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"Wir wünschen uns ein pluralistisches, demokratisches Ägypten"

Der Abtritt Hosni Mubaraks sei "eines der großen Ereignisse für die gesamte Weltgeschichte", sagt Ramzy Ezzeldin Ramzy - und vertraut für die Zukunft auf die Unterstützung seines Volkes durch das Militär.

    Dirk Müller: Freitag in der vergangenen Woche, ein historischer Tag für Ägypten, für das ägyptische Volk, das den Weg der Freiheit gewählt hat und damit auch Ägypten verändert hat. So hat Barack Obama in Washington den Abgang von Husni Mubarak kommentiert. Nun kümmert sich der Militärrat um die weiteren Geschicke des Landes. Die Generäle wollen und sollen den friedlichen Übergang sicherstellen. – Wir hatten vor der Sendung Gelegenheit, mit dem ägyptischen Botschafter in Berlin über die Entwicklung am Nil zu sprechen, mit Ramzy Ezzeldin Ramzy. Meine erste Frage: Haben Sie, Herr Botschafter, auch den Rücktritt von Husni Mubarak gefeiert?

    Ramzy Ezzeldin Ramzy: Ich habe mit den Botschaftsmitarbeitern gefeiert und zusammen mit dem ganzen ägyptischen Volk, als diese Revolution geschah. Sie ist ein großes Ereignis nicht nur für Ägypten und die Region, sondern, wie Sie es richtig gesagt haben, es ist eines der großen Ereignisse für die gesamte Weltgeschichte.

    Müller: Also auch aus Ihrer Sicht war der Amtsverzicht dringend erforderlich?

    Ramzy: Ägypten musste nach vorne gehen. Wenn dieses Ereignis notwendig war, dann musste es eben auch so geschehen.

    Müller: Haben Sie in Richtung Kairo signalisiert, dass die Ära Mubarak zu Ende gehen muss?

    Ramzy: Menschen, die mich kennen, wissen, wie ich die Lage gesehen habe, und ich war ja keineswegs der Einzige, der es so gesehen hatte. Dieser Wandel war unausweichlich und er müsste eher heute als morgen geschehen.

    Müller: Was war alles schlecht in Ägypten?

    Ramzy: Ägypten ist ja jetzt ein offenes Buch. Über viele Jahre hin gab es nicht die Demokratie, die man sich wünschen konnte. Für viele Jahre fehlten die Rechte, die das ägyptische Volk gebraucht hätte, um die politischen Ansprüche wahr zu machen, insbesondere im Bereich Meinungsfreiheit. Wir standen zwar besser da als die meisten anderen Länder in der Region, aber es reichte eben nicht aus. Wir brauchten mehr, um unsere Bürgerrechte wahrzunehmen. Das zweite Problem war die Ungerechtigkeit, die Ungleichheit in der Einkommensverteilung und aus diesen beiden Hauptgründen musste diese Revolution geradezu geschehen.

    Müller: War Ägypten eine Militärdiktatur?

    Ramzy: Nun, das sollen die Politikwissenschaftler entscheiden. Wir haben sicherlich seit 1952 in verschiedenen Formen eine Herrschaft des Militärs gehabt, aber nicht eine Militärdiktatur im klassischen Sinne. Wir hatten eine lebendige Zivilgesellschaft und Mubarak, der selbst ehemaliger Offizier ist, hat nicht über die Militärs, sondern über Zivilbeamte regiert.

    Müller: 30 Jahre Ausnahmezustand, für Sie kein klares Zeichen für eine Diktatur?

    Ramzy: Nun, wie ich schon sagte: Das sollen die Politikwissenschaftler entscheiden. Ein Notstand ist nicht notwendigerweise eine Militärdiktatur. Notstand bedeutet ein außergewöhnlicher Zustand des Staates. Dieser Notstand hätte aufgehoben werden müssen. Er wird auch aufgehoben werden, sobald sich die Situation wieder stabilisiert hat.

    Müller: Sind Sie, Herr Botschafter, Teil des alten Regimes?

    Ramzy: Ich habe stets mein Land vertreten und ich werde es auch weiterhin vertreten. Ägypten erlebt tatsächlich jetzt eine Revolution. Diese ist auch noch weiter im Gange. Wir hoffen, dass sich die ganze Lage hin zu einem natürlichen Zustand entwickelt, den wir wünschen, nämlich Ägypten als ein pluralistisches, demokratisches und freies Land. Darauf arbeiten wir alle hin und ich bin zuversichtlich, wir werden das auch schaffen.

    Müller: Also sind Sie ein Vertreter des neuen Systems?

    Ramzy: Ich bin nicht der Einzige, der diesem Land dient und weiterhin dienen wird. Es gibt Millionen von Staatsbediensteten, die in der Vergangenheit, in der Gegenwart diesem Lande dienen und die das auch in der Zukunft machen werden. Wir wünschen uns ein pluralistisches, demokratisches Ägypten. Das ist es, worauf wir hinarbeiten, und das ist es, was wir auch erhalten werden.

    Müller: Was wissen Sie über die europäischen Bankkonten von Husni Mubarak?

    Ramzy: Darüber bin ich nicht im Bilde. Ich habe aus Ägypten Anweisungen bekommen, die ich auch sofort an die Bundesregierung weitergeleitet habe, wonach bestimmte Konten von hohen Staatsbediensteten einzufrieren sind. Darüber hinaus kann ich nichts sagen.

