Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Zwei Jahre Papst Franziskus
"Gläubige hoffen auf Veränderungen"

Papst Franziskus' Amtsantritt vor zwei Jahren habe die katholische Kirche entlastet, sagte Pater Klaus Mertes im DLF. Der Leiter des Jesuitenkollegs St. Blasien spüre, dass viele Katholiken, die die Hoffnung auf Veränderungen verloren hatten, wieder daran glauben würden.

Klaus Mertes im Gespräch mit Christoph Heinemann | 13.03.2015
    Pater Klaus Mertes
    Pater Klaus Mertes (picture alliance / dpa / Foto: Karlheinz Schindler)
    Christoph Heinemann: Was und wohin möchte dieser Papst?
    Klaus Mertes: Der Papst möchte die Kirche öffnen. Er möchte, dass diese Kirche den Armen begegnet und in der Begegnung mit den Armen sich bekehrt.
    Heinemann: Ist Franziskus eine Art Martin Luther des 21. Jahrhunderts, der versucht, zum Wesentlichen zurückzukehren?
    Mertes: Wenn Sie das unter Martin Luther verstehen, kann man durchaus sagen ja. Aber es gibt ein paar signifikante Unterschiede, was die Thematik betrifft, und er macht es ja nicht über einen Konflikt von unten, sondern über einen Konflikt von oben.
    Heinemann: … mit dem Vatikan, mit der Kurie?
    Mertes: Ja.
    Heinemann: Wer wird am Ende diesen Konflikt gewinnen?
    Mertes: Das weiß ich nicht. Ich bin kein Wahrsager. Aber ich hoffe, dass er gewinnt.
    Heinemann: Möchte er die Kirche von der Kurie, vom Vatikan befreien?
    "Dieser Papst ist sehr jesuitisch"
    Mertes: Ein Papst braucht eine Kurie, eine Verwaltung. Aber er möchte, dass die Kurie wieder Dienstcharakter bekommt, oder, um es modern auszudrücken, Service-Charakter für die Kirche. Die Kurie ist keine heilige Institution, sondern sie hat Dienstleistungscharakter für die Weltkirche und für den Dienst, den der Papst an der Kirche zu machen hat.
    Heinemann: Aber muss der Papst die Würdenträger im Vatikan nicht mitnehmen, wenn er den Laden neu aufstellen möchte?
    Mertes: Ja selbstverständlich muss er sie mitnehmen. Man kann die Kurie vermutlich nicht gegen die Kurie reformieren. Das erfordert großes Leitungsgeschick. Aber ich kann mich auf der anderen Seite, wenn ich mich in die Position des Papstes hineinversetze, natürlich auch nicht erpressen lassen durch diesen durchaus richtigen Grundsatz, wenn ich nämlich sage, ich erspare euch alle Konflikte, damit ich euch mitnehme für die Reformen. Dann geht ja auch nichts. Also ohne Konflikte wird es vermutlich auch nicht gehen.
    Heinemann: Und die lässt er ja nicht aus, indem er zum Beispiel von "spirituellem Alzheimer" und "Karrierismus" spricht im Vatikan. Hat er damit nicht fast alle Sympathien verspielt?
    Mertes: Nein! Das ist, wenn man Jesuit ist, eine vollkommen selbstverständliche Redeweise, die auch nichts mit Vorwürfen zu tun hat, sondern mit kritischen Anfragen zur Selbstprüfung. Das nennt man in der Sprache der Jesuiten die Unterscheidung der Geister, sich anschauen, wo die spezifischen Versuchungen für die Kurie liegen. Das muss ich als Kollegdirektor mich auch ständig fragen, wo liegen die Fallen, in die ich hineintappen kann, und jeder Mensch muss sich das fragen, wo gibt es Fallen, die sich unter dem Schein des Guten mir bieten, damit ich nicht in sie hineintappe. Das ist eine im geistlichen Vollzug vollkommen selbstverständliche Redeweise, die nicht zu verstehen ist als Kardinals- oder Kurien-Bashing.
