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"Zelaya hat moralische Autorität verloren"

Der Vorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung, Wolfgang Gerhardt, plädiert für eine differenzierte Sicht auf die politische Lage in Honduras. Nicht nur die Putschisten, auch der entmachtete Präsident, Manuel Zelaya, müsse kritisiert werden: Zelaya habe versucht, die Verfassung zu verletzen.

Wolfgang Gerhardt im Gespräch mit Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Vor sechs Wochen wurde der Präsident von Honduras, Manuel Zelaya, im Morgengrauen in seiner Residenz von Soldaten festgenommen und nach Costa Rica geschafft - ein Staatsstreich nach 20 Jahren Demokratie. Als Nachfolger wurde vom Parlament der konservative Politiker Roberto Micheletti zum Interimspräsidenten ernannt. Der Staatsstreich wurde mit dem Argument gerechtfertigt, Präsident Zelaya habe verfassungswidrig versucht, sich mit einer Volksabstimmung eine weitere Amtszeit zu sichern.

    Seither kommt es in Honduras immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. Vor einer Woche haben wir hier im Deutschlandfunk Monika Knoche interviewt. Die stellvertretende Fraktionschefin der Linken hielt sich zu dieser Zeit mehrere Tage in Honduras auf und sie schilderte so ihre Eindrücke:

    Monika Knoche: "Mit diesem Putsch hat sich das Militär und die Polizei aggressiver verhalten, denn je zuvor. Und es wird berichtet auch von Vergewaltigungen von politisch aktiven Frauen. Also es gibt so viel mehr an grässlicher Realität, die bisher wenig in die Öffentlichkeit gekommen ist. Unter den Umständen hier, wo Menschenrechtsverletzungen, wo Tötungen, wo Todesschüsse auch abgegeben werden, wo Entführungen stattfinden, wo politisch links orientierte Leute auch um ihr Leben bangen müssen, sind keine Voraussetzungen da, um demokratische Wahlen durchzuführen."

    Spengler: So weit Monika Knoche von den Linken vor einer Woche im Deutschlandfunk. Uns haben dazu mehrere Hörerbriefe erreicht, die der Schilderung von Frau Knoche widersprechen, und wir konnten lesen über eine Tagung der liberalen Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, die ebenfalls ein anderes Bild von der Lage in Honduras zeichnet. Am Telefon begrüße ich deren Chef, den früheren FDP-Vorsitzenden Wolfgang Gerhardt. Guten Morgen, Herr Gerhardt.

    Wolfgang Gerhardt: Guten Morgen, Herr Spengler.

    Spengler: Herr Gerhardt, seit wann finden putschende Offiziere den Beifall der deutschen Liberalen?

    Gerhardt: Überhaupt nicht und die Umstände der Festnahme des Präsidenten finden unseren Beifall auch nicht. Aber es gibt eben zwei Seiten, die man sehen muss. Der Präsident Zelaya hat mehrfach versucht, die Verfassung zu verletzen. Es gibt oberste Gerichtsentscheidungen gegen ihn. Er hat versucht, auf Gerichtsbesetzungen Einfluss zu nehmen. Er hat eine Abstimmung vorgehabt, um seine Amtszeit zu verlängern, die der Verfassung klar widerspricht.

    Spengler: Aber einen amtierenden Präsidenten gegen seinen Willen außer Landes zu schaffen, das ist auch ein schwerer Bruch der Verfassung.

    Gerhardt: Das bestreite ich überhaupt nicht. Das normale Verfahren wäre gewesen, ihn seines Amtes zu entheben und ihn in Honduras vor Gericht zu stellen.

    Spengler: Warum hat man das nicht gemacht?

    Gerhardt: Das müssen wir die jetzigen Inhaber der Macht in Honduras fragen. Aber die andere Seite ist, dass im Grunde genommen der Präsident Verfassungsbestimmungen permanent verletzt hat. Es ist nicht die moralische Autorität auf seiner Seite und die Bösen sind nur die anderen. Der bekannte Schriftsteller Mario Vargas Llosa hat das noch einmal klar festgestellt.

    Das was meine Kollegin Frau Knoche gesagt hat, ist eine sehr einseitige Sichtweise. Ich gehe davon aus, dass die Berichte vieler, die in Honduras sind, auch aus den Botschaften, etwas differenzierter sind. Und ich stelle in letzter Zeit fest, dass sich manche, die voreilig das alte Bild entwarfen, die einen sind die Guten und die anderen sind die Bösen, mittlerweile differenzierter äußern. Und das tun wir als Naumann-Stiftung auch.

    Spengler: Herr Gerhardt, bestreiten Sie die Schilderungen von Frau Knoche: Tote, Verletzte, Vergewaltigungen?

    Gerhardt: Ich bezweifele sie, in der Dimension bestreite ich sie. Wir haben permanent schon lange Jahre Arbeit der Friedrich-Naumann-Stiftung in Honduras. Mir ist diese Dimension nicht bekannt. Wir hatten den Menschenrechtsbeauftragten eingeladen, der uns einiges geschildert hat, und ich halte das, was Frau Knoche gesagt hat, erstens für überprüfbar - und zweitens müsste sie dafür den Wahrheitsbeweis antreten. Das kann sie in dieser Dimension nicht.

    Spengler: Ich habe noch mal nachgeschaut, mit wem Sie da in der Friedrich-Naumann-Stiftung gesprochen haben. Sie haben sich informieren lassen durch ein Verwaltungsratsmitglied der Zentralbank, durch einen Erzbischof, durch den Vorsitzenden des Industriellenverbandes. Das klingt wie ein Querschnitt der Mächtigen dort.