    Müller: Gibt es andere Konten in Deutschland?

    Ramzy: Das wissen wir nicht. Wir haben nur entsprechende Bitten an die deutsche Regierung und an andere Länder gerichtet, falls es solche Konten von hohen Staatsbediensteten geben sollte, sollten sie eingefroren werden. Das betrifft aber nur hohe Staatsbeamte, nicht den Präsidenten Mubarak selbst.

    Müller: Also wissen Sie nichts über andere Konten?

    Ramzy: Überhaupt nicht!

    Müller: Herr Botschafter, es gibt viele Spekulationen. Ist Husni Mubarak immer noch in Sharm el-Sheikh?

    Ramzy: Nun, nach Auskunft des Premierministers ist das so, dass bis zum gestrigen Tag Präsident Mubarak sich in Sharm el-Sheikh aufhält.

    Müller: Und er kann dort in den nächsten Jahren bleiben?

    Ramzy: Die Entscheidung darüber liegt bei ihm und beim ägyptischen Volk. Ich sehe keinen Hinderungsgrund, weshalb er nicht in Ägypten weiter als ehemaliger Präsident leben sollte. Er hat es klar gesagt, dass er in Ägypten weiter zu leben und auch zu sterben wünscht, und die Entscheidung darüber liegt letztlich beim ägyptischen Volk.

    Müller: Sind die Militärs Garant für einen demokratischen Übergang?

    Ramzy: Sie haben sich diesem Ziel verpflichtet. Die Ägypter haben einen Vorgeschmack der Freiheit erhalten und sie werden diese Freiheit sicherlich auch voll auskosten wollen. Die Militärs haben sich tatsächlich in den Dienst dieser Sache gestellt und ich bin überzeugt, sie werden ihr Wort halten. Sie haben zugesagt, dass innerhalb von sechs Monaten demokratische Wahlen stattfinden werden und dass sie dann der demokratisch gewählten Regierung Ägyptens die Macht übergeben werden.

    Müller: Was macht Sie dabei so sicher?

    Ramzy: Ich bin zuversichtlich, weil wir es mit einer professionellen Armee zu tun haben. Wir stehen schließlich im 21. Jahrhundert. Oftmals wird an das Jahr 1952 in Ägypten zurückgedacht, als das Militär die Macht übernahm, die Revolution selbst ins Werk setzte, auch wenn andere das manchmal anders berichten. Dieses Mal ist es anders, das Volk selbst hat die Regierung gestürzt, die Revolution wurde vom Volk in die Hand genommen. Das Militär hat schützend vor dem Volk gestanden, um eine Gegenrevolution zu verhindern, es hat also eine sehr positive Rolle gespielt. Das Volk hat die Macht übernommen und das Militär unterstützt das Volk dabei.

    Müller: Braucht der Militärrat neue Gesichter?

    Ramzy: Nun, das müssen sie selbst entscheiden. Sie haben bisher mit prominenten Ägyptern aus allen Schichten des Volkes gesprochen. Bisher haben sie auf sehr klug abwägende Art gehandelt. Sie haben ihre Zusagen eingehalten und werden auch weiterhin, davon bin ich überzeugt, ihre Versprechungen wahr machen. Es ist noch viel zu tun und sie werden das auch tun.

    Müller: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind die alten Generäle, die Mubarak ja unterstützt haben, nun in der Lage, Demokratie zu ermöglichen?

    Ramzy: Sie haben ein starkes Berufsethos und werden als professionelle Kräfte handeln, wie es ihnen vom Oberbefehlshaber aufgetragen wird. Das gilt auch für sehr viele andere Menschen in Ägypten, die als Nationalisten aufgetreten sind, die aber jetzt sicherlich nicht zögern werden, den Wünschen des Volkes zu entsprechen, des Volkes, das Freiheit und Demokratie wünscht. Daran hege ich keinen Zweifel.

    Müller: Wie stark sind die Muslimbrüder?

    Ramzy: Nun, das konnte man an den Bildern vom Tahrir-Platz sehen. Ich glaube, vielfach wurde die Stärke und auch die Macht der Muslimbruderschaft übertrieben. Sie sind sicherlich eine wichtige Kraft, aber keineswegs die Mehrheit. Sie sind sogar weit entfernt davon, die Mehrheit zu stellen.

    Müller: Sehen Sie auch moderate Kräfte bei den Muslimbrüdern?

    Ramzy: Nun, sie haben über Jahre hinweg im Untergrund gearbeitet. Wenn Organisationen im Untergrund arbeiten, halten sie sehr eng zusammen. Sie haben angekündigt, dass sie eine politische Partei gründen wollten, selbstverständlich nicht als religiös begründete Partei, das ist in Ägypten nicht möglich. Aber ich denke, sobald eine solche Organisation ans Tageslicht tritt, werden innere Spaltungen offenbar werden, etwa zwischen den Generationen. Wir werden dann, sobald eine politische Partei gegründet ist, die Muslimbruderschaft als eine ganz andere Organisation erleben, als sie jetzt ist.

    Müller: Werden Sie Botschafter bleiben?

    Ramzy: Diese Entscheidung liegt bei der Regierung. Ich werde meinem Land dienen in jeder Eigenschaft, die die Regierung mir vorsieht.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der ägyptische Botschafter in Berlin, Ramzy Ezzeldin Ramzy.

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