    Heinemann: Aber Sie würden Ihr Lehrerkollegium doch nicht beleidigen?
    !!Mertes! Nein! Aber er hat sie nicht beleidigt. Er hat von Versuchungen gesprochen. Aber ich würde auch meinem Lehrerkollegium sagen, Leute, ihr seid Lehrer, ihr steht unter bestimmten Versuchungen, zum Beispiel in der Versuchung der Selbstherrlichkeit, passt auf. Damit beleidige ich sie doch nicht.
    Heinemann: Wie jesuitisch ist dieser Papst?
    Mertes: Dieser Papst ist sehr jesuitisch, tief geprägt durch A seine Geschichte mit dem Jesuiten- und im Jesuitenorden und tief geprägt durch die geistliche Tradition des Ordens. Das kann man ja gerade an der von Ihnen zitierten Rede sehen. Ein Schlüsselthema der jesuitischen Spiritualität ist eben die Unterscheidung der Geister, und die wird immer wieder neu thematisiert, und genau das tut er.
    Heinemann: Pater Mertes, wie wichtig wird die Familiensynode im Herbst, genauer gesagt die Ergebnisse dieser Synode für die Kursbestimmung?
    Mertes: Ich glaube, dass das eine sehr wichtige Synode ist. Papst Franziskus hat ja schon bei der letzten Synode einen Schritt gemacht, nämlich er hat Personen eingeladen, Familien, Eltern, und dann der Kurie "zugemutet", dass sie sich diese Geschichten anhören und dass sie sich Familienwirklichkeit von heute anhören. Es war ja sehr interessant, dass die Reaktion einiger Kardinäle darauf war, dass sie es als Zumutung erlebt haben, dass sie das sich überhaupt anhören mussten. Das ist, finde ich, ein ganz interessanter Kritikpunkt. Und ich vermute, dass Papst Franziskus auf diesem Weg weitergehen wird. Er wird der Bischofssynode zumuten, sich der Wirklichkeit von Familien heute zu stellen, und das ist der einzige Weg, in dem die Kirche auch wieder Relevanz finden kann in ihrer Lehre für die Familien heute.
    Heinemann: Welchen Nachholbedarf sehen Sie da?
    "Er ist in einige Fallen getappt"
    Mertes: In dem ganz konkreten Falle ging es um ein australisches Ehepaar, das fünf Kinder hat, darunter einen homosexuellen Sohn, der mit seinem Partner zusammenlebt und der natürlich zur Familie gehört nach dem Verständnis dieser gut katholischen Familie. Allein das wurde schon als empörend qualifiziert, sich das anhören zu müssen von einigen Leuten. Aber das ist Familienwirklichkeit heute.
    Andere Thematik wäre die ganze Verhütungsfragestellung, die Familienplanung, die Unterscheidung zwischen sogenannter künstlicher und natürlicher Verhütung. Auch hier stehen Familien vor ganz großen Fragen und finden beim Lehramt letztlich keine Unterstützung für ihre konkreten Situationen, sondern nur eine sehr, sehr hochgestochene Lehre, an der sie scheitern.
    Heinemann: Welches Ergebnis dieser Synode erwarten Sie?
    Mertes: Das muss ich für mich offen lassen. Am stärksten wünsche ich mir, dass noch mehr Wirklichkeit von Familie heute sichtbar wird. Katholische Kirche ist ein ganz großer Tanker, der sich ganz langsam bewegt, aber wenn er sich bewegt, dann für die nächsten zwei bis drei, vier Jahrhunderte in eine neue Richtung bewegt, dann darf man es nicht allzu eilig haben.