    Gerhardt: Nein. Wir haben auch 124 von 128 Abgeordneten, die gegen Zelaya gestimmt haben. Das ist ja keine Minderheit. Das ist ja nicht die Offiziersriege der honduranischen Armee. Das ist die erdrückende Mehrheit der Abgeordneten, die sich einfach nicht mehr von einem Präsidenten gefallen lassen wollte, dass er gegen die Verfassung vorgeht. Man muss dann auch mal beide Seiten hören.

    Spengler: Nun sind die meisten Kabinettsmitglieder von Zelaya auf der Flucht. Es gibt gegen sie Haftbefehle wegen angeblicher Veruntreuung von Staatsgeldern. Wirkt das auf Sie auch ein bisschen konstruiert?

    Gerhardt: Nein. Ich glaube, dass Zelaya Staatsgelder genommen hat. Das ist auch unbestritten. Er hat von der Nationalbank noch Geld herausgeholt. Das ist so einfach nicht zu beantworten. Ich glaube, dass da noch einiges ans Tageslicht kommen wird, was Zelaya betrifft. Er hat nicht diese moralische Autorität. Das hat im Übrigen der Kardinal der katholischen Kirche auch gesagt. Das ist ja bestimmt kein uninformierter Mensch in der Hauptstadt von Honduras, sondern er hat klar erklärt, dass Zelaya jede moralische und politische Autorität verloren hat.

    Spengler: Aber Zelaya ist doch Mitglied der liberalen Partei?

    Gerhardt: Das ist aber nicht der entscheidende Punkt. Ein Mitglied einer liberalen Partei kann nicht die Verfassung verletzen. Stellen Sie sich in der Bundesrepublik Deutschland vor, wir würden die unveränderbaren Bestimmungen der Verfassung, die wir ja auch haben, durch ein Staatsoberhaupt als gefährdet ansehen, was hier los wäre. Man muss sich mal ein Bild machen. Zelaya ist doch nicht der mit dem Heiligenschein versehene Präsident, sondern er hat im Laufe seiner Amtszeit gröblichst politisch unklug gehandelt und er hat zweifellos den Versuch unternommen, um sich seine Amtszeit zu verlängern.

    Einen Haushalt nicht zu unterschreiben, weil er den Wahlkalender außer Kraft setzen will, das findet anscheinend niemand anstößig auf der linken Seite. Ich finde es aber anstößig.

    Spengler: Aber er ist mit Mehrheit gewählt worden. Zählen Mehrheitsentscheidungen nicht mehr?

    Gerhardt: Aber Mehrheitsentscheidungen dürfen nicht die Verfassung verletzen. Wir haben uns in einer Demokratie daran gewöhnt, dass Mehrheit auch Bestimmungen beachten muss. Alles andere wäre autoritäre Herrschaft.

    Spengler: Was mich jetzt ein bisschen stutzig macht, Herr Gerhardt, ist, dass Sie alle Schuld bei Zelaya sehen. Sie haben zwar kurz gesagt, na gut, der Putsch ist auch nicht in Ordnung, aber wäre denn jetzt Voraussetzung, dass er wieder in sein Amt eingeführt wird, um dann rechtsstaatlich weiterzugehen?

    Gerhardt: Es gibt zwei Möglichkeiten. Die eine ist das, die andere ist, die Wahlen vorzuziehen - mir ist auch der Zeitraum bis November viel zu lang - und die Wahlen auch unter internationale Aufsicht zu stellen, damit völlige Klarheit herrscht, dass es um einen ordnungsgemäßen Wahlgang geht. Aber ich habe es ja nicht in der Hand.

    Der normale Vorgang wäre, ihn zurückzuholen, ins Amt zu bringen, aber dann klar die Wahlen vorzubereiten. Das ist auch unsere Haltung, aber das hat nichts mit der Beurteilung des tatsächlichen Vorgangs zu tun. Deshalb ist hier nicht Gut und Böse so einfach verteilt, wie sich das manche vorstellen.

    Spengler: Kein Staat hat bislang die Putschisten anerkannt. Europa, die Organisation Amerikanischer Staaten und Präsident Barack Obama, alle fordern als ersten Schritt die Rückkehr von Präsident Zelaya in sein Land und in sein Amt. Sie stehen mit Ihrer Meinung ziemlich allein.

    Gerhardt: Ich habe Ihnen eben gesagt, wie meine Meinung ist. Dem kann ich mich gerne anschließen. Aber die amerikanische Außenpolitik hat in den letzten Tagen weitaus differenzierter reagiert. Es ist eben nicht so, dass auf der einen der gute, im Amt befindliche, mit Mehrheit gewählte Zelaya sich korrekt verhalten hätte und auf der anderen Seite die überdeutliche Mehrheit des Parlaments stünde, die nun einen Putsch gemacht hat. So ist die Lage nicht.

    Spengler: Herr Gerhardt, haben Sie Anzeichen dafür, dass das Regime oder die übergroße Mehrheit des Parlaments sich denn nun darauf einlässt, auf den Vorschlag des costa-ricanischen Präsidenten und Friedensnobelpreisträgers Oscar Arias, Zelaya erst mal wieder ins Amt zurückzulassen?

    Gerhardt: Bisher nicht. Es wäre wünschenswert, wenn man das täte, aber ich habe es nicht in der Hand.

    Spengler: Danke für das Gespräch, Wolfgang Gerhardt.