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100 Jahre Bauhaus
"Das Bauhaus war immer sehr heterogen"

Nach der Machtübernahme der Nazis fanden viele Bauhaus-Künstler eine neue Heimat im Ausland. "Das Bauhaus war von Anfang an eine kosmopolitische Gestaltungsschule", sagte Kuratorin Marion von Osten im Dlf. Je nach den Gegebenheiten vor Ort habe sich die Bewegung weiterentwickelt.

Marion von Osten im Gespräch mit Änne Seidel | 07.01.2019
    Bauhaus-Gebäude in Tel Aviv
    Bauhaus-Gebäude in Tel Aviv (Deutschlandradio.de / Andreas Main)
    Änne Seidel: Weimar, Dessau, Berlin – das waren die drei Heimatstädte des Bauhauses. Hier lebten, lehrten und wirkten die Meister der berühmten Kunsthochschule, in diesen Städten sind noch heute ihre Bauten zu besichtigen, die als Ikonen der Moderne in die Architekturgeschichte eingingen.
    Das Bauhaus hat aber nicht nur hierzulande Spuren hinterlassen, sondern auch Tausende von Kilometern entfernt: in Städten wie Chicago, in Moskau oder auch in Tel Aviv – alles Orte, die für Bauhaus-Künstler zur neuen Heimat wurden, nachdem die Nationalsozialisten die Macht ergriffen hatten und damit hier in Deutschland die Zeit für das Bauhaus abgelaufen war.
    Das Bauhaus in der Welt – darum geht es heute in unserer Interviewreihe anlässlich des 100. Bauhaus-Jubiläums. Ich kann darüber sprechen mit der Kuratorin Marion von Osten. Sie hat im Vorfeld dieses Jubiläumsjahres auf der ganzen Welt nach Spuren des Bauhauses gesucht, im Rahmen eines internationalen Ausstellungs- und Forschungsprojektes mit dem Titel "Bauhaus Imaginista". Frau von Osten: Chicago, Moskau, Tel Aviv habe ich schon aufgezählt. In welchen Gegenden dieser Welt sind Sie sonst noch fündig geworden?
    Marion von Osten: Das Bauhaus war ja von Anfang an eigentlich eine kosmopolitische und international ausgerichtete Gestaltungsschule, und das ist ja wirklich etwas Besonderes, die Akademien waren ja tatsächlich deutsche oder national geprägte Akademien. Diese Schule hat von Anfang an nicht nur internationale Lehrende, sondern auch internationale Studierende aufgenommen. Darunter zählen beispielsweise auch japanische Studierende, aber auch Studierende aus Ungarn, aus Osteuropa. Es gab relativ viele verschiedene Gruppen und auch sehr viele Frauen, die am Bauhaus studiert haben.
    Das hat natürlich auch zur Folge gehabt, dass nicht nur durch die Vertreibung, durch Flucht und Migration, sondern auch nach Abschluss der Studien Studierende zurückgingen. Beispiel Arieh Scharon – Sie haben ja schon Tel Aviv genannt -, der ging 1931 wieder zurück nach Palästina. Der hatte bei Hannes Meyer auch später im Büro gearbeitet, hier in Berlin die große Gewerkschaftsschule in Bernau mitgebaut. Er ging zurück und wurde dann nach der Staatsgründung ein ganz wesentlicher Stadtplaner und hat dann auch in den 60er-Jahren auf Einladung der westnigerianischen Unabhängigkeitsregierung einen ganz großartigen Campus gebaut, den wir besuchen konnten.
