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Zum Tod von Walter Scheel
Der Herr mit Biss und politischem Weitblick

Der ehemalige Bundespräsident Walter Scheel war einer der populärsten Bundespräsidenten. Heiter, elegant und doch hart in der Sache hatte er einen entscheidenden Anteil daran, das Profil seiner FDP um soziales Engagement und Umweltschutz zu erweitern. An der Seite Willy Brandts gestaltete er zudem die neue Ostpolitik federführend mit.

Von Brigitte Baetz | 24.08.2016
    Walter Scheel gestikuliert und schmunzelt, er trägt Jacket und Krawatte
    Altbundespräsident Walter Scheel nimmt Abschied von seinem Büro, am 16.07.2014 in Bad Krozingen (dpa/Patrick Seeger)
    "Ich bin immer unterschätzt worden, was vielleicht mein Vorteil war", sagte Walter Scheel über sich selbst. Und wirklich blieb der FDP-Vorsitzende, Außenminister und vierte Präsident der Bundesrepublik Deutschland den meisten seiner Landsleute eher mit seiner Aufnahme des Volksliedes "Hoch auf dem Gelben Wagen" als mit seinen politischen Leistungen im Gedächtnis. Doch das zu Unrecht. Denn Walter Scheel war seinem Wesen, seiner Karriere und seiner Erscheinung nach einer der Ausnahmepolitiker der deutschen Nachkriegsgeschichte.
    Die Leichtigkeit seines Auftretens und eine für die Deutschen noch ungewohnte Eleganz verbargen, dass der Liberale Scheel ein zielstrebiger und hartnäckiger Verstandesmensch war. Aus kleinen Verhältnissen bahnte er sich seinen Weg bis ins höchste Staatsamt - und half mit, die Bundesrepublik und ihre Außenbeziehungen zu verändern.
    Sozial-liberale Koalition von Willy Brandt und Walter Scheel begründet
    "Diese Regierung hat sich geschichtlich allein schon dadurch gerechtfertigt, dass sie mit ihrer knappen Mehrheit das geschaffen hat, was andere mit ihren Großen Mehrheiten nicht erreichen wollten oder konnten: unser Volk über seine Tabuschwellen hinwegzuführen."
    Die sozial-liberale Koalition, 1969 von Willy Brandt und Walter Scheel begründet, markierte eine Zäsur im politischen Selbstverständnis der Deutschen. Und: Sie setzte einen vorläufigen Schlusspunkt unter den Wandel der Freien Demokraten von einer in weiten Teilen eher rechtsnationalen Honoratiorenpartei zu einer liberalen Bürgerrechtspartei, die sich die Entspannung mit dem Osten zum Ziel gesetzt hatte.
    Ohne den heiter und verbindlich auftretenden Scheel, der gleichwohl in der Sache hart und zupackend war, hätte die FDP diesen Wandel vielleicht nicht überlebt.
    Ein älterer Mann singt, im Hindergrund singen mit ihm ein älterer Mann und ein jüngerer Mann
    Der Politiker Walter Scheel, Bundespräsident a.D., in der ZDF Fernsehshow "Stunde der Stars" im Jahr 2001. (imago/Scherf)
    Auch wenn sein Ruf anderes vermuten ließ: Walter Scheel war kein Rheinländer. Am 8. Juli 1919 wird er als Sohn eines einfachen Stellmachers in Solingen, im Bergischen Land geboren. Der begabte Junge macht 1938 sein Abitur, absolviert eine Banklehre und zieht in den Krieg - zu den Nachtjägern der Luftwaffe. Aber selbst in den Schrecken des Luftkampfes um Berlin ist der Oberstleutnant schon für manche Anekdote gut.
    "Die BF-100 war auf einem Nachtflug. Plötzlich kommt die Maschine ins Trudeln. 6.000, 5.000, 4.000 Meter Höhe - der junge Major am Steuerknüppel hat die Kontrolle verloren. Bei 1.000 Meter gibt er über Mikrofon den Befehl: aussteigen!. Der Leutnant, der als Navigator mitfliegt, starrt in die regenverhangene Nacht hinaus. Aber Herr Major, ruft er zurück, doch nicht bei diesem Wetter. Just in diesem Augenblick fängt sich, wie durch ein Wunder, die Maschine wieder. Der Navigator, der gelassen blieb, hieß Walter Scheel."
