Archiv

Zivilrecht
Wie funktionieren Sammelklagen in den USA?

In den USA wurde die Gesetzgebung für Sammelklagen vor rund 50 Jahren geschaffen, um mehr Chancengleichheit für Verbraucher und Kunden gegenüber großen Unternehmen zu schaffen. Doch es gibt auch Kritik: Inzwischen floriert die Klage-Industrie.

Von Martin Ganslmeier |
    Ein Gerichtshammer.
    Ein Gerichtshammer. (picture alliance / dpa / Andrey Starostin)
    Die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Sammelklagen in den USA wurden vor rund 50 Jahren geschaffen. Damals gab es viele gute Gründe für die Einführung von Sammelklagen: Verbraucher wurden oft von Unternehmen betrogen oder geschädigt, ohne dass dies Konsequenzen hatte. Der einzelne Kunde hatte praktisch keine Chance gegen die Rechtsabteilung eines großen Unternehmens. Also wehrten sich die Geschädigten oft gar nicht. Und die Unternehmen mussten die Täuschung oder gar Schädigung der Verbraucher nicht wirklich fürchten.
    Die Möglichkeit einer Sammelklage bedeutete deshalb mehr Chancengleichheit für Verbraucher und Kunden. Die US-Bürger kommen zu ihrem Recht, ohne teure Anwaltskosten zu befürchten. Denn die für die Sammelklage zuständige Anwaltskanzlei finanziert alles vor und verlangt dafür lediglich, dass sie am Ende einen bestimmten Prozentsatz der erstrittenen Schadenssumme behalten darf. Im Gegenzug müssen die Kunden die Entschädigungssumme, die die Anwaltskanzlei für alle erstritten hat, akzeptieren und unter sich aufteilen. Das macht Kenneth Feinberg seinen Klienten stets deutlich. Feinberg ist einer der erfahrensten Anwälte bei Sammelklagen und Vergleichsfällen:
    "Sobald die Entschädigung gezahlt ist, will ich von den Klägern nichts mehr hören! Ich bin nicht daran interessiert, sie noch einmal zu sehen. Wir sagen ihnen das deutlich: Nimm das Geld, schau nach vorne, und mein Job ist Geschichte!"
    Bei Sammelklagen kommt es oft zu einem Vergleich
    Feinberg hat unter anderen die Angehörigen der Opfer des 11. Septembers vertreten, die BP-Geschädigten nach der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko sowie die Opfer des Hurrikans Katrina in New Orleans. VW engagierte den Staranwalt, um die Diesel-Kunden möglichst rasch zu entschädigen und ein langwieriges Gerichtsverfahren zu vermeiden. So kommt es bei Sammelklagen oft zu einem Vergleich: Die Unternehmen zahlen freiwillig, damit ihr Ruf nicht durch lang anhaltende Medienberichterstattung beschädigt wird. Wenn keine Einigungschance besteht, müssen die Gerichte entscheiden. Besonders erfolgreich war die Sammelklage geschädigter Raucher Ende der 90er-Jahre gegen die Tabakkonzerne in den USA - mit Entschädigungssummen in Milliardenhöhe. Auch die Sammelklage ehemaliger NS-Zwangsarbeiter verhalf den hochbetagten Betroffenen endlich zu ihrem Recht. Ebenso die Sammelklage der Angehörigen der Opfer des Flugzeugabschusses von Lockerbie durch die libysche Regierung.
    In den vergangenen Jahren gibt es jedoch immer mehr Kritik am Instrument der Sammelklagen. Was einst gedacht war, um den kleinen Leuten zu helfen, ist längst zu einer florierenden Klage-Industrie entartet. Während sich in Deutschland geschädigte Verbraucher einen Anwalt suchen, ist es in den USA umgekehrt: Große Anwaltskanzleien suchen ständig nach geschädigten Verbrauchern, durchforsten Zeitungen nach Unfallberichten und schalten Anzeigen in Hörfunk und Fernsehen wie diese:
    "Es kann sein, dass sie Anspruch auf eine Entschädigung haben. Wenn Sie oder jemand, den Sie kennen, mit Asbestose diagnostiziert wurde, dann sollte Ihre Stimme gehört werden! Wir helfen Asbest-Opfern seit fast einem Jahrzehnt. Handeln Sie jetzt!"
    Oft erhält der Geschädigte nur wenige hundert Dollar
    Mittlerweile werden jedes Jahr in den USA im Schnitt 250 Milliarden Dollar an Schadenersatz für irgendwelche Sammelklagen gezahlt. In der Pharma- und Medizin-Branche ist dies mit ein Grund für die hohen Kosten von Arzneimitteln und medizinischen Leistungen. Je mehr geschädigte Verbraucher sich einer Sammelklage anschließen, umso besser für die klagenden Anwälte. Denn dadurch erhöht sich automatisch ihr Honorar. Während die Anwälte dann oft Millionensummen einstreichen, erhält ein Geschädigter am Ende nur wenige hundert Dollar. Dagegen protestieren kann er kaum: Denn mit seiner Beteiligung an der Sammelklage hat er sein individuelles Klagerecht so gut wie aufgegeben.