    Vorstellung der Moderne je nach Ort verschieden
    Seidel: Jetzt haben Sie schon ein paar Beispiele genannt, Israel, Japan haben Sie vorhin angesprochen. Wieviel hatten diese Bauhaus-Ableger in den anderen Gegenden der Welt dann noch mit dem ursprünglichen Bauhaus zu tun? Wurde da tatsächlich eins zu eins weitergeführt, was in Deutschland so abrupt von den Nationalsozialisten beendet worden war?
    von Osten: Das ist eine interessante Frage natürlich, und die trifft auch in das Herz der gesamten Migrationsdebatten. Weil natürlich Menschen, die sich auf den Weg begeben und an anderen Orten ankommen, sich verändern. Und die verändern auch ihre Einsichten, weil die ja auch in bestimmte Regionen kommen, in denen es schon eine Moderne gab. Nehmen wir Chicago: Die Menschen, die da hinkamen, László Moholy-Nagy zum Beispiel, der kam ja in eine Vorstellung von Moderne. Die kamen ja nicht an einen Ort, in dem die internationale Bewegung nicht auch schon angekommen war. Aber dann hat natürlich die lokale Gesellschaft andere Bedingungen und Voraussetzungen.
    Seidel: Baumaterialien vielleicht auch? Auch so ganz praktische Dinge sind ja anders.
    von Osten: Natürlich! Auch andere Baumaterialien, aber auch andere Design-Debatten und Diskurse. Es hat ja auch damit zu tun, in welchen Modernisierungsprozessen das jeweilige Land war, und auch die Vorstellungen vom Architekten und vom Baumeister sind natürlich unterschiedlich, oder auch vom Gestalter oder dann Designer. Die amerikanische Kultur war eine Konsumkultur und die war sehr viel stärker produktorientiert. Andere Kulturen, in die beispielsweise Hannes Meyer mit Studierenden ging, wie die UDSSR, da ging es tatsächlich um eine neue Gesellschaft, die in den 30er-Jahren einen revolutionären Prozess abgeschlossen hatte, und da ging es um großrahmigen und groß angelegten Städtebau. Und das war natürlich sozial orientiert.
    Das Bauhaus selbst war immer sehr heterogen und es gibt nicht einen Stil, der wanderte, oder eine Praxis, sondern es gibt diese diversen und sehr unterschiedlichen, immer sehr zukunftsgewandten Gestaltungsprinzipien, die sich dann vor Ort noch mal übersetzt haben, angeeignet wurden oder manchmal auch abgelehnt.
    Bauhaus wird zur Projektionsfläche
    Seidel: Manchmal auch abgelehnt, sagen Sie. Das wollte ich gerade fragen. Wie offen waren denn die Bauhaus-Künstler für das, was sie an diesen neuen Orten vorgefunden haben?
    von Osten: Das ist sicherlich unterschiedlich. Wenn man jetzt die Dokumente anschaut, dann ist das interessant, dass Hannes Meyer ja wirklich mit roten Fahnen, kann man sagen, in der Sowjetunion aufging, geradezu zum Stalinist wurde, aber das natürlich auch wieder verwarf. Es gibt unterschiedliche biographische Notizen, die wir auch in den Archiven finden und womit sich heute zunehmend Menschen, Forscher auseinandersetzen. Aber welche Wahrheiten wir da finden, das ist tatsächlich ein bisschen die Frage. Wir interpretieren natürlich. Aber interessant ist, deswegen ja auch der Titel "Bauhaus Imaginista", dass das Bauhaus eher zu einer Projektionsfläche wird, zu etwas, was man sich vorstellt, was das dann sein könnte und wie man es dann im spezifischen Fall lokal verwenden oder anwenden könnte.
    Seidel: Könnte man dann festhalten, dass der Begriff Bauhaus durch diese Migrationsbewegung letztendlich zu einer Art Label wurde, hinter dem sich aber eigentlich ein sehr diffuses Sammelsurium von Stilen, von Kunstrichtungen verbirgt?
    von Osten: Ich glaube, das Bauhaus hatte schon eine ganz klare Programmatik, selbst wenn sie heterogen war, und sie war unheimlich wichtig für das 20. Jahrhundert und wahrscheinlich sogar auch noch für das 21. Denn sie haben versucht, Kunst und Gestaltung wieder zusammenzudenken, die Künste wieder in einen Dialog zu bringen - das ist uns eigentlich bis heute nicht gelungen – und eine völlig neue Gestaltungsschule entwickelt. Alles das ist bis heute sehr, sehr aktuell. Ich glaube, dieses Erbe beziehungsweise diese Aktualität, die wirkt auch heute noch weiter und stellt Fragen an unsere heutige Gesellschaft.
