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100. Geburtstag
Georges Brassens - mehr als ein Minnesänger der modernen Zeit

Viele seiner Chansons sind heute Klassiker: Georges Brassens war ein Autodidakt, der sich seinen Weg suchte und über 200 Chansons schrieb. Und weil anfangs keiner seine Lieder singen wollte, tat er es selbst. Der Freidenker kämpfte gegen Intoleranz und Fanatismus - ohne sich je der Masse anzuschließen.

Von Karl Lippegaus | 22.10.2021
    Der Chansonnier Georges Brassens im Mai 1981 vor einem Konzert in Montpellier
    Der Chansonnier Georges Brassens im Mai 1981 (picture alliance / akg-images | Philippe Ledru)
    "Ich habe angefangen, Chansons zu schreiben, weil alle bei uns sangen – mein Vater, meine Mutter, meine Schwester, auch meine Großeltern und alle meine Freunde. Das Radio lief, man sang, alles gefiel uns. Aber erstmal hat mich die Musik interessiert."
    Die Wörter ergeben den Rhythmus. Der gelangt auf die Straße und die französische Jugend erkennt sich wieder in den Chansons von Georges Brassens.
    "Texte waren mir anfangs egal, ich konnte noch gar nicht sagen, ob etwas Unsinn war. Ich schrieb schon kleine Musikstücke, als ich zur Schule ging. Bald wurde mir klar: es musste alles korrekt geschrieben sein. Bei den Dichtern fiel mir auf, dass es kaum Musik gab, die ihrer Lyrik gerecht wurde. Wer mir zuhört, vergisst die Musik."
    Der Anarchist, Antimilitarist und antiklerikale Brassens strahlt Integrität aus, er wirkt weise und human. Das Chanson "Le Pluriel" (Der Plural) ist die Unabhängigkeitserklärung eines Minnesängers der modernen Zeiten.
    "Der Plural taugt nichts für den Menschen, und sobald man
    Mehr als vier ist, ist man ein Haufen Ärsche."
    Seit langem gehören einige seiner Chansons zum klassischen Schulunterricht in Frankreich. Aber eines der ersten - über einen Gorilla und sein Geschlechtsteil, ist eigentlich ein Chanson über die Todesstrafe, die erst 1981 kurz vor seinem Tod abgeschafft wird. Es löst einen Skandal aus und landet 1952 beim staatlichen Rundfunk RTF und bei Radio Luxemburg auf dem Index.
    "Ich bin der Pornograph
    des Phonographen
    der Rotzlümmel
    des Chansons."
    Georges Brassens 1966 bei einem Konzert in Bobino
    Der Chansonnier und die Deutschen
    In Frankreich galt er als Poet unter den Chansonniers. In Deutschland wurde Georges Brassens von Liedermachern wie Franz Josef Degenhardt oder Hannes Wader verehrt. Wenig bekannt ist, dass Brassens vor 1945 bei Berlin Zwangsarbeiter war.

    Barde aus dem Languedoc

    Georges Brassens kommt am 22. Oktober 1921 im südfranzösischen Hafenstädtchen Sète zur Welt.
    Der okzitanische Barde aus dem Languedoc wird zum Troubadour und Nachfahre François Villons. Weil keiner seine Verse singt, tut er es selbst.
    "Die Musik ist für mich genauso wichtig wie der Text, es fällt nur keinem auf. Sie ist unverzichtbar. Mag sein, dass es Komponisten gibt, die bessere Musik dafür schreiben könnten. Aber es würde nicht zu mir passen.

    Brassens verliebt sich in eine kleine Frau aus Estland, die er Püppchen nennt, sie wird seine "ewige Geliebte". Anfang der 1950er-Jahre engagiert ihn die Sängerin Patachou für ihr Cabaret in Montmartre. Schweißüberströmt vor Lampenfieber absolviert Brassens seinen ersten Auftritt im Théatre des Trois Baudets.
    Georges Brassens mit seiner Lebensgefährtin Joha Heiman, aufgenommen 1981
    Georges Brassens mit seiner Lebensgefährtin Joha Heiman. (picture alliance / akg-images / Philippe Ledru)
    Seine wütende Abrechnung mit dem Musikbusiness wird das Chanson "Les Trompettes de la Renommée".
    "Ich lebte abseits der Öffentlichkeit,
    gelassen, versonnen, ungestört, bukolisch …
    weigerte mich, dem Ruhm Tribut zu zollen,
    schlief wie ein Siebenschläfer auf meinem Lorbeerzweig."

    Früher Tod mit 60 Jahren

    Konsumverzicht hätte er erfinden können: Brassens braucht keine Riesenwohnung, keine Möbel, kein großes Badezimmer. Klamotten, Reisen – alles überflüssig. Georges Brassens, scheu und sehr um seine Privatsphäre bemüht, fühlt sich keiner Protestbewegung zugehörig. Es fehlt ihm jegliches Interesse, im Mai ´68 mitzulaufen, zudem ist er wieder sehr krank.

    Mourir pour les idées (Sterben für Ideen)
    Das Grab von Georges Brassens im französischen Sète mit Fotos des Künstlers und Blumen
    Das Grab von Georges Brassens im französischen Sète (picture alliance / abaca | Balkis Press/ABACA)
    … wenn man zu schnell geht, passiert es, dass man stirbt
    für Ideen, die morgen nicht mehr gelten.
    … Dass man sich verlaufen hat, die falsche Idee einschlug.
    … Heilige und Propheten, die das Martyrium predigen,…
    … Ideen, die das berühmte Opfer fordern,
    die Sekten aller Art liefern sie serienweise …!
    Sein Freund Jacques Brel sagte einmal, das Lächeln von Georges Brassens sei das schönste, das er von einem Menschen kenne. Georges Brassens stirbt am 29. Oktober 1981, eine Woche nach seinem 60. Geburtstag.