.

    Armbrüster: Na ja, hier geht es ja nicht so sehr um die Finanzierung, sondern um Verschwendung von Geldern.

    Rösler: Es muss Ihnen aber um die Finanzierung gehen. Wenn Sie die Probleme lösen wollen, muss man sich schon seriöserweise die Strukturen ansehen, und wenn Sie Wettbewerb in die Krankenhauslandschaft hineinbekommen wollen, dann muss man erkennen, dass aufgrund der jetzigen Finanzierungslage, die eben zweigeteilt ist, durch die Länder und durch den Bund, es gar nicht möglich ist, dort zu einem Wettbewerb zu kommen, denn die Länder entscheiden, wo welches Krankenhaus entsteht, wo Investitionskosten getätigt werden und wo nicht. Das heißt, wir können gar keinen Einfluss ausüben, wie viele Krankenhäuser an welcher Stelle es gibt, jedenfalls nicht von Seiten des Bundes aus.

    Armbrüster: Hier bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Philipp Rösler, der Bundesgesundheitsminister. Vielen Dank für das Gespräch.

    Rösler: Ich danke Ihnen. Tschüss!