    Tatsache ist aber natürlich, dass das Bauhaus auch interpretiert wird, dass es zum Label, zum Brand wird. Daran können wir aber auch nichts verändern, sondern das ist tatsächlich eine Tatsache, dass egal welche Form der Kulturproduktion natürlich die unterschiedlichsten Formen der Interpretationen erfährt.
    Eigene Handwerkstraditionen in Indien wiederbeleben
    Seidel: Sie haben ja gerade schon die Bauhaus-Pädagogik angesprochen. Das ist auch ein Punkt, mit dem Sie sich im Rahmen Ihres internationalen Forschungsprojektes "Bauhaus Imaginista" beschäftigt haben. Wichtig war der Bauhaus-Akademie, Sie sagten es, die enge Zusammenarbeit der verschiedenen Künste, aber vor allem auch von Handwerk und Künstlern. Das ist ja ein Konzept, was sich in Deutschland nicht durchgesetzt hat, kann man so sagen, denke ich. Wie sieht das in anderen Ländern aus? Hat die Bauhaus-Pädagogik anderswo überlebt?
    von Osten: Vielleicht nicht überlebt, sondern es gab natürlich Parallelschulen wie die Kalabhavan. Das ist ja eine ganz wichtige Schule, die auch 1919 in Indien in der Nähe von Kalkutta, in Shantiniketan gegründet wird, wo auch genau das Handwerk von großer Bedeutung wird. Und aus ganz anderen Gründen, oder vielleicht könnte man da sogar Parallelen ziehen, wenn man sich die Veränderungen in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg auch noch mal vergegenwärtigt. Denn da ging es darum, sich auch von einer bestimmten Form von Produktion, die durch den Kapitalismus und Kolonialismus eingeführt worden ist in Indien, zu wehren und die eigenen Handwerkstraditionen wiederzubeleben, aber die auch als eine zukunftsgewandte und nicht rückwärtsgewandte Form der Produktion zu verstehen. Das finden wir an unterschiedlichsten Stellen der Welt.
    Seidel: Wie, Frau von Osten, sieht es aus mit der Wertschätzung des Bauhaus-Erbes außerhalb von Europa? Sie hatten Tel Aviv angesprochen. Dort steht ein großes Ensemble an Gebäuden im Bauhaus-Stil, zum Teil allerdings in, muss man sagen, sehr schlechtem Zustand, auch wenn mittlerweile dort kräftig restauriert wird. Ist die Wertschätzung für das Bauhaus-Erbe in anderen Ländern geringer als bei uns?
    von Osten: Nein, überhaupt nicht. In Japan zum Beispiel ist es so, dass es mehrere Bauhaus-Ausstellungen geben wird zum Jubiläum. Eigentlich überall, wo wir hinkommen, werden in irgendeiner Weise diese 100 Jahre Bauhaus gefeiert, oder genutzt, um eigene Anliegen damit zum Thema zu machen. Wir haben eigentlich überall diese Referenz zum Bauhaus gefunden. Sonst wären wir ja auch nicht dort hingegangen. Es ging ja nicht darum, in dem Projekt irgendwo das Bauhaus hinzubringen oder Leute zu überzeugen, dass es das Bauhaus gab. Sondern es ging ja darum, in einem dialogischen Verfahren zu verstehen, wie an anderen Orten das Bauhaus aufgefasst wird, was da relevant war. Und hier war es wirklich super wichtig für uns zu sehen, dass es die Pädagogik war, gerade auch diese demokratische Form der Lehre, denn das Bauhaus ging ja davon aus, dass jeder gestalterisch-schöpferisch tätig sein kann. Und das ist natürlich eine Haltung, die ganz unterschiedlich ist zu einer Elitenkultur.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.