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Würdigung Roman Herzogs
"Ein deutscher Patriot und überzeugter Europäer"

Roman Herzog habe zeitlebens seine Stimme erhoben, um sich für die Geltung des Rechts einzusetzen, sagte der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung Hans-Gert Pöttering im DLF. Dabei habe er von seiner "großartigen Fähigkeit" profitiert, seine Einsichten den Menschen in einer verständlichen Sprache zu vermitteln.

Hans-Gert Pöttering im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Alt-Bundespräsident Roman Herzog
    Herzog habe auch an die Eigenverantwortung des Menschen appelliert, sagte der CDU-Politiker Pöttering im DLF. (dpa/picture alliance/Daniel Naupold)
    Sandra Schulz: Durch Deutschland müsse ein Ruck gehen. Das berühmte Zitat von Roman Herzog aus dem Jahr 1997, das haben wir gerade noch mal gehört. Auch zehn Jahre danach mahnte er, das Volk bewege sich nicht. Jetzt ist der frühere Bundespräsident im Alter von 82 Jahren gestorben.
    Kommentatoren hatten Herzogs Amtszeit zum Ende der 90er-Jahre als Glücksfall bezeichnet.
    Am Telefon ist der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, der langjährige frühere Präsident des Europäischen Parlaments, Hans-Gert Pöttering. Schönen guten Tag!
    Hans-Gert Pöttering: Guten Tag, Frau Schulz.
    Schulz: Welche Stimme wird Ihnen künftig fehlen?
    Pöttering: Ja, es ist die Stimme, die sich einsetzt für die Geltung des Rechtes. Roman Herzog - das ergab sich natürlich auch aus seiner Berufsausbildung; er war Juraprofessor, er war Präsident des Bundesverfassungsgerichtes -, er hat an das Recht und an die Geltung des Rechtes geglaubt. Das Recht hat die Macht und nicht die Macht schafft sich das Recht. Das war eigentlich das, was Roman Herzog im Kern auszeichnete, und das bleibt als Mahnung, dass wir das Recht achten in Deutschland, in Europa und in der Welt. Ich glaube, das wäre auch das, was er sich wünschen würde, was wir mitnehmen aus seinem Leben in die Zukunft.
    Schulz: Das sehen Sie auch als ganz aktuellen Bezug auf unsere Terrordiskussion?
    Pöttering: Ich sehe das als einen ganz aktuellen Bezug, dass die Regeln, die der Staat sich gegeben hat - und das sind unsere Gesetze -, eingehalten werden müssen und dass sie nicht zurecht gebogen werden dürfen, dass der Einzelne sich nicht das Recht selber schafft oder eine Gesellschaft sich ausmalt, sondern dass wir von dem ausgehen, was wir selber vereinbart haben, und das sind die Gesetze, wie sie durch die Parlamente in Deutschland, durch den Deutschen Bundestag und den Bundesrat geschaffen wurden. Die Geltung des Rechtes muss auch in einer Demokratie immer Vorrang haben, denn Mehrheiten ändern sich und Mehrheiten - auch das macht ja die Demokratie aus -, Mehrheiten müssen sich an das geltende Recht, an das Grundgesetz, an die Verfassung, an die Gesetze halten.
    Ruck-Rede als Bekenntnis zu Reformen
    Schulz: Die "Ruck"-Rede von Roman Herzog aus dem Jahr 1997, die wird ja schon lange als seine wichtigste Rede gesehen. Er hat sie gehalten, 1997 wie gesagt, kein Jahrzehnt nach der deutschen Wiedervereinigung. Wie kam er denn darauf, dass sich in Deutschland nichts bewege?
    Pöttering: Wir waren ja damals 1997 noch in der Phase, dass die Wiedervereinigung sich verwirklichen musste. Sie war formell rein rechtlich geschehen am 3. Oktober 1990, aber die Teile Deutschlands mussten ja zusammenkommen, der Osten mit dem Westen, und es gab ja noch einen Erkenntnisprozess der Westdeutschen, der Ostdeutschen, wie man zusammenleben will, wie man zusammenleben muss und wie man auch dieses Deutschland in der Zukunft gestaltet, und dazu bedurfte es auch einer Aufforderung. Und das hat ja Roman Herzog so beispielgebend gemacht, dass er die Deutschen aufgefordert hat anzupacken. Er hat von dem Ruck gesprochen, der durch Deutschland gehen müsse.
