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Wowereit: Scheitern von "Pro Reli" ist "Sieg für die Gemeinsamkeit"

Klaus Wowereit (SPD), Regierender Bürgermeister Berlins, hält die Ablehnung von Religion als Pflichtfach durch die Bürger seiner Stadt für ein Zeichen der Gemeinsamkeit. Jeder könne jetzt weiter "seinen" Religionsunterricht besuchen und doch mit anderen Konfessionen gemeinsam das Pflichtfach Ethik.

Klaus Wowereit im Gespräch mit Silvia Engels | 27.04.2009
    Silvia Engels: Die große Mehrheit der Berliner genoss gestern den sonnigen Tag, statt am Volksbegehren teilzunehmen, das die Initiative "Pro Reli" durchgesetzt hatte. Es ging um die Stärkung des Religionsunterrichts in der Schule. Derzeit ist er in Berlin nur ein freiwilliges Zusatzfach, während alle Schüler ab der 7. Klasse das Pflichtfach Ethik besuchen, und das wird nach den Ergebnissen auch so bleiben.
    Am Telefon ist der Regierende Bürgermeister von Berlin. Guten Morgen, Klaus Wowereit.

    Klaus Wowereit: Guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Sie waren von Vornherein gegen die Gesetzesänderung. Sind Sie nun auf ganzer Linie zufrieden?

    Wowereit: Ja, ich bin zufrieden. Vor allen Dingen ist das ein Sieg für die Gemeinsamkeit, für den gemeinsamen Werteunterricht für alle Schülerinnen und Schüler, egal ob sie katholisch, protestantisch oder jüdisch oder Moslems sind oder Atheisten sind. Wichtig ist, dass sie gemeinsam über gemeinsame Werte sich austauschen, und das ist der Erfolg. Religion kann als bekennender Religionsunterricht daneben freiwillig gemacht werden wie in der Vergangenheit und das werden wir auch unterstützen.

    Engels: Was erwarten Sie nun von "Pro Reli" und den Kirchen, dass sie das Thema fallen lassen, oder sind Sie bereit, auch über eine andere Form der Stärkung von Religionsunterricht in der Schule weiterzureden?

    Wowereit: Ich denke, man muss unterscheiden zwischen den Kirchen und "Pro Reli". Herr Lehmann hat eine Kampagne gemacht, die ist beendet und er hat eine schallende Ohrfeige bekommen. Die Kirche wird selber diskutieren, ob der Kurs, den vor allen Dingen der Bischof Huber für die Evangelische Kirche in Berlin gesetzt hat, richtig war, diese Polarisierung. Ich glaube, das hat den Kirchen insgesamt geschadet, und wenn man sich anschaut, dass 14 Prozent nur mit ja gestimmt haben, das ist ein Bruchteil derjenigen, die in der Evangelischen Kirche überhaupt Mitglieder sind. Das heißt, es ist vor allen Dingen auch eine innere Auseinandersetzung: Wie gehe ich mit Religion um, wie gehe ich mit dem Religionsunterricht um. Ich glaube, die Debatte muss stärker geführt werden: Warum erreichen es Eltern und die Kirche nicht, ihre Kirchenmitglieder zum bekennenden Religionsunterricht zu bringen. Das ist ihre Aufgabe und die Debatte muss geführt werden.

    Engels: Auffällig ist ja, dass die Berliner in West und Ost sehr unterschiedlich wählten: im Westen stärker für das Schulfach Religion, im Osten schwächer. Zeigt das, wie getrennt die Stadt nach wie vor ist?

    Wowereit: Ich würde nicht sagen, dass die Stadt getrennt ist. Wenn man das Gemeinsame sieht, dann zeigt sich deutlich, dass in der ganzen Stadt es nur in Steglitz/Zehlendorf überhaupt über die 25 Prozent der Ja-Stimmen gekommen ist. Das zeigt auch, dass auch in den Westbezirken es eine Minderheit ist, die "Pro Reli" haben wollte, und zwar eine deutliche Minderheit, auch da, wo man in der Abstimmung mehr Stimmen hatte als Neinstimmen. Das ist das Gemeinsame, aber ansonsten gibt es natürlich in dieser Stadt noch Unterschiede, weil unterschiedliche Erfahrungswerte da sind und auch der Anteil der Kirchenmitglieder ist in den einzelnen Bezirken unterschiedlich.

    Engels: Sogar Bischof Huber sprach eben im Beitrag von einer Kluft in der Stadt, auch mit herbeigeführt durch die zum Teil sehr intensiv geführte Debatte, auch zum Teil sehr scharf geführte Debatte. Sehen Sie langfristig negative Folgen für die Integration von Muslimen und anderen religiös geprägten Gruppen in der Stadt?

