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Zoologie
Migrationsstrategien von wandernden Aalen erfasst

Ausgewachsene Aale schwimmen von Europa über tausende Kilometer in nur vier Monaten in die Sargassosee, um sich dort zu paaren. Das war bislang die Vermutung. Nun konnten die Zugrouten von den Fischen erstmals genauer verfolgt werden - mit überraschenden Ergebnissen.

Von Lucian Haas | 06.10.2016
    Der Europäische Flussaal (Anguilla anguilla) laicht tausende Kilometer von Europa entfernt im offenen Meer
    Der Europäische Flussaal (Anguilla anguilla) laicht tausende Kilometer von Europa entfernt im offenen Meer (imago stock&people)
    Aale leben in unseren Flüssen, doch sie paaren und vermehren sich in der Sargassosee östlich von Florida im Atlantischen Ozean. Die Wanderung dorthin hat bis heute etwas Mysteriöses, das auch Forscher fasziniert.
    "Der Grund, warum die Wanderung der Aale so interessant ist, liegt darin, dass wir die Tiere nie wieder zu Gesicht bekommen, wenn sie im Herbst die Flüsse verlassen und ins Meer wandern. Sie verschwinden einfach in den Tiefen des Ozeans und sterben, nachdem sie sich fortgepflanzt haben. Wir sehen die Aale erst wieder, wenn ihre Nachkommen als sogenannte Glasaale Jahre später zurück an die Küsten kommen", erklärt David Righton, Zoologe am britischen Fischereiforschungszentrum Cefas.
    Aale mit kleinen Messsonden ausgestattet
    Er arbeitet mit einem internationalen Forschungsteam daran, etwas Licht ins Dunkel der Aalwanderung zu bringen. Im Verlauf einer fünfjährigen Studie rüsteten die Forscher rund 700 erwachsene Aale aus ganz Europa mit kleinen Messsonden aus, um anhand der erfassten Daten ihren Weg über den Atlantik rekonstruieren zu können:
    "Wenn der Aal durch den Ozean schwimmt, speichert die Sonde Informationen über die Umwelt wie Wassertiefe, Temperatur und Licht. Nach einer voreingestellten Zeit löst sich die Sonde automatisch vom Aal und steigt an die Wasseroberfläche. Von dort schickt sie dann die Daten per Satellit an unser Labor."
    Dass die Forscher allein anhand von Messungen der Wassertiefe, Temperatur und Helligkeit die ungefähre Position der Aale bestimmen können, verdanken sie einem besonderen Verhaltensmuster dieser Fische. Tagsüber schwimmen sie im Ozean in größerer Wassertiefe von rund 600 Metern, während sie bei Sonnenuntergang bis in 200 Meter Wassertiefe aufsteigen. Der genaue Grund für das Auf und Ab im Tagesverlauf ist nicht bekannt. Aber das Muster lässt sich in den Messdaten genau erkennen und als Orientierungshilfe nutzen, erklärt David Righton:
    "Die Aale zeigen uns, wann die Sonne auf- und untergeht. Daraus können wir den lokalen Sonnenhöchststand ableiten und erkennen, auf welchem Längengrad zwischen Ost und West die Tiere sind. Anhand der gemessenen Wassertemperatur, die wir mit einem ozeanographischen Atlas an diesem Längengrad abgleichen, sehen wir dann, auf welchem Breitengrad sie sich befinden. Wir bestimmen ihre Position also mit einer Art Koordinatensystem."
    Die Karte zeigt die Laichgebiete von Aalen auf. Der Europäische Aal und der Amerikanische Aal legen einen langen Weg zu ihrem Laichgebiet, der Sargassosee zurück (gelbe Pfeile). An den Zahlen 1 bis 5 lassen sich die Verbreitungsgebiete in den unterschiedlichen Entwicklungsstadien nachvollziehen
    Die Karte zeigt die Laichgebiete von Aalen auf. Der Europäische Aal und der Amerikanische Aal legen einen langen Weg zu ihrem Laichgebiet, der Sargassosee zurück (gelbe Pfeile) (dpa picture alliance/Wissen-Media-Verlag)
    Route und Geschwindigkeit auf dem Weg zu den Laichgründen unterscheidet sich von Aal zu Aal
    Von 206 der Messsonden kamen Datensätze zurück. 87 davon waren umfangreich genug, um die Wanderrouten der zugehörigen Aale rekonstruieren zu können. Die Auswertung lieferte einige Überraschungen. Bisher gingen Zoologen davon aus, dass alle Aale, die Europas Flüsse im Herbst verlassen, schnell und auf direktem Weg in die Sargassosee schwimmen, um dort schon im nächsten Frühjahr als eine Kohorte zusammenzutreffen und sich zu paaren. Doch diese Lehrmeinung muss wohl korrigiert werden, berichtet Righton:
    "Das herausragende Ergebnis ist, dass nicht alle Aale so schnell wandern, wie wir es erwartet haben. Zugleich sind ihre Routen nicht so geradlinig wie gedacht. Überraschenderweise gibt es - auch wenn es rückblickend so selbstverständlich erscheint - ein ganzes Spektrum unterschiedlicher Migrationsstrategien."
    Die Wanderrouten der Aale, ob von Norden oder Süden kommend, führen erst zu den Azoren und von dort dann nach Westen über den Atlantik. Manche der Aale kommen schon nach vier, andere erst nach zehn Monaten in der Sargassosee an. Es ist demnach keineswegs - wie bisher gedacht - immer nur ein Jahrgang der Aale, der sich dort zur Paarung trifft. Warum es nun schnelle und langsame Schwimmer unter den Aalen gibt, welche Vor- oder auch Nachtteile die unterschiedlichen Strategien für die Tiere haben, all das sind neue Fragen, denen David Righton nun mit weiteren Studien nachgehen will.