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Wirtschaftswunder
Portugal: Erfolgsmodell mit Einschränkung

Portugal hat seine Arbeitslosenzahlen in den vergangenen vier Jahren fast halbiert und die Wirtschaft wächst. Der Erfolg eines Landes, das auf Investitionen statt auf Sparpolitik setzt - meinen die einen. Andere weisen auf die prekären Beschäftigungsverhältnisse hin.

Von Tilo Wagner | 30.05.2017
    Lissabons Einkaufsstrasse Rua Auguasta
    In Portugal ist die Arbeitslosenquote innerhalb von vier Jahren von zwischenzeitlich fast achtzehn auf heute rund zehn Prozent gesunken. (imago / Travel-Stock-Image)
    Das Schicksal von Nuno Mendes steht beispielhaft für eine ganze Generation in Portugal: Ende Dreißig, Master-Abschluss und immer noch keinen festen Job. Mendes war arbeitslos, wanderte auf dem Höhepunkt der Finanz- und Wirtschaftskrise kurzfristig nach Angola aus und arbeitet nun als Stipendiat in der Verwaltung eines staatlichen Lissabonner Forschungsinstitutes. Sein Stipendium läuft im August aus.
    "Ich habe keine Kinder, ich lebe mit meiner Freundin zusammen und wir wollen gerade eine Wohnung kaufen, aber das muss alles auf ihren Namen laufen, weil mir als Stipendiat keine Bank einen Kredit gibt. Ich hätte gerne Kinder und eine gewisse Planungssicherheit, aber die äußeren Bedingungen lassen das nicht zu: Mein Leben ist seit zehn bis fünfzehn Jahren komplett eingefroren."
    Noch haben viele keine festen Verträge - Regierung will gegensteuern
    Neben Mendes arbeiten in dem Forschungsinstitut noch weitere neunzehn Stipendiaten, die insgesamt mehr als die Hälfte des Verwaltungspersonals ausmachen. Das Ganze sei eine Milchmädchenrechnung, sagt Nuno Mendes, nur damit die Politiker in Lissabon und Brüssel erklären können, dass der portugiesische Verwaltungsapparat geschrumpft sei.
    Tatsächlich verfügen mittlerweile rund 116.000 Mitarbeiter des portugiesischen Staates über keine festen Verträge mehr. Diesen Wildwuchs in den öffentlichen Beschäftigungsverhältnissen will die sozialistische Regierung nun schrittweise beseitigen: Bis Ende Juni können sich Mitarbeiter wie Nuno Mendes registrieren lassen und die Hoffnung hegen, dass ihr berufliches Leben in Zukunft mehr Stabilität erfährt.
    Das Programm ist auch ein Verdienst der kleineren radikaleren Linksparteien, die die sozialistische Minderheitsregierung im Parlament stützen. João Galamba, Vizefraktionsvorsitzende der Sozialisten im portugiesischen Parlament, glaubt, dass die Regierung damit auch ein wichtiges Zeichen setzen werde:
    "Der Staat kann ja nicht von der Wirtschaft verlangen, bessere Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen, und gleichzeitig selbst nur auf unsichere Jobs bauen. Das jetzt gestartete Programm stärkt auch die Autorität des Staates, um den Arbeitsmarkt besser zu kontrollieren."
    Investitionen statt Austeritäts- und Sparpolitik
    In Portugal ist die Arbeitslosenquote innerhalb von vier Jahren von zwischenzeitlich fast achtzehn auf heute rund zehn Prozent gesunken. Für den Sozialisten João Galamba ist dieser Erfolg das Ergebnis einer Reihe politischer Entscheidungen: Verschuldete Unternehmen wurden mit Kapital ausgestattet, Renten- und Einkommenskürzungen aus den Krisenjahren wurden wieder zurückgenommen. Genauso so wichtig, so Galamba, sei jedoch eine ganz allgemeine Veränderung gewesen:
    "Ich glaube, wir haben den Leuten einen gewissen Optimismus zurückgegeben. Die vorherige Regierung hat sich sehr auf einen Diskurs beschränkt, in dem eine Opferbereitschaft verlangt wurde, zum Beispiel bei den Einkommen und Renten, und in dem immer wieder auf mögliche Gefahren und Risiken hinwiesen wurde. Wir dagegen wollten das Vertrauen der Menschen stärken, und der Funke ist auch auf die Unternehmen übergesprungen, die nun viel positiver in die Zukunft schauen."
    Die jüngsten Entwicklungen scheinen der sozialistischen Minderheitsregierung Recht zu geben: Die Wirtschaft ist im ersten Quartal so stark gewachsen wie seit zehn Jahren nicht mehr und in allen Sektoren gibt es mehr Jobs. Zugpferd bleibt allerdings weiterhin die boomende Tourismusbranche, die viel mehr auf saisonbedingte kurzfristige Arbeitsverhältnisse baut als etwa die Industrie.
    Förderung langfristiger Arbeitsverhältnisse
    Der Anteil der unsicheren Beschäftigungsverhältnisse bei den neu geschaffenen Jobs sei weiterhin sehr hoch, sagt Nuno Carvalhinha, Präsident des Verbandes Kleinerer und Mittlerer Betriebe. Carvalhina glaubt, dass die hohen Abfindungszahlungen, die portugiesische Unternehmen auch nach der Arbeitsmarktreform von 2012 weiterhin zahlen müssen, ein Hindernis seien, um Mitarbeitern langfristige Verträge anzubieten. Der Verbandspräsident räumt jedoch ein, dass die Regierung insgesamt einen guten Job macht, um die unsicheren Arbeitsverhältnisse in Portugal zu reduzieren:
    "Die Regierung hat eine Reihe von Initiativen gestartet, die für die Unternehmen sehr interessant sind, zum Beispiel ein Programm, das die Schaffung langfristiger Arbeitsverhältnisse fördert. Außerdem existieren jetzt spezielle Anreize für Leute, die ihr eigenes Unternehmen gründen wollen. Und ich finde, das ist der richtige Weg."