    Schon seit 1946 gehört er der FDP an
    Gelassen, aber zielstrebig baut sich der 26-Jährige nach Kriegsende eine Karriere in der Wirtschaft auf. Er ist Prokurist und Geschäftsführer der Stahlwarenfabrik seines Schwiegervaters. Später ist er Verbandsgeschäftsführer, ab 1953 arbeitet er als selbstständiger Wirtschaftsberater in Düsseldorf. Von 1958 bis 1961 leitet er eine eigene Finanzfirma.
    Parallel läuft seine Arbeit in der Politik. Schon seit 1946 gehört er der FDP an. Er wird Stadtverordneter von Solingen, gehört von 1950 bis 1953 dem Landtag von Nordrhein-Westfalen an und von 1953 bis zu seiner Wahl zum Bundespräsidenten 1974 dem Deutschen Bundestag. Früh interessiert er sich für Fragen der europäischen Einigung und für die Dritte Welt. 1961 wird er unter Konrad Adenauer Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und bleibt es unter Kanzler Ludwig Erhard.
    1966, eine Rezession beherrscht die Schlagzeilen, treten die FDP-Minister, die keine Steuererhöhung mittragen wollen, zurück. Die erste Große Koalition wird gebildet und die Reformer in der FDP sehen die Chance und die Notwendigkeit, sich aus der Abhängigkeit von der Union zu befreien.
    1968 löst Walter Scheel den nationalkonservativen Erich Mende als Parteivorsitzenden ab. Er betreibt die Schärfung eines neuen sozialliberalen Profils, das 1971 in der Verabschiedung der "Freiburger Thesen" seinen Höhepunkt finden wird.
    Liberal: Wirtschaftsfragen, soziales Engagement und Umweltschutz
    Der Begriff "liberal" soll sich nicht mehr in erster Linie auf Wirtschaftsfragen beziehen, sondern auch soziales Engagement ermöglichen und den Umweltschutz berücksichtigen. Entscheidend aber für die Hinwendung zur SPD wird der Wille, Deutschland und den Osten auszusöhnen. Als Walter Scheel in seiner ersten Rede als Parteivorsitzender ausruft: Wir wollen eine neue Politik, da meint er sowohl die Überwindung der Teilung Europas als auch eine Öffnung hin zur jungen Generation, die in Gestalt der Studentenbewegung gerade den Staat infrage zu stellen beginnt.
    Am 5. März 1969 stimmen die liberalen Mitglieder der Bundesversammlung gemeinsam mit den Sozialdemokraten für Gustav Heinemann als neuen Bundespräsidenten. Während die Linksliberalen um Werner Maihofer das Bündnis mit der SPD als historisch feiern, denkt Walter Scheel pragmatischer. Obwohl die neue Politik der FDP vom Wähler abgestraft wird, sie gut zwei Fünftel der Stimmen verliert und nur noch auf 5,8 Prozent kommt, einigt sich Scheel mit Willy Brandt in der Bundestagswahlnacht von 1969 telefonisch auf eine neue Regierung. Sie wird nur eine knappe Mehrheit von zwölf Mandaten haben. Walter Scheel wird Außenminister.
    1970: Moskauer Vertrag sieht er als seine größte politische Leistung
    Die größten Gemeinsamkeiten zwischen den beiden neuen Partnern bestehen in der Deutschlandpolitik. Die "Politik der kleinen Schritte", die Willy Brandt bereits mit seinem engen Mitarbeiter Egon Bahr entwickelt hat, harmoniert mit der von der FDP geforderten Anerkennung der "deutschland- und ostpolitischen Realitäten". Vor allem in den Verhandlungen mit der Sowjetunion kann Walter Scheel sein ganzes diplomatisches Können ausspielen. Später wird er den 1970 abgeschlossenen Moskauer Vertrag als seine größte politische Leistung bezeichnen.
    Schwarz-Weiß Foto von zwei Männern mittleren Alters, die sich freundlich zunicken, mit den Armen die Geste "Bitte, nach Ihnen" machen.
    Der SPD-Vorsitzende Willy Brandt (r) und Bundespräsident Walter Scheel (l) am 05.10.1976. (dpa/pa/Peter Popp)
    In den Gesprächen mit Moskau geht es um nicht weniger als die Festschreibung der Grenzen in Mitteleuropa und die De-facto-Anerkennung der DDR. Um jedes Wort wird gerungen. Scheel besteht, muss bestehen darauf, dass die Deutschen ihren Anspruch auf Wiedervereinigung nicht aufgeben. Vertraglich darauf festlegen lassen wollen sich die Sowjets nicht, doch Scheel schreibt seinem Amtskollegen Gromyko einen Brief, den dieser akzeptiert.
    "Brief zur deutschen Einheit.
    Sehr geehrter Herr Minister,
    im Zusammenhang mit der heutigen Unterzeichnung des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken beehrt sich die Regierung der Bundesrepublik Deutschland festzustellen, dass dieser Vertrag nicht im Widerspruch zu dem politischen Ziel der Bundesrepublik Deutschland steht, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt."
    "Statt mit dem Wagen umständlich und mühsam über die Dörfer nach Bonn zu fahren, hat Außenminister Walter Scheel sich entschlossen, zusammen mit seinem sowjetischen Kollegen mit einem Hubschrauber einen Luftsprung in die Bundeshauptstadt zu machen - nach den Ereignissen und Erfolgen dieses Tages geradezu ein symbolischer Akt."
    Scheel hat einen ausgeprägten Sinn für Glanz und Etikette
    Der Vertragsabschluss mit der Sowjetunion ist ein historisches Ereignis, das von Scheel, der einen ausgeprägten Sinn für Glanz und Etikette hat, angemessen begangen wird. In den folgenden entscheidenden Verträgen mit Warschau und Ost-Berlin wird sich der Außenminister zugunsten von Brandt und Bahr zurücknehmen, gleichwohl ihre, seine Politik nach außen rhetorisch brillant vertreten - auch gegen Widersacher innerhalb der eigenen Partei.
    "Wenn auf der Grundlage dieser Verträge Entspannung und Zusammenarbeit zwischen Ost und West in Europa in Gang kommt, dann wird auch das Verhältnis der beiden deutschen Staaten zueinander eingebettet sein in ein Klima, in dem es leichter sein wird, mehr Austausch, mehr Kommunikation und mehr Freizügigkeit zu erreichen. Wer aber Angst vor der eigenen Courage hat, wer befürchtet, mehr Kommunikation und Freizügigkeit importiere bei uns den Kommunismus, der erhebt auch indirekt die Forderung, die Regierung der DDR müsse erst kapitulieren, bevor es zur Kontakten mit der Bundesrepublik kommen darf."
    Doch in den Fraktionen rumort es. Mehrere FDP-Abgeordnete und Herbert Hupka von der SPD treten zur Union über. Die knappe Mehrheit schmilzt, und der Oppositionsführer Barzel wittert seine Chance. Am 27. April 1972 muss sich Kanzler Willy Brandt einem konstruktiven Misstrauensvotum stellen. Sein Vize Walter Scheel verteidigt die sozialliberale Koalition:
    "Sie wollen an die Regierung, ohne eine Bundestagswahl gewonnen zu haben. Wenn Ihnen die Wähler dieses Landes eine Mehrheit verschaffen, dann könnten wir darüber zwar nicht froh sein, würden uns aber selbstverständlich vor dem Urteil der Wähler verneigen und Ihnen die Siegespalme noch reichen. Doch das, was hier gespielt werden soll, ist ein schäbiges Spiel. Sie hoffen auf Mitglieder dieses Hauses, deren Nervenkraft und Charakterstärke nicht ausreicht, in einer schweren Stunde zu ihrer Partei zu stehen oder Ihr Mandat zurückzugeben.
    Wer Regierungsmacht auf dieser moralischen Grundlage aufbauen will, der baut auf Sand. Ein Bundeskanzler, der auf diese Weise ins Amt kommt, wäre nur eine Stunde lang glücklich.
    Barzel scheitert - und die Koalition geht trotz immer noch schwacher Mehrheit gestärkt daraus hervor. In vielen Gesprächen überzeugt Walter Scheel die Unionsfraktionen, sich bei der Abstimmung über die Ostverträge der Stimme zu enthalten statt mit Nein zu stimmen.