    Wowereit: Nein, im Gegenteil. Diese Integration wird ja gestärkt durch den gemeinsamen Ethikunterricht. Das wollte ja die Kirche verhindern. Die Kirche wollte die Schülerinnen und Schüler vor die Alternative stellen: entweder Religion oder Ethik. Wir wollen, dass die Kinder auch beides machen können. Warum soll denn jemand sich entscheiden? Jemand, der bekennender Christ ist, jemand, der bekennender Moslem ist, der soll doch seinen bekennenden Religionsunterricht machen und zusätzlich mit den anderen gemeinsam Ethik. Das ist die Botschaft, die aus diesem Volksentscheid herausgeht. Die Berlinerinnen und Berliner wollen diese Gemeinsamkeit, sie wollen eben nicht diese Eintütung in unterschiedliche Konfessionen oder Lebensauffassungen, sondern deutlich zu machen, wir sind eine Stadt, hier leben Menschen unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlicher Religion, unterschiedlicher Lebensweise, und die haben gemeinsam den Auftrag, die Werte, die eine Gesellschaft ausmachen, auch miteinander zu lernen, zu diskutieren und zu erleben.

    Engels: Sehen Sie da Berlin als möglichen Vorreiter wie auch in anderen Bundesländern Ethik beziehungsweise Religion unterrichtet werden sollte?

    Wowereit: Berlin hat eine eigene Tradition. Wir haben die Möglichkeiten gehabt. Seit 1945 ist hier Religion freiwillig angeboten, mit Unterstützung des Staates. Der Steuerzahler finanziert ja den Religionsunterricht in Berlin und stellt Räume zur Verfügung. Das hat Tradition. In anderen Bundesländern gibt es die andere Tradition und ich glaube, es gibt gar keinen Grund, hier unterschiedliche Traditionen zu verändern. Das war ja auch die Botschaft, die wir ausgesendet haben: Berlin hat eine gute Erfahrung damit gemacht, andere Länder haben andere Erfahrungen gemacht. Wir wollen nicht hier die anderen präjudizieren. Es ist die eigene Entscheidung eines jeden Landes.

    Engels: CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt hat der SPD allerdings generell vorgeworfen, eine religionsunterrichtsfeindliche Politik zu betreiben. Nehmen Sie den Vorwurf an?

    Wowereit: Überhaupt nicht und er lässt sich auch objektiv entkräften. Es ist völliger Blödsinn, was dort erzählt wird, weil die SPD in der gesamten Republik immer ein gutes Verhältnis zu den Kirchen pflegt – nicht nur zu den Protestanten, die uns politisch sicherlich näherstehen als die Katholiken, sondern zu allen. Das geht von der SPD-Spitze im Bund bis in die Länder hinein und wir lassen uns da überhaupt gar nichts einreden. Wir stehen zu den Religionen, wir stehen zu den Kirchen in dieser Stadt. Sie nehmen eine wichtige Aufgabe wahr, und die ist nicht hoch genug zu bewerten. Aber wir müssen auch deutlich machen: Der Staat hat auch das Recht, Werte zu vermitteln, und das wurde infrage gestellt und da musste man sich dagegen wehren.

    Engels: Die Debatte in Berlin ist ja auf bundesweites Interesse gestoßen. Zeigt das, dass generell das Verhältnis zwischen Staat und den christlichen Kirchen neu überdacht werden muss, erst recht, wenn sich immer weniger zum christlichen Glauben bekennen?

    Wowereit: Ja, gut. Das ist wie gesagt eine Auseinandersetzung, die auch die Kirchen mit ihren Gläubigen führen müssen. Wenn die nicht mehr in die Kirche gehen, wenn sie ihre Kinder nicht mehr in den bekennenden Religionsunterricht schicken, dann ist das eine Auseinandersetzung, was läuft da falsch. Das ist eine Fragestellung, die sich die Kirche stellen muss.

    Engels: Hat denn die Kirche vielleicht generell zu viel Rechte in diesem Staat, der sich wandelt?

    Wowereit: Nein, das würde ich so auch nicht sagen. Wir haben Traditionen und diese Traditionen bedeuten, dass der Staat sehr viele Dinge, was mit Kirchen zu tun hat, traditionell auch finanziert. Neben dem Religionsunterricht wird in Berlin ja beispielsweise auch Geld für die Ausbildung gegeben, es wird Geld für Kultur gegeben. Das heißt, es hat eine Tradition. Daran will auch gar keiner rütteln und ich wäre der letzte, der sich darüber freuen würde, wenn bekennende Christen beispielsweise nicht mehr in ihren Religionsunterricht gehen. Die sollen in ihren Religionsunterricht gehen, sie sollen zu ihrer Kirche stehen. Das ist die höchst persönliche Entscheidung eines jeden Menschen, welche Religion er annimmt und welche Religion er ausüben will. Dieses Recht ist aber auch eine Pflicht für die Eltern, dann ihre Kinder im christlichen Glauben auch zu erziehen, und der Staat bietet einen Rahmen dafür, aber die Kirche die Inhalte und die Durchführung.

    Engels: Der Volksentscheid "Pro Reli" in Berlin ist gescheitert. Wir sprachen mit dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit. Vielen Dank für das Gespräch.

    Wowereit: Bitte schön.