    Heinemann: Wir sprachen über die, wie Sie gesagt haben, jesuitischen Äußerungen des Papstes, der ja verunsichert - Stichwort: Katholiken sollen sich nicht wie die Karnickel fortpflanzen, Kinder darf man "würdevoll" einen Klaps verpassen. Den spirituellen Alzheimer und Karrierismus hatten wir genannt. Warnung vor einer Mexikanisierung Argentiniens, worüber sich die tief katholischen Mexikaner ziemlich geärgert haben sollen. Sollte dieser Papst gelegentlich das eine oder andere Blatt vor den Mund nehmen?
    Mertes: Ich meine, ja. Es gibt ein paar Äußerungen, die er gemacht hat, die einfach nicht zu retten sind, und da muss auch ein Papst Franziskus bei aller Wertschätzung des freien Wortes sich auch zügeln, dahin gehend, dass er in jedem Wort, das er sagt, weiß, es hören ihm 1,2 Milliarden Menschen zu, und das ist etwas anderes, als in den Plauderton zu verfallen. Ein Papst kann nicht in Plauderton verfallen. Das ist einfach für das Amt, für ihn selbst auch wirklich gefährlich.
    Heinemann: Ist das sein Problem, oder wird er schlecht beraten?
    Mertes: Ich glaube, das ist tatsächlich sein persönliches Problem. Weil er sich auch diese Freiheit der Herzlichkeit und der Spontanität nicht nehmen lassen will, geht er dieses Risiko ein, und da ist er auch wirklich seinerseits in einige Fallen getappt.
    Heinemann: Und in der Freiheit dieser Kritik sind wiederum jetzt Sie sehr jesuitisch?
    Mertes: Ja!
    "Sturm des freien Wortes"
    Heinemann: Der Papst spricht sich - Sie haben davon gesprochen - für eine arme Kirche aus. Was heißt das mit blick einmal auf diesen prunkvollen Vatikan und auch für die reiche Kirche in Deutschland?
    Mertes: Das bedeutet Solidarität mit den Armen, das bedeutet, sich auf Augenhöhe mit den Armen zu begeben, das bedeutet, großzügig zu sein, das bedeutet, auf Prunk zu verzichten, das bedeutet, sich wirklich den Erfahrungen der Armen zu öffnen, um mit ihnen Christus zu begegnen.
    Heinemann: Auf Prunk verzichten - nun kann man ja sagen, auch jenseits des Limburger Bauherren-Modells leben die meisten Bischöfe und leben die Kardinäle in Deutschland ja nicht schlecht. Müssen die auch die Gürtel enger schnallen?
    Mertes: Ja, ich möchte jetzt nicht über andere sprechen, sondern auch über mich sprechen. Ich lebe ja auch nicht schlecht und ich muss mich dann auch fragen, ist der Aufruf des Papstes nicht auch ein Aufruf an mich, den Gürtel enger zu schnallen und auf manchen gutbürgerlichen Luxus, in dem ich lebe, auch zu verzichten.
    Heinemann: Und Ihre Antwort auf die selbstgestellte Frage?
    Mertes: Ja, das muss ich, denke ich. Es ist wirklich eine Prüfungsfrage auch an mich.
    Heinemann: Pater Mertes, hat sich die Katholische Kirche in Ihrer Wahrnehmung in den vergangenen zwei Jahren verändert?
    Mertes: Ja. Es ist ein Sturm der Befreiung, des freien Wortes durch die Kirche gegangen, eine große Entlastung, die durch diesen Papst gekommen ist, und ich spüre bei ganz vielen, die die Hoffnung auf kurz- oder mittelfristige Veränderungen verloren hatten, inzwischen wieder die Bereitschaft zu hoffen, darauf, dass sich tatsächlich in der Kirche etwas bewegen kann, dass die Machtstrukturen aufgebrochen werden, dass der Klerikalismus nachlässt und dass wir wieder eine Kirche haben oder auch eine Hierarchie haben, derer wir uns nicht schämen müssen, wie das zum Beispiel im Falle Limburg und anderen Fällen in den letzten Jahren der Fall war.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.