    Entspannungspolitik bringt international neues Renommee für BRD
    Neuwahlen bringen nicht nur einen glanzvollen Sieg der SPD, sondern bestätigen auch die Politik Walter Scheels und der FDP. Sie steigert sich um 3,1 Prozent der Stimmen auf 8,4 Prozent. Ihre neue Wählerbasis aus leitenden Angestellten, Beamten und Selbstständigen scheint tragfähig.
    Damals war diese neue Ostpolitik, die Scheel an der Seite Brandts durchsetze, umstritten, heute wird sie als Grundstein für die Deutsche Einheit angesehen.
    Der damaligen Bundesrepublik bringt die Entspannungspolitik international neues Renommee und erweitert ihre Spielräume. 1973 werden beide deutsche Staaten von den Vereinten Nationen als Mitglieder aufgenommen.
    Längst liebäugelt Walter Scheel mit dem Amt des Bundespräsidenten. Aus Höflichkeit, vielleicht aber auch aus Taktik lässt er Willy Brandt von seinen Ambitionen wissen, erklärt ihm, ihm im Zweifel den Vortritt lassen zu wollen.
    Am 15. Mai 1974 wird Scheel - über den geschrieben wurde, er vermeide Schwierigkeiten, ohne ihnen aus dem Wege zu gehen - zum Nachfolger Gustav Heinemanns gewählt. Ein politischer Präsident wolle er sein, hat er schon vor seiner Vereidigung die Deutschen wissen lassen.
    "Die Einsicht in den Zusammenhang von Freiheit, innerem Frieden und wirtschaftlichem Wohlstand ist weit verbreitet. Millionen Deutsche kennen heute Lebenschancen, von denen ihre Eltern nur träumen konnten. Und dennoch: "Wenn wir uns bei uns und in der Welt umsehen, entdecken wir Probleme von neuen, nie gekannten Dimensionen. Die technisch-wirtschaftliche Entwicklung hat uns an die Grenzen des Möglichen geführt und die Grenze des Vernünftigen an manchen Stellen bereits überschritten. Immer schwerwiegender wird die Gefährdung des Ganzen durch einseitige Expansion einzelner Zweige. Wirtschaftlicher Wohlstand kann in Raubbau umschlagen, der die Lebensgrundlage kommender Generationen gefährdet. Wir dürfen nicht mitschuldig werden an einer solchen Entwicklung."
    Eine Königin und ein Mann in besten Jahren von der Seite schreiten eine Ehrenformation ab.
    Königin Elizabeth II. und Bundespräsident Walter Scheel beim Abschreiten der Ehrenformation vor der Villa Hammerschmidt in Bonn am 22.05.1978. (dpa)
    Der stets heiter, aber trotzdem als "Herr" auftretende Scheel ist der erste Bundespräsident, der mit Kindern in die Villa Hammerschmidt einzieht. Seine zweite Frau Mildred verstärkt die Popularität der "ersten Familie" des Landes noch, als sie die Krebshilfe gründet.
    Im Gegensatz zu seinem betont nüchtern aufgetretenen Amtsvorgänger Heinemann liebt Scheel den Glanz des Protokolls und festliche Empfänge - und die Deutschen schätzen ihn dafür. Der Mann, der aus der Wirtschaft kam, gilt trotzdem als arbeitnehmerfreundlich. Er ist vornehm, aber nicht unnahbar.
    Doch sein Wille, ein politischer Präsident zu sein, schafft auch Spannungen. 1976 etwa, als er erklärt, es gehöre zu seinen Pflichten, eine "stabile Regierung" ins Amt zu bringen. Dies nährt den Verdacht, er halte den Wechsel der FDP zur Union für wünschenswert. Ein Brief an Kanzler Helmut Schmidt glättet zwar die Wogen, trotzdem erklärt Scheel:
    "Es ist nun einmal das Schicksal von Koalitionen, die ja auf einem bestimmten Maß an gemeinsamen politischen Überzeugungen aufbauen, dass sie bei erfolgreicher Zusammenarbeit diese politischen Gemeinsamkeiten sozusagen aufarbeiten, und es bleibt am Ende weniger übrig, und deswegen sind Koalitionen Bündnisse, die durch eine natürliche Entwicklung einmal enden müssen."
