Dienstag, 19. März 2024

Archiv

100. Geburtstag von Paul Watzlawick
Er legte die Kommunikation auf die Couch

"Man kann nicht nicht kommunizieren" - Axiome wie diese machten den österreichischen Psychotherapeuten Paul Watzlawick zu einem der bedeutendsten Kommunikationsforscher. Populär wurde er mit seiner „Anleitung zum Unglücklichsein“. Am 25. Juli 2021 wäre er hundert Jahre alt geworden.

Von Martin Tschechne | 25.07.2021
    Paul Watzlawick lacht bei einer Veranstaltung im Rathaus Wien im Jahr 2000 in die Kamera
    Hatte er an diesem Tag seine "Anleitung zum Unglücklichsein nicht befolgt? "Paul Watzlawick im Jahr 2000 in Wien (Imago/ Skata)
    "Ich bin nicht Gegner der Psychoanalyse. Ich bin nur der Gegner einer Auffassung, die glaubt, dass die menschliche Wirklichkeit ein für alle Mal von einer bestimmten Schule her voll erfasst ist und daher jede andere Schule eo ipso falsch ist."
    Wenn ein Psychoanalytiker, einer, der noch zu dessen Lebzeiten am Institut von Carl Gustav Jung seine therapeutischen Weihen empfangen hat – wenn so einer klarstellen muss, nicht etwa ein Feind der eigenen Schule zu sein, dann muss der Zweifel auf beiden Seiten tief sitzen. Paul Watzlawik, geboren am 25. Juli 1921 in Villach in Kärnten, definierte seinen Standpunkt als einen, der jede etablierte Schule des Denkens grundsätzlich in Zweifel zieht – weil nämlich jeder von ihnen das gleiche Schicksal blüht, und sei sie noch so erfolgreich, offen und klug durchdacht: Irgendwann stößt sie an ihre Grenzen. Es liegt in ihrem Wesen. Neue Probleme tauchen auf, Patentlösungen greifen nicht mehr. Wenn es hakelig wird, so Watzlawik, kennt jede dieser Lehren nur eine Antwort: mehr desselben:
    "Hinter diesen beiden einfachen Worten, mehr desselben, verbirgt sich eines der erfolgreichsten und wirkungsvollsten Katastrophenrezepte, das sich auf unserem Planeten im Laufe der Jahrmillionen herausgebildet und zum Aussterben ganzer Gattungen geführt hat."

    Das Denken selbst einer Therapie unterziehen

    Watzlawik beherrschte und genoss das Spiel mit Paradoxien: die Katastrophe auf Rezept; eine Lösung, die gut gemeint, aber gerade deshalb schlecht ist. Der Sprung aus dem Ordinationszimmer des Psychotherapeuten mag kühn gewesen sein, doch es war Zeit, das Denken selbst einer Therapie zu unterziehen. "Menschliche Kommunikation" lautete der Titel seines Grundlagenwerks, mit dem er sein Terrain Ende der Sechzigerjahre sehr weiträumig absteckte: Jede Äußerung in Gegenwart anderer ist ein Akt der Kommunikation. In den folgenden Titeln ging er spezifischer auf seine Skepsis ein; sie lauten: "Die Möglichkeit des Andersseins", "Vom Schlechten des Guten" oder "Wie wirklich ist die Wirklichkeit?"

    Ein konstruktivistischer Appell

    "Ich glaube, wem es gelänge, ganz konsequent, tagtäglich, jede Minute sich dessen bewusst zu sein, dass unsere Welt, unsere Wirklichkeit von uns selbst geschaffen ist – dass der Betreffende ein ganz ungewöhnlicher Mensch wäre. Erstens wäre er frei. Denn er wüsste, dass er sich seine Wirklichkeit selbst geschaffen hat und sie auch jederzeit anders schaffen kann. Zweitens wäre er im tiefsten ethischen Sinn verantwortlich. Denn wenn ich der Architekt meiner eigenen Wirklichkeit bin, dann steht mir die bequeme Abschiebung von Schuld an andere Menschen oder Umstände nicht mehr offen. Und drittens wäre dieser Mensch tolerant."
    Realitäten und Zustände - Wirklichkeit
    Die Leute in der Höhle haben die Welt im Rücken. Alles, was sie davon sehen, sind tanzende Schatten an der Wand: bloßes Kino, die Wirklichkeit als Projektion. Mit diesem Bild markierte der griechische Philosoph Platon die Grenzen der Erkenntnis.
    Studium in Venedig und Zürich, erste Berufsjahre in Triest, ein Ruf nach El Salvador, Gründer und bis zu seinem Tod 2007 Direktor eines eigenen Forschungsinstituts in Palo Alto, Kalifornien, dort auch Professor an der Stanford University, und immer tief verwurzelt im alten Europa, von den griechischen Philosophen bis zum Geheimrat Goethe – der Mann hatte ein gutes Stück gesehen von der Welt, deren Phänomene im Großen er aus seinen Beobachtungen im Kleinen erklärte. Natürlich sprang die Kritik darauf an: Den einen galt Watzlawik als frecher Ikonoklast, die anderen beschimpften ihn als Reaktionär. Er akzeptierte beides als Bestätigung.

    Lektionen in paradoxem Denken

    Und weil er sich als Pendler zwischen mindestens zwei Welten so genau in der Relativität von Wirklichkeit auskannte, fügte er seinen wissenschaftlichen Texten eine "Gebrauchsanweisung für Amerika" hinzu. Und ließ dem Erfolg dieser eleganten Plauderei über Glücksversprechen und das Essen mit Messer und Gabel die "Anleitung zum Unglücklichsein" folgen: zugleich Lektion in paradoxem Denken und Parodie auf all die Ratgeber, die Jugend und Schönheit versprechen und doch immer scheitern müssen. Ein Welterfolg! Dabei hatte Paul Watzlawik nie etwas anderes gesagt als: Jeder konstruiert sich seine Wirklichkeit. Und jeder eine andere:
    "Das kompromisslose Streben nach dem höchsten Gut, sei es Sicherheit, Vaterland, Friede, Freiheit, Glück oder was immer, ist eine Patentlösung oder, mit Verlaub, Herr Geheimer Rat, eine Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft."