Archiv


"Wir wollen keinen Staat ausrufen, wir machen ihn jetzt einfach"

Israelis und Palästinenser verhandeln wieder indirekt miteinander über das Dauerthema Zwei-Staaten-Lösung. In der Westbank schaffen die Palästinenser dagegen staatsgleiche Tatsachen - eine Frage des Stolzes, sagt Rupert Neudeck vor Ort.

    Friedbert Meurer: Israelis und Palästinenser verhandeln wieder miteinander, allerdings nicht direkt, nur indirekt über den US-Vermittler George Mitchell. Aber immerhin! Verhandlungen heißt in dem Fall allerdings, dass Gaza außen vor bleibt, denn dort hat die Hamas die Kontrolle. Die Palästinenser auf der Westbank hoffen auf wirtschaftliche Fortschritte, auch in Beit Jala, eine palästinensische Stadt ganz nahe bei Bethlehem. Dort bin ich verbunden mit Rupert Neudeck, dem Vorsitzenden der Hilfsorganisation Grünhelme. Guten Morgen, Herr Neudeck.

    Rupert Neudeck: Guten Morgen, Herr Meurer!

    Meurer: Was sind denn so Ihre Eindrücke, wie die Palästinenser in Beit Jala ihren Alltag organisiert bekommen?

    Neudeck: Sie versuchen jetzt eine neue Methode, eine Methode mit dem sogenannten Premierminister Fayad, der sagt, wir wollen keinen Staat ausrufen, wir machen ihn jetzt einfach, wir setzen Tatsachen auf den Boden, das heißt wir bauen eben diese eine Stadt, von der sie gesprochen haben, Rabawi - die liegt neun Kilometer nördlich von Ramallah -, wir versuchen, die Institutionen aufzubauen, wir versuchen, das zivile Leben so zu organisieren, damit es klappt, wir machen das alles und wir kümmern uns nicht darum, was die westliche Staatengemeinschaft, was das Quartett der großen Mächte darüber sagt, sondern wir machen das. Natürlich ist diese Politik davon abhängig, dass sie irgendwann belohnt wird von der internationalen Gemeinschaft, und das ist eben die große Frage. Aber der Fayad, dieser Premierminister, dieser sogenannte Premierminister, der hat einen großen Einfluss, weil er ein ehemaliger Weltbankfunktionär ist, das heißt ein Fachmann, und der kann eben hier auch die Wirtschaft wirklich auf Vordermann bringen. Ich denke, das gibt neue Hoffnung. Nur diese neue Hoffnung – das war ja in der Geschichte von Palästina, Israel schon oft – muss eben dann auch von der internationalen Gemeinschaft in Bezug auf das Ende der Besatzung und auf ein autonomes zweites - -

    (Telefonverbindung reißt ab)

    Meurer: Die Verbindung zur palästinensischen Stadt Beit Jala steht wieder. – Rupert Neudeck, wie müssen wir uns das vorstellen, einfach einen Staat auszurufen und zu gründen?

    Neudeck: Ja, eben nicht aufzurufen. Das war ja schon der Fehler der demonstrativen Politik von Arafat gewesen. Das war immer wieder so, dass mit symbolischen Aktionen eine Realität geschaffen werden soll. Der Fayad versucht es umgekehrt, er versucht es von unten, er versucht, die Leute zu aktivieren, ihnen den Stolz zu geben, dass sie selbst etwas tun, dass sie selbst die Institutionen bauen, dass sie selbst die Krankenhäuser und die Schulen entwickeln. Wir sind hier dabei, auch ein Berufsausbildungszentrum zu machen, wo wir natürlich dann die Erlaubnis der israelischen Militärbehörde brauchen, aber immerhin: Die deutsche Bundesregierung sympathisiert damit, weil das das alles Entscheidende ist. Die jungen Palästinenser brauchen eine Ausbildung, sie brauchen nicht nur eine Schulausbildung, sie brauchen auch eine Berufsausbildung, sonst werden sie eine Heloten-Armee hier im arabischen, nahöstlichen Raum bleiben. Das ist das alles Entscheidende. So will Fayad, der sogenannte Premierminister, eben sein neues Land organisieren.

    Meurer: Sie sprechen die Bildung an, Herr Neudeck. Sie sind im Moment in einer christlichen Schule in Beit Jala, die auch von Deutschland unterstützt wird. Was ist das für eine Schule?

    Neudeck: Das ist wahrscheinlich die beste Schule, die man sich hier vorstellen kann für Palästinenser, weil sie eben von deutscher Seite als deutsche Auslandsschule auch genügend Unterstützung hat, ihre Autonomie, ihre Autarkie hat, von Palästina anerkannt ist. Das ist an der Grenze zwischen Israel und Palästina praktisch hier. Die Schule heißt Talitha Kumi - das ist eine uralte deutsche evangelische Kirchenentwicklung hier gewesen – und ist wahrscheinlich das beste Institut, auf dem junge Schülerinnen und Schüler in Palästina ihre Ausbildung bekommen können, eine riesengroße Entwicklung und die Minister der deutschen Bundesregierung, auch der Bundespräsident, sind hier immer gewesen, um sich das anzusehen. Von hier aus hat man einen sehr guten Überblick über die geopolitische Situation, weil von hier aus, von dem Dach dieser Schule aus kann man auch erkennen, wie eben dieser Siedlungsbau, der ja ein Friedensverhinderungsbau ist, hier weitergehen kann in Ost-Jerusalem. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, den die deutsche Bundesregierung sehr stark unterstützt, und das finden wir hier alle sehr gut.

    Meurer: Ein wichtiger Punkt, Herr Neudeck, ist die wirtschaftliche Situation auf der Westbank. Wovon leben die Menschen in Beit Jala?

    Neudeck: Die Haupteinnahmequelle ist weiter leider nur die Landwirtschaft, und das auch nur bedingt. Ich denke, man muss davon ausgehen, dass man immer noch davon sprechen kann, der Staat hat deshalb auch keine Grundlage, weil er auf Pump lebt. Er lebt eigentlich von allen guten Gaben, die die Europäische Union, die die Weltbank, die der Internationale Währungsfonds, die UNO hier hineinsteckt, auch private Organisationen, die Kirchen. Alles das bedingt, dass der Staat, der sogenannte Staat hier weiter leben kann, aber er hat noch nicht das, was man eine gut ausgebildete Subsistenz nennt, durch eigene Produktion. Das wäre jetzt der große Trumpf des ehemaligen Weltbankmanagers Fayad, dass er das hier schafft, eine eigene Produktion mit eigenen produzierenden Elementen wie zum Beispiel erneuerbaren Energien. Das wäre etwas, was dieses Land hier dringlichst braucht, weil es muss ja irgendwann auf eigenen Füßen stehen, sonst wird es nicht geschafft werden, den eigenen Staat zu machen.

    Meurer: Israelis und Palästinenser nehmen indirekte Gespräche miteinander auf und zur Situation in Beit Jala sprach ich mit Rupert Neudeck von der Organisation Grünhelme. Herr Neudeck, danke schön, auf Wiederhören.

    Neudeck: Auf Wiederhören!