    Auf internationaler Ebene setzt sich Scheel vor allem für Europa ein
    Einen eigenen, unabhängigen Kopf beweist Scheel auch, als er sich weigert, ein Gesetz zu unterschreiben, für das nach seiner Überzeugung die Bestätigung durch den Bundesrat fehlt. Das Verfassungsgericht gibt dem Präsidenten recht.
    Auf internationaler Ebene setzt sich Scheel vor allem für Europa ein und versucht dem stockenden Einigungsprozess neuen Schwung zu verleihen. "Präsident in Europa" will er sein und wirbt für eine europäische Verfassung. 1977 erhält er für seine Verdienste den Internationalen Karlspreis der Stadt Aachen.
    Von 1980 bis 1985 war Walter Scheel unter anderem Präsident des Deutschen Rates der Europäischen Bewegung, dessen Ehrenpräsident er bis zu seinem Tod war.
    "Die europäische Verfassung, wenn man sie diskutiert und solche Ideen in sie aufnähme, wäre keine Regel für die Zusammenarbeit nach der vollzogenen Integration allein, sondern sie wäre damit selbst ein Instrument zur Integration aller wichtigen politischen Bereiche."
    Scheel nutzt seine internationale Reputation auch, um für Verständnis für ein Deutschland zu werben, das im sogenannten Deutschen Herbst mit dem RAF-Terrorismus fertig werden muss. Vor allem in der Anfangszeit werden im Ausland Bedenken laut, die Bundesrepublik könne sich in einen Polizeistaat verwandeln.
    "Sie werden die Erregung unserer Bürger und unserer Öffentlichkeit über die mörderischen Aktivitäten von Terroristen bemerkt haben. Der Terrorismus ist ein sehr schwieriges und ein weltweites Problem. Doch gerade angesichts solcher Probleme zeigt sich, so glaube ich, die demokratische Substanz eines Landes, eines Staates am deutlichsten. Sie können in diesen Tagen verfolgen, wie bei uns auf demokratische Weise darum gerungen wird, dieses furchtbare Problem zu lösen. Manche Lösungsvorschläge mögen Ihnen, unseren ausländischen Gästen, als ungenügend erscheinen. Aber Sie werden keinen Vorschlag finden, der sich mit den Grundsätzen eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates nicht vereinbaren lässt."
    Einer der populärsten Bundespräsidenten
    Zum Ende seiner Amtszeit 1979 gilt Walter Scheel als einer der populärsten Bundespräsidenten, dessen ausgeprägtes Redetalent in Erinnerung bleibt. Über 80 Prozent der Deutschen schätzen ihn wegen seiner Nähe zum Volk. Doch die Mehrheiten in der Bundesversammlung haben sich so verändert, dass sich der Liberale keine Chancen mehr einräumt.
    Scheel ist erst 60 Jahre alt, als er abtritt. Die nächsten drei Jahrzehnte seines mehr als ausgefüllten Lebens übernimmt er eine Reihe von Ehrenämtern in der Wirtschaft und im kulturellen Leben - und er liest noch ab und zu der Politik die Leviten.
    Beispielsweise erhebt er Einwände gegen die Neuwahl des Bundestages von 1983, die Helmut Kohl durch eine absichtlich verlorene Vertrauensfrage auf den Weg bringt. Damit setzt er eine Tradition aus seiner Amtszeit als Bundespräsident fort, in der er unbequeme Wahrheiten auszusprechen pflegte:
    "Erst wenn wir aus unserer Geschichte die Folgerung der Demokratie ziehen, dann haben wir sie richtig verstanden und d. h. wir müssen Abschied nehmen, endgültig Abschied nehmen von Denk-, Gefühls- und Verhaltensweisen, wie sie unser Volk dem wilhelminischen und nationalsozialistischen Reich entgegengebracht hat."
    Gesundheitlich angeschlagen und unter Demenz leidend hat sich Scheel an der Seite seiner dritten Ehefrau Barbara nur noch selten in der Öffentlichkeit gezeigt. Ein Streit um seine Pflege machte zuletzt Schlagzeilen.
    Walter Scheel starb im Alter von 97 Jahren.