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Wissenschaftszeitvertragsgesetz
"Noch zu viele Schlupflöcher"

Forscher leben oft in prekären Arbeitsverhältnissen. Das soll sich Ende des Jahres mit der Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes ändern. Andreas Keller von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft begrüßt den Gesetzesentwurf. Er übt allerdings auch Kritik: Immer noch gebe es für Wissenschaftler mit Kindern zu wenig Sicherheit, sagte er im DLF.

Andreas Keller im Gespräch mit Regina Brinkmann |
    Außenansicht eines Universitätsgebäudes bei Nacht mit hellerleuchteten Fenstern, im Vordergrund der Schriftzug "Universität".
    Für Promovierende sollte ein Vertrag mindestens drei Jahre dauern - das fordert die GEW. (dpa / Jens Wolf)
    Regina Brinkmann: An vielen Hochschulen herrscht das Prinzip Hire and Fire - mehr als die Hälfte der Doktoranden haben einen Vertrag mit einer Laufzeit unter einem Jahr. Und wer nach zwölf Jahren, in der Medizin nach 15 Jahren, keine Professorenstelle hat, muss seine Karriere als Wissenschaftler an der Hochschule meistens beenden. So ist es bislang. Schuld daran ist das Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Eine Änderung hatte Bundesbildungsministerin Johanna Wanka schon zu Beginn der Legislaturperiode versprochen, kommen wird sie erst Ende des Jahres. Ihre erste Hürde im Gesetzgebungsverfahren hat die Reform heute im Kabinett genommen. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hat diesen Prozess intensiv begleitet und noch an der einen oder anderen Stelle Korrekturen durchsetzen können. Andreas Keller von der GEW habe ich vor dieser Sendung gefragt, auf welche Änderungswünsche hat sich die Bundesbildungsministerin denn noch eingelassen?
    Andreas Keller: Die Bundesbildungsministerin, die hatte vor der Sommerpause einen Referentenentwurf vorgelegt, wo schon eine ganz Reihe an Forderungen der GEW drin waren. Es waren ansatzweise Mindestlaufzeiten für Zeitverträge enthalten, man hat vor allem auch in das Gesetz hineingeschrieben, dass zur Qualifizierung nur befristet werden darf und nicht mehr, ohne dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Möglichkeit haben, zum Beispiel eine Doktorarbeit zu schreiben. Und nun hat heute das Bundeskabinett einen Entwurf verabschiedet, wo noch mal ein paar Punkte verbessert wurden, die die GEW auch über die Sommerpause kritisiert hatte. Und ein Beispiel dafür ist eben, es ist eine sogenannte behinderungspolitische Komponente ins Gesetz aufgenommen worden, das heißt, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit einer Behinderung oder einer chronischen Erkrankung, deren Arbeitsvertrag kann in Zukunft verlängert werden, auch über die Kurzbefristungsdauer hinaus, die im Gesetz enthalten ist. Ein weiterer Punkt, wo die GEW-Intervention offensichtlich Erfolg hatte, ist das Thema Mindestvertragslaufzeiten. Im Gesetz soll neu hineingeschrieben werden, dass die Dauer eines Arbeitsvertrages sich orientieren muss am Befristungszweck. Also wenn jemand zum Beispiel zur Promotion beschäftigt wird, dann soll sich das orientieren an der Dauer, die man für die Zeit der Promotion braucht. Das ist an sich schon mal ein wichtiger Schritt, diese Regelung war aber bisher als bloße Soll-Bestimmung formuliert, das heißt, ob es wirklich gemacht wird oder nicht, das hätte dann im Einzelfall der Arbeitgeber auch entscheiden können. Wir haben deswegen gesagt, das muss eine verbindliche Muss-Bestimmung werden. Und diese Muss-Bestimmung ist jetzt ins Gesetz aufgenommen worden. Sie ist dennoch nicht wasserdicht. Also ich fürchte, dass findige Universitäten und Hochschulen immer noch eine Lösung finden, die Regelung zu umgehen, und deswegen fordern wir zusätzlich auch eine feste Untergrenze für Arbeitsverträge. Also für Promovierende sollte ein Vertrag mindestens drei Jahre dauern. Das wäre noch eine wichtige zusätzliche Regelung.
    "Viele Stellen wachsweich formuliert"
    Brinkmann: Sie haben es gerade angesprochen, aus Soll ist an manchen Stellen im neuen Gesetzestext ein Muss geworden. Kann man sagen, dass die Bundesregierung den Hochschulen und auch den Wissenschaftsorganisationen ursprünglich ganz bewusst auch Schlupflöcher lassen wollte, auch weil zum Beispiel die Allianz der Wissenschaftsorganisationen zeitweise ja Sturm gelaufen ist gegen die Pläne der Bundesregierung?
    Keller: Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen ist in der Tat Sturm gelaufen. Auf der anderen Seite ist jetzt auch deutlich, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sind dafür verantwortlich, dass gute Forschung und Lehre gemacht werden, auch diese Stimmen wurden gehört. Wir haben jetzt aber in der Tat noch das Problem, dass zu viele Schlupflöcher im Gesetz enthalten sind. Es sind viele Stellen wachsweich formuliert, und auch ganz zentrale Strukturreformen, die wir eigentlich bräuchten, wurden gar nicht angepackt.
    Brinkmann: Welche sind das?
    Keller: Beispielsweise wurde die familienpolitische Komponente nicht verbindlicher ausgestaltet. Da gibt es ein ganz zentrales Problem, was wir als GEW immer thematisiert haben: Wenn eine Wissenschaftlerin oder ein Wissenschaftler in Elternzeit oder in Mutterschutz geht, dann gibt es zwar einen Anspruch auf Vertragsverlängerung auf einer sogenannten Haushaltsstelle, also eine Stelle, die die Uni bezahlt. Aber in einem Drittmittelprojekt, da gibt es diesen Verlängerungsanspruch nicht. Und da kann es also sein, dass eine werdende Mutter aus dem Wochenbett heraus auf die Straße gesetzt wird, wenn ihr Vertrag ausläuft. Und hier fordern wir eine Gleichbehandlung. Das ist leider, obwohl es uns immer in Aussicht gestellt wurde, überhaupt nicht angepackt worden.
    "Arbeitgeber müssen hier in die Verantwortung"
    Brinkmann: Wie müssten denn die Drittmittelgeber jetzt noch eingebunden werden?
    Keller: In dem Moment, wo wir ein Gesetz haben, das bestimmte Rechte den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gibt, dann hätte das auch Auswirkungen. Das heißt, die Drittmittelgeber müssten sich in Zukunft auch Gedanken machen, wie so was aufgefangen werden kann. Wir haben ja Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler typischerweise so im Alter zwischen 25 und 40 Jahren. Da ist es nicht so ganz ungewöhnlich, dass dann auch mal Kinder betreut werden müssen, dass Elternzeit kommt, und dafür müssten Drittmittelgeber mit einem Family Budgeting, wie das neuerdings genannt wird, auch Vorsorge treffen. Aber auch die Hochschulen selbst müssen Vorsorge treffen und entsprechende Fonds bereithalten. Es kann nicht sein, dass die Risiken einer befristeten Beschäftigung eins zu eins nur den Beschäftigten aufgebürdet werden, sondern auch die Arbeitgeber müssen hier in die Verantwortung.
    Brinkmann: Tja, auch im neuen Wissenschaftszeitvertragsgesetz gibt es für Andreas Keller von der GEW also noch viel zu viele Schlupflöcher für die Arbeitgeber und Unwägbarkeiten für Nachwuchswissenschaftler.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.