    Im Grunde genommen war das ja auch ein Bekenntnis zu Reformen, um Deutschland vorzubereiten für die Zukunft in dem Wettbewerb in Europa und in der Welt, und ich glaube, das gilt auch heute und es gilt nicht nur für Deutschland, sondern es gilt für die Europäer insgesamt bei den Herausforderungen, die wir in der Welt haben, wenn Sie nur an die Entwicklung in den Vereinigten Staaten von Amerika, in Russland oder anderswo denken. Wir müssen uns auf uns selbst besinnen und Roman Herzog - das habe ich an ihm immer bewundert - war ein deutscher Patriot und gleichzeitig ein überzeugter Europäer. Er war kein Nationalist, der nur auf Deutschland guckte, sondern er hat immer den Blick geöffnet für die europäischen Zusammenhänge, für die Einheit unseres Kontinents, und das ist das, was bleibt und was der Auftrag für die Zukunft ist, was wir verwirklichen müssen. Die Einheit unseres Kontinents, in dem natürlich dann auch die Mitgliedsstaaten, die einzelnen Nationen ihre Bedeutung behalten.
    Schulz: Jetzt will ich für den kleinen Moment noch bei der Ruck-Rede bleiben wollen und bei der Formulierung, die Roman Herzog da benutzt hat, die ja eigentlich ausgesprochen unpopulär ist, nämlich dass er gesagt hat, wir alle müssen Opfer bringen. Was genau hat er damit gemeint?
    Herzog hat an Eigenverantwortung des Menschen appelliert
    Pöttering: Ja, dass jeder sich anstrengt, und das zeigt eigentlich das ganze Menschenbild, das Roman Herzog hatte, dass er daran glaubt, dass der einzelne Mensch als Person eine Verantwortung hat und dass jeder seinen Beitrag leisten muss für unsere Gesellschaft, für die Weiterentwicklung der Gesellschaft. Jeder ist verantwortlich, zunächst einmal für sich selbst, aber auch für die Gesellschaft, und jeder muss seinen Beitrag leisten und wir dürfen nicht einfach nur darauf hoffen, dass der Staat alles regeln wird. Natürlich hat der Staat eine wichtige Aufgabe, gerade heute in Zeiten des Terrorismus, aber jeder Einzelne muss einen Beitrag leisten und daran hat Roman Herzog appelliert und das zeigt auch sein Vertrauen im Kern in die Menschen, dass der Mensch selber befähigt ist, die Dinge zu regeln beziehungsweise auch weiterzuentwickeln. Das heißt, die Eigenverantwortung des Menschen, die allerdings immer bedeutet, dass der Mensch nicht nur an sich denkt, sondern auch solidarisch handelt gegenüber der Gesellschaft. Das können wir, glaube ich, von Roman Herzog mitnehmen für die Zukunft.
    "Roman Herzog wird immer eine große Ausnahmepersönlichkeit bleiben"
    Schulz: Was ja im Jahr 2017 eine auch durchaus unbequeme Forderung ist. In dieser Rolle hat er sich ja gesehen, als der Unbequeme, als der große Mahner. Er war aber trotzdem während seiner Amtszeit eine der beliebtesten Personen überhaupt aus dem öffentlichen Bereich. Wie passt das zusammen? Ist er da schlichtweg nicht durchgedrungen?
    Pöttering: Ich glaube schon, dass er durchgedrungen ist, denn er war ja, wie Sie selber sagen, Frau Schulz, sehr beliebt, und das zeigt ja, dass die Menschen ihm nicht nur gerne zugehört haben, sondern das auch billigten, was er gesagt hat. Vielleicht wurde es nicht immer so von den Menschen umgesetzt, wie er sich das vielleicht gewünscht hätte, aber das eigentliche Geheimnis von Roman Herzog - so habe ich es immer gesehen - war (und Sie haben das ja auch in der Anmoderation sehr schön herausgestellt), dass er im Kern ein Intellektueller war, und normalerweise verstehen ja einfache Menschen die Intellektuellen gar nicht. Aber er hatte die großartige Fähigkeit, seine tiefen Einsichten, das was er auch als Rechtsprofessor für richtig hielt, in einer Sprache den Menschen zu vermitteln, dass die Menschen es verstehen konnten. Das war, glaube ich, der wirkliche Kern seiner großartigen Persönlichkeit und das findet man sehr, sehr selten in der Politik. Insofern wird Roman Herzog immer eine große Ausnahmepersönlichkeit bleiben.
