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100. Geburtstag von Carson McCullers
Dichterin der Südstaaten

Bereits mit ihrem ersten Roman "Das Herz ist ein einsamer Jäger" schrieb sich Carson McCullers 1940 im Alter von 23 Jahren an die Spitze der Weltliteratur. Bis zu ihrem frühen Tod umkreiste sie in ihrem Werk einfühlsam die tragischen Schicksale derer, die vergeblich um Liebe, Kommunikation und ihren Platz in der Gesellschaft ringen.

Von Holger Teschke | 19.02.2017
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    Voller Sehnsucht nach einem Ausweg aus Isolation und Hass: die amerikanische Autorin Carson McCullers (imago/United Archives International)
    "Mein Leben war, dem Himmel sei Dank, fast vollständig ausgefüllt mit Arbeit und Liebe. Die Arbeit war nicht immer einfach, die Liebe auch nicht."
    So beginnt Carson McCullers ihre Autobiografie "Erleuchtung und nächtliche Blendung", in der sie von der Entstehung ihrer Romane und der tragischen Liebesgeschichte ihres Lebens erzählt. Am 19. Februar 1917 wurde sie als Tochter eines Uhrmachers in Columbus, Georgia, geboren und erlebte schon früh die Rassentrennung in den Südstaaten als verstörenden Alltag.
    "Mein damaliger Freund machte mich mit den Werken von Marx und Engels bekannt, was dazu führte, daß sich mein Gerechtigkeitsempfinden stärkte. Während der Wirtschaftskrise hatte ich oft gesehen, wie Neger unsere Mülltonne durchwühlten und bettelten. Schon damals war mir klar, daß etwas Beängstigendes und Falsches in der Welt vorging."
    Verzweifelter Versuch, Vertrauen und Liebe zu finden
    Mit sechzehn schrieb Carson McCullers ihre ersten Erzählungen. Nach einer schweren Erkrankung an rheumatischem Fieber gab sie ihren Traum, Konzertpianistin zu werden, auf und belegte ab 1935 Kurse für Kreatives Schreiben an der Columbia University in New York. Ein Jahr später begann sie mit der Arbeit an ihrem ersten Roman "Das Herz ist ein einsamer Jäger", der 1940 erschien und die Dreiundzwanzigjährige über Nacht berühmt machte.
    In der Geschichte um die Freundschaft zwischen dem taubstummen Graveur John Singer und dem Mädchen Micky klingen bereits die Leitmotive an, die ihr Werk prägen werden: das Nebeneinander von Zuneigung und Einsamkeit und der verzweifelte Versuch, in einem Klima von Angst und Unsicherheit Vertrauen und Liebe zu finden. Carson McCullers kannte diese Konflikte aus ihrer eigenen Ehe nur zu gut. Nach ihrem Romandebüt trennte sie sich von ihrem Mann Reeves und zog in eine Künstlerkommune in Brooklyn.
    "Wir waren zusammen mit Benjamin Britten, Christopher Isherwood, Aaron Copland und mit Jane und Paul Bowles. Zum Glück war das Haus geräumig. Wystan Auden sprach mit mir über Kierkegaard und zum ersten Mal hörte ich Schumanns ‚Dichterliebe‘".
    Tiefes Mitgefühl für die Außenseiter in ihrer Gesellschaft
    Mit Heine und Schumann verband Carson McCullers ein tiefes Mitgefühl für die Außenseiter in ihrer Gesellschaft. In dem folgenden Roman "Spiegelbild im goldenen Auge" und in ihren Erzählungen beschrieb sie deren Geschichten zwar mit ironischer Distanz, aber auch voller Sehnsucht nach einem Ausweg aus Isolation und Hass. Ihre Cousine Virginia Johnson erinnerte sich später:
    "Carson liebte es, die Wahrheit mit den Zähnen zu packen und damit loszurennen, eine Gewohnheit, die sie nie abgelegt hat."
    Im November 1940 kehrte sie nach Columbus zurück und erlitt wenige Monate später ihren ersten Schlaganfall. Zur Erholung fuhr sie in die Yaddo Arts Colony nach Saratoga Springs und begann ihren dritten Roman "Die Ballade vom traurigen Café", in dem sie die Geschichte einer tragischen Dreiecksbeziehung erzählt.
    Freundschaft mit Tennessee Williams und Bühnenerfolge am Broadway
    1941 ließ sie sich von Reeves McCullers scheiden, kam aber bis zu dessen Selbstmord 1953 in Paris nicht von ihm los. Sie freundete sich mit Tennessee Williams an und schrieb eine Bühnenadaption ihres Romans "Frankie". Das Stück wurde am Broadway zu einem gefeierten Erfolg und erlebte über fünfhundert Vorstellungen.
    Nun begann sich auch Hollywood, für ihre Romane zu interessieren. Fred Zinnemann verfilmte 1953 "Frankie" mit Julie Harris und John Huston, 1967 ihr "Spiegelbild im goldenen Auge" mit Marlon Brando und Elizabeth Taylor. Zwei Tage nach der Voraufführung dieses Films starb Carson McCullers an den Folgen eines dritten Schlaganfalls in Nyack, New York. In ihrer letzten Erzählung "Der Marsch" kehrte sie zu dem Thema zurück, das sie seit ihrer Kindheit nicht losgelassen hat:
    "Als sie den Marsch in Atlanta begannen, sangen sie 'We Shall Overcome'. Es war kein Marsch, der den Lauf der Geschichte oder der Bürgerrechtsbewegung ändern würde. Doch in jedem Teilnehmer hatte sich eine Änderung vollzogen. Sie hatten ihr Leben gewagt und sich über die Gefahren hinweggesetzt. Obwohl es kein berühmter Marsch war, hatte sich in der Seele jedes Teilnehmers eine rasche, aber wundersame Verwandlung durch die Liebe vollzogen."