    Schulz: Welche Rolle hat er für die Partei gespielt, für die Parteienfamilie, die ihn zum Präsidenten gemacht hat, für die CDU/CSU, für die Union?
    Pöttering: Roman Herzog war zutiefst davon überzeugt, dass die Demokratie Parteien braucht, und er hatte auch nie in einem Sinne über die Parteien geredet, als wenn sie nun machtversessen seien. Auch so was haben wir ja erlebt. Sondern er hat gesagt, wir brauchen die Parteien, aber die Parteien müssen auch immer in der Lage sein und befähigt sein, auf die Menschen zuzugehen, und er war sehr stark innerhalb der Christlich-Demokratischen Union. Das war ja seine Partei. Er hatte ein sehr enges Verhältnis mit Helmut Kohl in den 70er-, 80er- und 90er-Jahren, hat aber auch sehr eng zusammengearbeitet dann mit Wolfgang Schäuble und Angela Merkel. Er war natürlich in einem gewissen Sinne auch ein Parteimann, aber eben nicht nur, sondern seine Parteimitgliedschaft öffnete er im Sinne der Demokratie, dass wir die Parteien in der Demokratie brauchen, und er ist natürlich dann als Bundespräsident auch noch darüber hinausgewachsen als ein wirklicher Staatsmann, aber der immer auch sich dazu bekannte, dass wir die Parteien brauchen. Und ich glaube, auch das ist heute wichtig zu sagen: Die Demokratie wird keine Zukunft haben, wenn es nicht stabile Parteien gibt, die die Grundlage mit, nicht die alleinige, aber mit die Grundlage unserer Demokratie sind. Auch das ist das Vermächtnis von Roman Herzog.
    Schulz: Und gibt es die?
    Pöttering: Bitte?
    Schulz: Und gibt es die, die Parteien, von denen Sie gerade sprechen, die diese Stabilität haben?
    Pöttering: Wir haben natürlich eine Stabilität der Parteien, aber wir sehen auch heute einen Erosionsprozess an den Rändern der Demokratien, von rechts wie von links außen, und es ist wichtig, unseren Bürgern zu vermitteln, dass wir Parteien brauchen, die auch immer sich verständigen können, dass es auch in einer Gesellschaft, die nicht regiert wird von einer Partei alleine, eine Verständigung geben muss zwischen verschiedenen Parteien, die eine Regierung bilden, und keine hat einen Absolutheitsanspruch. Das erleben wir ja leider heute am rechten Rand unserer Gesellschaft, dass wir Entwicklungen haben, dass Leute glauben, sie alleine würden das Volk repräsentieren. Das Volk wird repräsentiert in Wahlen und dann muss man versuchen, aus dem Wahlergebnis nach der Stärke der Parteien Koalitionen zu schaffen, und hier, glaube ich, ist es wichtig, in der Gegenwart und in der Zukunft, dass wir das Gespräch mit den Menschen noch stärker wieder suchen, dass aber wir auch den Menschen sagen müssen, niemand hat alleine für sich die Wahrheit, kann für sich die Wahrheit in Anspruch nehmen, und keine Partei und gerade auch neue Parteien dürfen nicht sagen, dass sie nun diesen Absolutheitsanspruch hätten und sie alleine das Volk vertreten. Nein, unsere Gesellschaft hat viele Aspekte. Es gibt viele Überzeugungen und das spiegelt sich dann in den Parteien wieder und man muss nicht die Meinung der anderen teilen, aber man muss die Meinung des anderen respektieren und man muss gewaltfrei und friedlich das Gespräch in der Demokratie suchen. Wenn wir das tun, Freiheit, Demokratie, Frieden, Solidarität und Toleranz, wenn wir diese Werte, die Roman Herzog ja so stark verkörpert hat, auch mit in die Zukunft nehmen, dann werden wir seinem Vermächtnis gerecht und er würde sich darüber freuen, wenn wir so handeln würden.
    Schulz: Hans-Gert Pöttering, der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, heute Mittag hier bei uns im Gespräch im Deutschlandfunk zum Tod des früheren Bundespräsidenten Roman Herzog. Ganz herzlichen Dank Ihnen, Herr Pöttering.
    Pöttering: Ich danke Ihnen, Frau Schulz.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.